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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 8. Der Begriff des Bundesstaates.
willens. Es ist eine unabweisbare Konsequenz aus Art. 78, daß
die gesammte Rechtssphäre der Einzelstaaten zur Disposition des
verfassungsmäßig erklärten Willens des Reiches steht.

Nimmt man zu dem Allen noch hinzu, daß die Zugehörigkeit
zum Reiche von keinem einzelnen Staate willkürlich gelöst werden
darf, daß es keine rechtliche Möglichkeit des Ausscheidens aus dem
Reiche giebt und es mithin nicht von dem Willen des Einzelstaates
abhängig ist, ob er dieser dem Reiche übertragenen Machtfülle
unterworfen bleiben will oder nicht, so muß man den Beweis als
erbracht anerkennen, daß das Reich ein selbstständiges Willens-
und Rechtssubject, eine staatsrechtliche Person ist. Und da nach
dem Eingange der Verfassung das Reich gegründet ist "zum
Schutze des Bundesgebiets und des innerhalb des-
selben gültigen Rechts, sowie zur Pflege der
Wohlfahrt des deutschen Volkes
," da dem Reiche daher
eine Willens- und Handlungssphäre von solchem Umfange zuge-
wiesen ist, wie er überhaupt nur möglich ist für die Willens- und
Handlungssphäre eines Staates, da die Bethätigung dieses Wollens
und Handelns auf ein bestimmtes Gebiet und eine bestimmte Be-
völkerung sich erstreckt, da sie rechtlich normirt und geordnet ist,
so entspricht das Reich allen begrifflichen Erfordernissen und Merk-
malen eines Staates.

§ 8. Der Begriff des Bundesstaates.

Im einfachen Staate sind Land und Leute unmittelbar
der Herrschaft, den Hoheitsrechten des Staates unterworfen, die
Staatsgewalt richtet sich direct gegen das dem Staate zugehörige
Gebiet und die auf demselben ansässigen Bewohner. Mitglieder
des Staates sind die einzelnen Individuen, und als solche sind
sie das Object der dem Staate zustehenden öffentlichen Rechte (Un-
terthanen).

Der zusammengesetzte Staat unterscheidet sich hievon
dadurch, daß eine doppelte (oder mehrfache) Gliederung stattfindet.
Land und Leute sind zunächst einer Unter-Staatsgewalt unterworfen
und die Staaten einer Ober-Staatsgewalt, welche wir mit dem
Ausdruck Reichsgewalt bezeichnen. Das directe, unmittelbare Ob-
ject der in der Reichsgewalt enthaltenen Herrschaftsrechte sind die
Staaten; die Staaten als Einheiten, als juristische Personen

§. 8. Der Begriff des Bundesſtaates.
willens. Es iſt eine unabweisbare Konſequenz aus Art. 78, daß
die geſammte Rechtsſphäre der Einzelſtaaten zur Dispoſition des
verfaſſungsmäßig erklärten Willens des Reiches ſteht.

Nimmt man zu dem Allen noch hinzu, daß die Zugehörigkeit
zum Reiche von keinem einzelnen Staate willkürlich gelöſt werden
darf, daß es keine rechtliche Möglichkeit des Ausſcheidens aus dem
Reiche giebt und es mithin nicht von dem Willen des Einzelſtaates
abhängig iſt, ob er dieſer dem Reiche übertragenen Machtfülle
unterworfen bleiben will oder nicht, ſo muß man den Beweis als
erbracht anerkennen, daß das Reich ein ſelbſtſtändiges Willens-
und Rechtsſubject, eine ſtaatsrechtliche Perſon iſt. Und da nach
dem Eingange der Verfaſſung das Reich gegründet iſt „zum
Schutze des Bundesgebiets und des innerhalb deſ-
ſelben gültigen Rechts, ſowie zur Pflege der
Wohlfahrt des deutſchen Volkes
,“ da dem Reiche daher
eine Willens- und Handlungsſphäre von ſolchem Umfange zuge-
wieſen iſt, wie er überhaupt nur möglich iſt für die Willens- und
Handlungsſphäre eines Staates, da die Bethätigung dieſes Wollens
und Handelns auf ein beſtimmtes Gebiet und eine beſtimmte Be-
völkerung ſich erſtreckt, da ſie rechtlich normirt und geordnet iſt,
ſo entſpricht das Reich allen begrifflichen Erforderniſſen und Merk-
malen eines Staates.

