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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
früherer Zeit verstand man auch unter Autonomie, gerade wie
jetzt vielfach unter Selbstverwaltung, die natürliche Freiheit des
Menschen, seine Rechtsverhältnisse durch Willensacte zu ordnen 1).

Dieser Begriff ist kein Rechtsbegriff, sondern nur der Aus-
druck für die rechtlich anerkannte Willens- und Handlungsfähigkeit.
Autonomie ist, im juristischen Sinne, immer eine gesetzgebende
Gewalt
. Aber sie steht im Gegensatz zur Souveränetät. Selbst-
gesetzgebung kann man nur demjenigen Gemeinwesen als besondere
Eigenschaft zuschreiben, dem die Gesetze auch von einer über ihm
stehenden Gewalt gegeben werden könnten; die wahrhaft sou-
veräne Gewalt kann keine Gesetze von außen erhalten, es würde
daher eine selbstverständliche Trivialität sein, von ihr auszusagen,
daß sie die Befugniß habe, sich selbst Gesetze zu geben. Autono-
mie, als ein juristisch relevanter Begriff setzt daher eine nicht
souveräne, öffentlich rechtliche Gewalt voraus, der die Befugniß
zusteht, kraft eigenen Rechts, nicht auf Grund bloßer Delegation,
verbindliche Rechtsnormen aufzustellen. Der Mangel der Souveräne-
tät tritt bei dieser Gesetzgebungsgewalt zu Tage, indem sie sich
innerhalb der Gränzen halten muß, die der Souverän der Auto-
nomie gesteckt hat, und indem sie keine Rechtsnormen aufstellen kann,
welche den vom Souverän aufgestellten widersprechen. Die erste
dieser beiden Schranken ist für die Einzelstaaten aufgerichtet durch
Art. 78 Abs. 1 der Reichsverfassung, welcher dem Reich die Be-
fugniß giebt, die Gränzlinien der Autonomie der Einzelstaaten
nach seinem Belieben zu verrücken; die zweite Schranke enthält
Art. 2 der Reichsverfassung, wonach die Reichsgesetze den Landes-
gesetzen vorgehen 2).

Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß soweit die
Autonomie der Einzelstaaten reicht, ihnen auch die Verwaltung
(Regierung) im vollen Umfange zusteht.


1) Vgl. darüber v. Gerber Ges. Jurist. Abh. I. S. 36.
2) Ein Beispiel dafür, daß selbst hinsichtlich des Landes verfassungs-
rechtes die Einzelstaaten zwar Autonomie haben, jedoch nicht souverän sind,
giebt der §. 49 des Reichsmilitärgesetzes vom 2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. S. 59),
welcher ausspricht, daß für Militärpersonen die Berechtigung zum Wählen
in Betreff der einzelnen Landesvertretungen ruht und daß besondere Militär-
Wahlbezirke nicht gebildet werden dürfen. Hierdurch ist namentlich das Preuß.
Wahlgesetz vom 30. Mai 1849 § 9 verändert worden.

§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
früherer Zeit verſtand man auch unter Autonomie, gerade wie
jetzt vielfach unter Selbſtverwaltung, die natürliche Freiheit des
Menſchen, ſeine Rechtsverhältniſſe durch Willensacte zu ordnen 1).

Dieſer Begriff iſt kein Rechtsbegriff, ſondern nur der Aus-
druck für die rechtlich anerkannte Willens- und Handlungsfähigkeit.
Autonomie iſt, im juriſtiſchen Sinne, immer eine geſetzgebende
Gewalt
. Aber ſie ſteht im Gegenſatz zur Souveränetät. Selbſt-
geſetzgebung kann man nur demjenigen Gemeinweſen als beſondere
Eigenſchaft zuſchreiben, dem die Geſetze auch von einer über ihm
ſtehenden Gewalt gegeben werden könnten; die wahrhaft ſou-
veräne Gewalt kann keine Geſetze von außen erhalten, es würde
daher eine ſelbſtverſtändliche Trivialität ſein, von ihr auszuſagen,
daß ſie die Befugniß habe, ſich ſelbſt Geſetze zu geben. Autono-
mie, als ein juriſtiſch relevanter Begriff ſetzt daher eine nicht
ſouveräne, öffentlich rechtliche Gewalt voraus, der die Befugniß
zuſteht, kraft eigenen Rechts, nicht auf Grund bloßer Delegation,
verbindliche Rechtsnormen aufzuſtellen. Der Mangel der Souveräne-
tät tritt bei dieſer Geſetzgebungsgewalt zu Tage, indem ſie ſich
innerhalb der Gränzen halten muß, die der Souverän der Auto-
nomie geſteckt hat, und indem ſie keine Rechtsnormen aufſtellen kann,
welche den vom Souverän aufgeſtellten widerſprechen. Die erſte
dieſer beiden Schranken iſt für die Einzelſtaaten aufgerichtet durch
Art. 78 Abſ. 1 der Reichsverfaſſung, welcher dem Reich die Be-
fugniß giebt, die Gränzlinien der Autonomie der Einzelſtaaten
nach ſeinem Belieben zu verrücken; die zweite Schranke enthält
Art. 2 der Reichsverfaſſung, wonach die Reichsgeſetze den Landes-
geſetzen vorgehen 2).

Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß ſoweit die
Autonomie der Einzelſtaaten reicht, ihnen auch die Verwaltung
(Regierung) im vollen Umfange zuſteht.


1) Vgl. darüber v. Gerber Geſ. Juriſt. Abh. I. S. 36.
2) Ein Beiſpiel dafür, daß ſelbſt hinſichtlich des Landes verfaſſungs-
rechtes die Einzelſtaaten zwar Autonomie haben, jedoch nicht ſouverän ſind,
giebt der §. 49 des Reichsmilitärgeſetzes vom 2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. S. 59),
welcher ausſpricht, daß für Militärperſonen die Berechtigung zum Wählen
in Betreff der einzelnen Landesvertretungen ruht und daß beſondere Militär-
Wahlbezirke nicht gebildet werden dürfen. Hierdurch iſt namentlich das Preuß.
Wahlgeſetz vom 30. Mai 1849 § 9 verändert worden.
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[108/0128] §. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich. früherer Zeit verſtand man auch unter Autonomie, gerade wie jetzt vielfach unter Selbſtverwaltung, die natürliche Freiheit des Menſchen, ſeine Rechtsverhältniſſe durch Willensacte zu ordnen 1). Dieſer Begriff iſt kein Rechtsbegriff, ſondern nur der Aus- druck für die rechtlich anerkannte Willens- und Handlungsfähigkeit. Autonomie iſt, im juriſtiſchen Sinne, immer eine geſetzgebende Gewalt. Aber ſie ſteht im Gegenſatz zur Souveränetät. Selbſt- geſetzgebung kann man nur demjenigen Gemeinweſen als beſondere Eigenſchaft zuſchreiben, dem die Geſetze auch von einer über ihm ſtehenden Gewalt gegeben werden könnten; die wahrhaft ſou- veräne Gewalt kann keine Geſetze von außen erhalten, es würde daher eine ſelbſtverſtändliche Trivialität ſein, von ihr auszuſagen, daß ſie die Befugniß habe, ſich ſelbſt Geſetze zu geben. Autono- mie, als ein juriſtiſch relevanter Begriff ſetzt daher eine nicht ſouveräne, öffentlich rechtliche Gewalt voraus, der die Befugniß zuſteht, kraft eigenen Rechts, nicht auf Grund bloßer Delegation, verbindliche Rechtsnormen aufzuſtellen. Der Mangel der Souveräne- tät tritt bei dieſer Geſetzgebungsgewalt zu Tage, indem ſie ſich innerhalb der Gränzen halten muß, die der Souverän der Auto- nomie geſteckt hat, und indem ſie keine Rechtsnormen aufſtellen kann, welche den vom Souverän aufgeſtellten widerſprechen. Die erſte dieſer beiden Schranken iſt für die Einzelſtaaten aufgerichtet durch Art. 78 Abſ. 1 der Reichsverfaſſung, welcher dem Reich die Be- fugniß giebt, die Gränzlinien der Autonomie der Einzelſtaaten nach ſeinem Belieben zu verrücken; die zweite Schranke enthält Art. 2 der Reichsverfaſſung, wonach die Reichsgeſetze den Landes- geſetzen vorgehen 2). Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß ſoweit die Autonomie der Einzelſtaaten reicht, ihnen auch die Verwaltung (Regierung) im vollen Umfange zuſteht. 1) Vgl. darüber v. Gerber Geſ. Juriſt. Abh. I. S. 36. 2) Ein Beiſpiel dafür, daß ſelbſt hinſichtlich des Landes verfaſſungs- rechtes die Einzelſtaaten zwar Autonomie haben, jedoch nicht ſouverän ſind, giebt der §. 49 des Reichsmilitärgeſetzes vom 2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. S. 59), welcher ausſpricht, daß für Militärperſonen die Berechtigung zum Wählen in Betreff der einzelnen Landesvertretungen ruht und daß beſondere Militär- Wahlbezirke nicht gebildet werden dürfen. Hierdurch iſt namentlich das Preuß. Wahlgeſetz vom 30. Mai 1849 § 9 verändert worden.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/128>, abgerufen am 25.04.2024.