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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
III. Der Bundesrath als Organ der Rechtspflege.

Die Funktionen, welche dem Bundesrath behufs Aufrechthal-
tung der Rechts-Ordnung zugewiesen sind, haben zum Theil schon
Erwähnung gefunden. Es sind folgende:

1. Die dem Bundesrathe in Art. 7 Abs. 3 übertragene Be-
schlußfassung über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichs-
gesetze hervortreten, schließt in gewissem Grade eine Verwaltungs-
Jurisdiktion in sich, indem der Beschluß ein Urtheil darüber ent-
halten kann, ob eine Bestimmung eines Reichsgesetzes oder einer
Bundesraths-Verordnung richtig oder falsch ausgelegt resp. ange-
wendet worden ist. Gewöhnlich hat ein solcher Beschluß aber nicht
die formelle Kraft einer Entscheidung. Die Angelegenheit, welche
Veranlassung zu dem Beschluß gegeben, kann längst definitiv er-
ledigt sein oder aus Gründen, welche mit der vom Bundesrath
beschlossenen Gesetzes-Auslegung in keinem Zusammenhange stehen,
ihre Erledigung finden. Auch erfolgt dieselbe formell der Regel
nach durch die competenten Behörden des Einzelstaates oder, so
weit das Reich die Verwaltung selbst führt, durch die Central-
Verwaltungsbehörden des Reiches. Der Beschluß des Bundes-
rathes dient den obersten Verwaltungsbehörden eben nur als
Richtschnur 1).

In einzelnen Fällen steht dem Bundesrath oder Bundesraths-
Ausschüssen aber eine formell wirksame, verwaltungsgerichtliche
Entscheidung zu.

So bestimmt das Ges. v. 30. Mai 1873 Art. IV Abs. 2

1) Ein anschauliches Beispiel liefert folgender Vorgang: In der Bundes-
raths-Sitzung vom 27. Febr. 1871 (Protok. §. 48) theilte der Vorsitzende mit,
daß zwischen dem Bundeskanzler-Amt einerseits und dem Senat zu Bremen
andererseits eine Meinungsverschiedenheit darüber obwaltet, ob eine in Bremen
erlassene, das Betreten von Privathäusern durch Hausirer verbietende Verord-
nung mit der Reichs-Gewerbe-Ordnung im Widerspruch stehe oder nicht. Auf
seinen Antrag wurde beschlossen, den IV. Ausschuß mit der Berichterstattung
zu beauftragen.
Auf den Bericht des Ausschusses beschloß der Bundesrath am 12. Nov.
1871 (Protok. §. 553), daß die Verordn. mit den Absichten, welche zur Fest-
stellung des Titels 3 der Gew.-Ordn. in seiner jetzigen Fassung geführt haben,
nicht im Einklange stehe. Der Bevollmächtigte für Bremen erklärte darauf,
daß der Senat die Verordn. wieder aufheben werde.
§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
III. Der Bundesrath als Organ der Rechtspflege.

Die Funktionen, welche dem Bundesrath behufs Aufrechthal-
tung der Rechts-Ordnung zugewieſen ſind, haben zum Theil ſchon
Erwähnung gefunden. Es ſind folgende:

1. Die dem Bundesrathe in Art. 7 Abſ. 3 übertragene Be-
ſchlußfaſſung über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichs-
geſetze hervortreten, ſchließt in gewiſſem Grade eine Verwaltungs-
Jurisdiktion in ſich, indem der Beſchluß ein Urtheil darüber ent-
halten kann, ob eine Beſtimmung eines Reichsgeſetzes oder einer
Bundesraths-Verordnung richtig oder falſch ausgelegt reſp. ange-
wendet worden iſt. Gewöhnlich hat ein ſolcher Beſchluß aber nicht
die formelle Kraft einer Entſcheidung. Die Angelegenheit, welche
Veranlaſſung zu dem Beſchluß gegeben, kann längſt definitiv er-
ledigt ſein oder aus Gründen, welche mit der vom Bundesrath
beſchloſſenen Geſetzes-Auslegung in keinem Zuſammenhange ſtehen,
ihre Erledigung finden. Auch erfolgt dieſelbe formell der Regel
nach durch die competenten Behörden des Einzelſtaates oder, ſo
weit das Reich die Verwaltung ſelbſt führt, durch die Central-
Verwaltungsbehörden des Reiches. Der Beſchluß des Bundes-
rathes dient den oberſten Verwaltungsbehörden eben nur als
Richtſchnur 1).

