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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 19. Das Indigenat. des Art. 3 der Reichsverfassung.
keit gar nicht mehr vorhanden, daß für die Angehörigen eines
einzelnen Staates günstigere oder überhaupt andere Vorschriften
als für die Angehörigen der übrigen deutschen Staaten bestehen.
Soweit ist daher der Art. 3 erledigt, für seine Anwendung kein
Raum mehr geblieben 1). Seine Bedeutung hat er aber noch nicht
verloren; denn abgesehen von sämmtlichen, noch nicht gemeinrecht-
lich (reichsgesetzlich) normirten Gebieten, z. B. der direkten Steuern,
des Privatrechts u. s. w. 2), erweist er sich wirksam in einer
materiellen und in einer formellen Beziehung.

1. Materiell ist er eine Schranke für die Autonomie
der Einzelstaaten, soweit die oben erwähnten Reichsgesetze dieselbe
fortbestehen lassen. Dies gilt namentlich von der Landesgesetz-
gebung in Strafsachen und in Gewerbe-Angelegenheiten, welche
das Einf.-Ges. zum Strafgesetzb. §. 2, 5 und 8 und die Gewerbe-
Ordnung §. 7, 8, 9, 21, 23, 28 u. s. w. in großem Umfange
aufrecht erhalten haben.

2. Formell ist er auch eine Schranke für die Reichs-
gesetzgebung
, welche zwar die oben erwähnten und später noch
zu erlassenden Gesetze im Wege der einfachen Gesetzgebung verändern
oder aufheben kann, welche aber den für Verfassungsänderungen
vorgeschriebenen Erfordernissen genügen müßte, wenn ein solches
späteres Gesetz den Grundsatz der Rechtsgleichheit unter Einheimischen
und den Angehörigen anderer Bundesstaaten etwa verletzen sollte.

Hierauf beschränkt sich aber auch die staatsrechtliche
Bedeutung des Art. 3. Die Einzelbestimmungen der Gesetze, zu
deren Erlaß er Veranlassung gegeben hat, namentlich der Gesetze

1) Man kann auch nicht sagen, daß das Reichsbürgerrecht im subj. Sinn
wenn nicht durch Art. 3, so doch jedenfalls jetzt durch diese Gesetze, gleichsam
die Ausführungsgesetze des Art. 3, einen materiellen Rechtsinhalt bekommen
habe. Nach Maßgabe der Gewerbe-Ordnung ein Gewerbe betreiben oder nach
Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes einen Wohnsitz begründen zu dürfen, ist
ebenso wenig ein Recht im subjectiven Sinn, als nach Maaßgabe des Civil-
rechts Darlehnsgläubiger, Miether, Servitutberechtigter oder Eigenthümer
werden zu dürfen. Will man hier von einem Rechte reden, so ist es nur das
eine, weit umfassende Recht, unter dem Schutz der Gesetze zu stehen, welches wie
oben S. 154 ausgeführt, allerdings in dem Staats- resp. Reichsbürgerrecht ent-
halten ist.
2) Ueber die Auslegung des Wortes "Ausländer" im Art. 84 der Wechs.-
Ordn. vgl. Urth. des Reichs-Oberhandelsgerichts Bd. 6 S. 357 ff.

§. 19. Das Indigenat. des Art. 3 der Reichsverfaſſung.
keit gar nicht mehr vorhanden, daß für die Angehörigen eines
einzelnen Staates günſtigere oder überhaupt andere Vorſchriften
als für die Angehörigen der übrigen deutſchen Staaten beſtehen.
Soweit iſt daher der Art. 3 erledigt, für ſeine Anwendung kein
Raum mehr geblieben 1). Seine Bedeutung hat er aber noch nicht
verloren; denn abgeſehen von ſämmtlichen, noch nicht gemeinrecht-
lich (reichsgeſetzlich) normirten Gebieten, z. B. der direkten Steuern,
des Privatrechts u. ſ. w. 2), erweiſt er ſich wirkſam in einer
materiellen und in einer formellen Beziehung.

1. Materiell iſt er eine Schranke für die Autonomie
der Einzelſtaaten, ſoweit die oben erwähnten Reichsgeſetze dieſelbe
fortbeſtehen laſſen. Dies gilt namentlich von der Landesgeſetz-
gebung in Strafſachen und in Gewerbe-Angelegenheiten, welche
das Einf.-Geſ. zum Strafgeſetzb. §. 2, 5 und 8 und die Gewerbe-
Ordnung §. 7, 8, 9, 21, 23, 28 u. ſ. w. in großem Umfange
aufrecht erhalten haben.

2. Formell iſt er auch eine Schranke für die Reichs-
geſetzgebung
, welche zwar die oben erwähnten und ſpäter noch
zu erlaſſenden Geſetze im Wege der einfachen Geſetzgebung verändern
oder aufheben kann, welche aber den für Verfaſſungsänderungen
vorgeſchriebenen Erforderniſſen genügen müßte, wenn ein ſolches
ſpäteres Geſetz den Grundſatz der Rechtsgleichheit unter Einheimiſchen
und den Angehörigen anderer Bundesſtaaten etwa verletzen ſollte.