§ 8. Der Begriff des Bundesſtaates.

Im einfachen Staate ſind Land und Leute unmittelbar
der Herrſchaft, den Hoheitsrechten des Staates unterworfen, die
Staatsgewalt richtet ſich direct gegen das dem Staate zugehörige
Gebiet und die auf demſelben anſäſſigen Bewohner. Mitglieder
des Staates ſind die einzelnen Individuen, und als ſolche ſind
ſie das Object der dem Staate zuſtehenden öffentlichen Rechte (Un-
terthanen).

Der zuſammengeſetzte Staat unterſcheidet ſich hievon
dadurch, daß eine doppelte (oder mehrfache) Gliederung ſtattfindet.
Land und Leute ſind zunächſt einer Unter-Staatsgewalt unterworfen
und die Staaten einer Ober-Staatsgewalt, welche wir mit dem
Ausdruck Reichsgewalt bezeichnen. Das directe, unmittelbare Ob-
ject der in der Reichsgewalt enthaltenen Herrſchaftsrechte ſind die
Staaten; die Staaten als Einheiten, als juriſtiſche Perſonen

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[70/0090] §. 8. Der Begriff des Bundesſtaates. willens. Es iſt eine unabweisbare Konſequenz aus Art. 78, daß die geſammte Rechtsſphäre der Einzelſtaaten zur Dispoſition des verfaſſungsmäßig erklärten Willens des Reiches ſteht. Nimmt man zu dem Allen noch hinzu, daß die Zugehörigkeit zum Reiche von keinem einzelnen Staate willkürlich gelöſt werden darf, daß es keine rechtliche Möglichkeit des Ausſcheidens aus dem Reiche giebt und es mithin nicht von dem Willen des Einzelſtaates abhängig iſt, ob er dieſer dem Reiche übertragenen Machtfülle unterworfen bleiben will oder nicht, ſo muß man den Beweis als erbracht anerkennen, daß das Reich ein ſelbſtſtändiges Willens- und Rechtsſubject, eine ſtaatsrechtliche Perſon iſt. Und da nach dem Eingange der Verfaſſung das Reich gegründet iſt „zum Schutze des Bundesgebiets und des innerhalb deſ- ſelben gültigen Rechts, ſowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutſchen Volkes,“ da dem Reiche daher eine Willens- und Handlungsſphäre von ſolchem Umfange zuge- wieſen iſt, wie er überhaupt nur möglich iſt für die Willens- und Handlungsſphäre eines Staates, da die Bethätigung dieſes Wollens und Handelns auf ein beſtimmtes Gebiet und eine beſtimmte Be- völkerung ſich erſtreckt, da ſie rechtlich normirt und geordnet iſt, ſo entſpricht das Reich allen begrifflichen Erforderniſſen und Merk- malen eines Staates. § 8. Der Begriff des Bundesſtaates. Im einfachen Staate ſind Land und Leute unmittelbar der Herrſchaft, den Hoheitsrechten des Staates unterworfen, die Staatsgewalt richtet ſich direct gegen das dem Staate zugehörige Gebiet und die auf demſelben anſäſſigen Bewohner. Mitglieder des Staates ſind die einzelnen Individuen, und als ſolche ſind ſie das Object der dem Staate zuſtehenden öffentlichen Rechte (Un- terthanen). Der zuſammengeſetzte Staat unterſcheidet ſich hievon dadurch, daß eine doppelte (oder mehrfache) Gliederung ſtattfindet. Land und Leute ſind zunächſt einer Unter-Staatsgewalt unterworfen und die Staaten einer Ober-Staatsgewalt, welche wir mit dem Ausdruck Reichsgewalt bezeichnen. Das directe, unmittelbare Ob- ject der in der Reichsgewalt enthaltenen Herrſchaftsrechte ſind die Staaten; die Staaten als Einheiten, als juriſtiſche Perſonen

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/90>, abgerufen am 29.03.2024.