In einzelnen Fällen ſteht dem Bundesrath oder Bundesraths-
Ausſchüſſen aber eine formell wirkſame, verwaltungsgerichtliche
Entſcheidung zu.

So beſtimmt das Geſ. v. 30. Mai 1873 Art. IV Abſ. 2

1) Ein anſchauliches Beiſpiel liefert folgender Vorgang: In der Bundes-
raths-Sitzung vom 27. Febr. 1871 (Protok. §. 48) theilte der Vorſitzende mit,
daß zwiſchen dem Bundeskanzler-Amt einerſeits und dem Senat zu Bremen
andererſeits eine Meinungsverſchiedenheit darüber obwaltet, ob eine in Bremen
erlaſſene, das Betreten von Privathäuſern durch Hauſirer verbietende Verord-
nung mit der Reichs-Gewerbe-Ordnung im Widerſpruch ſtehe oder nicht. Auf
ſeinen Antrag wurde beſchloſſen, den IV. Ausſchuß mit der Berichterſtattung
zu beauftragen.
Auf den Bericht des Ausſchuſſes beſchloß der Bundesrath am 12. Nov.
1871 (Protok. §. 553), daß die Verordn. mit den Abſichten, welche zur Feſt-
ſtellung des Titels 3 der Gew.-Ordn. in ſeiner jetzigen Faſſung geführt haben,
nicht im Einklange ſtehe. Der Bevollmächtigte für Bremen erklärte darauf,
daß der Senat die Verordn. wieder aufheben werde.
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[266/0286] §. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches. III. Der Bundesrath als Organ der Rechtspflege. Die Funktionen, welche dem Bundesrath behufs Aufrechthal- tung der Rechts-Ordnung zugewieſen ſind, haben zum Theil ſchon Erwähnung gefunden. Es ſind folgende: 1. Die dem Bundesrathe in Art. 7 Abſ. 3 übertragene Be- ſchlußfaſſung über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichs- geſetze hervortreten, ſchließt in gewiſſem Grade eine Verwaltungs- Jurisdiktion in ſich, indem der Beſchluß ein Urtheil darüber ent- halten kann, ob eine Beſtimmung eines Reichsgeſetzes oder einer Bundesraths-Verordnung richtig oder falſch ausgelegt reſp. ange- wendet worden iſt. Gewöhnlich hat ein ſolcher Beſchluß aber nicht die formelle Kraft einer Entſcheidung. Die Angelegenheit, welche Veranlaſſung zu dem Beſchluß gegeben, kann längſt definitiv er- ledigt ſein oder aus Gründen, welche mit der vom Bundesrath beſchloſſenen Geſetzes-Auslegung in keinem Zuſammenhange ſtehen, ihre Erledigung finden. Auch erfolgt dieſelbe formell der Regel nach durch die competenten Behörden des Einzelſtaates oder, ſo weit das Reich die Verwaltung ſelbſt führt, durch die Central- Verwaltungsbehörden des Reiches. Der Beſchluß des Bundes- rathes dient den oberſten Verwaltungsbehörden eben nur als Richtſchnur 1). In einzelnen Fällen ſteht dem Bundesrath oder Bundesraths- Ausſchüſſen aber eine formell wirkſame, verwaltungsgerichtliche Entſcheidung zu. So beſtimmt das Geſ. v. 30. Mai 1873 Art. IV Abſ. 2 1) Ein anſchauliches Beiſpiel liefert folgender Vorgang: In der Bundes- raths-Sitzung vom 27. Febr. 1871 (Protok. §. 48) theilte der Vorſitzende mit, daß zwiſchen dem Bundeskanzler-Amt einerſeits und dem Senat zu Bremen andererſeits eine Meinungsverſchiedenheit darüber obwaltet, ob eine in Bremen erlaſſene, das Betreten von Privathäuſern durch Hauſirer verbietende Verord- nung mit der Reichs-Gewerbe-Ordnung im Widerſpruch ſtehe oder nicht. Auf ſeinen Antrag wurde beſchloſſen, den IV. Ausſchuß mit der Berichterſtattung zu beauftragen. Auf den Bericht des Ausſchuſſes beſchloß der Bundesrath am 12. Nov. 1871 (Protok. §. 553), daß die Verordn. mit den Abſichten, welche zur Feſt- ſtellung des Titels 3 der Gew.-Ordn. in ſeiner jetzigen Faſſung geführt haben, nicht im Einklange ſtehe. Der Bevollmächtigte für Bremen erklärte darauf, daß der Senat die Verordn. wieder aufheben werde.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/286>, abgerufen am 20.04.2024.