Hierauf beſchränkt ſich aber auch die ſtaatsrechtliche
Bedeutung des Art. 3. Die Einzelbeſtimmungen der Geſetze, zu
deren Erlaß er Veranlaſſung gegeben hat, namentlich der Geſetze

1) Man kann auch nicht ſagen, daß das Reichsbürgerrecht im ſubj. Sinn
wenn nicht durch Art. 3, ſo doch jedenfalls jetzt durch dieſe Geſetze, gleichſam
die Ausführungsgeſetze des Art. 3, einen materiellen Rechtsinhalt bekommen
habe. Nach Maßgabe der Gewerbe-Ordnung ein Gewerbe betreiben oder nach
Maßgabe des Freizügigkeitsgeſetzes einen Wohnſitz begründen zu dürfen, iſt
ebenſo wenig ein Recht im ſubjectiven Sinn, als nach Maaßgabe des Civil-
rechts Darlehnsgläubiger, Miether, Servitutberechtigter oder Eigenthümer
werden zu dürfen. Will man hier von einem Rechte reden, ſo iſt es nur das
eine, weit umfaſſende Recht, unter dem Schutz der Geſetze zu ſtehen, welches wie
oben S. 154 ausgeführt, allerdings in dem Staats- reſp. Reichsbürgerrecht ent-
halten iſt.
2) Ueber die Auslegung des Wortes „Ausländer“ im Art. 84 der Wechſ.-
Ordn. vgl. Urth. des Reichs-Oberhandelsgerichts Bd. 6 S. 357 ff.
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[181/0201] §. 19. Das Indigenat. des Art. 3 der Reichsverfaſſung. keit gar nicht mehr vorhanden, daß für die Angehörigen eines einzelnen Staates günſtigere oder überhaupt andere Vorſchriften als für die Angehörigen der übrigen deutſchen Staaten beſtehen. Soweit iſt daher der Art. 3 erledigt, für ſeine Anwendung kein Raum mehr geblieben 1). Seine Bedeutung hat er aber noch nicht verloren; denn abgeſehen von ſämmtlichen, noch nicht gemeinrecht- lich (reichsgeſetzlich) normirten Gebieten, z. B. der direkten Steuern, des Privatrechts u. ſ. w. 2), erweiſt er ſich wirkſam in einer materiellen und in einer formellen Beziehung. 1. Materiell iſt er eine Schranke für die Autonomie der Einzelſtaaten, ſoweit die oben erwähnten Reichsgeſetze dieſelbe fortbeſtehen laſſen. Dies gilt namentlich von der Landesgeſetz- gebung in Strafſachen und in Gewerbe-Angelegenheiten, welche das Einf.-Geſ. zum Strafgeſetzb. §. 2, 5 und 8 und die Gewerbe- Ordnung §. 7, 8, 9, 21, 23, 28 u. ſ. w. in großem Umfange aufrecht erhalten haben. 2. Formell iſt er auch eine Schranke für die Reichs- geſetzgebung, welche zwar die oben erwähnten und ſpäter noch zu erlaſſenden Geſetze im Wege der einfachen Geſetzgebung verändern oder aufheben kann, welche aber den für Verfaſſungsänderungen vorgeſchriebenen Erforderniſſen genügen müßte, wenn ein ſolches ſpäteres Geſetz den Grundſatz der Rechtsgleichheit unter Einheimiſchen und den Angehörigen anderer Bundesſtaaten etwa verletzen ſollte. Hierauf beſchränkt ſich aber auch die ſtaatsrechtliche Bedeutung des Art. 3. Die Einzelbeſtimmungen der Geſetze, zu deren Erlaß er Veranlaſſung gegeben hat, namentlich der Geſetze 1) Man kann auch nicht ſagen, daß das Reichsbürgerrecht im ſubj. Sinn wenn nicht durch Art. 3, ſo doch jedenfalls jetzt durch dieſe Geſetze, gleichſam die Ausführungsgeſetze des Art. 3, einen materiellen Rechtsinhalt bekommen habe. Nach Maßgabe der Gewerbe-Ordnung ein Gewerbe betreiben oder nach Maßgabe des Freizügigkeitsgeſetzes einen Wohnſitz begründen zu dürfen, iſt ebenſo wenig ein Recht im ſubjectiven Sinn, als nach Maaßgabe des Civil- rechts Darlehnsgläubiger, Miether, Servitutberechtigter oder Eigenthümer werden zu dürfen. Will man hier von einem Rechte reden, ſo iſt es nur das eine, weit umfaſſende Recht, unter dem Schutz der Geſetze zu ſtehen, welches wie oben S. 154 ausgeführt, allerdings in dem Staats- reſp. Reichsbürgerrecht ent- halten iſt. 2) Ueber die Auslegung des Wortes „Ausländer“ im Art. 84 der Wechſ.- Ordn. vgl. Urth. des Reichs-Oberhandelsgerichts Bd. 6 S. 357 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/201>, abgerufen am 25.04.2024.