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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 21. Gebiets-Veränderungen.
mit allen andern, die Unzulässigkeit ihm höhere Lasten und größere,
besondere Opfer zuzumuthen, welches wir oben S. 112. 125 entwickelt
haben, zur Anwendung. Daher könnte z. B. das Deutsche Reich
nordschleswigsche Districte nicht ohne die besondere Zustimmung
des Preußischen Staates an Dänemark abtreten, so wenig wie
bayrische ohne die Zustimmung Bayerns an Oesterreich.

In formeller Beziehung ist zwischen den beiden Fällen der
Ausschließung aus dem Reich und der Abtretung aber ein Unter-
schied. Soll ein Theil eines Staatsgebietes zwar diesem Staat
verbleiben, aber aus dem Reich ausgeschlossen werden, so genügt
ein Reichsgesetz nach Art. 78, welchem der davon betroffene Staat
im Bundesrath zustimmt; denn es handelt sich hier lediglich um
eine Aenderung des Bundesgebietes, nicht um eine Aenderung des
Staatsgebietes. Soll dagegen ein Theil eines Staatsgebietes an
einen auswärtigen Staat abgetreten werden, so ist sowohl ein ver-
fassungsänderndes Staatsgesetz des Einzelstaates als auch ein nach
Art. 78 zu Stande gekommenes Reichsgesetz erforderlich; denn es
handelt sich hier zugleich um eine Aenderung des Staatsgebietes
und des Bundesgebietes 1).

b) Anders gestaltet sich die Frage hinsichtlich der in einem
Friedensschluß zugestandenen Abtretung von Bundesgebiet.
Hier ist die Zustimmung des Staates, dessen Gebiet abgetreten
werden muß, staatsrechtlich nicht erforderlich. Zwar nicht aus
dem Grunde, weil im Falle des Krieges die Rechte der Einzel-
staaten ruhten oder das Prinzip der Gleichberechtigung suspendirt
wäre. Das Reich hat vielmehr grade im Kriege die Pflicht, sie
alle gleichmäßig zu schützen und zu vertreten. Aber die Erfüllung
dieser Pflicht kann thatsächlich unmöglich sein. Wenn nach einem
unglücklichen Kriege das Reich im Friedensschluß zur Abtretung
von Bundesgebiet sich entschließt, so erklärt es eben dadurch, daß

1) Sollte einmal ein Theil von Schleswig an Dänemark abgetreten wer-
den, so müßte demnach zuerst der Preuß. Landtag in verfassungsmäßiger
Weise einem Gesetz zustimmen, welches die abzutretenden Gebiete zum Zweck
ihrer Abtretung aus dem Preuß. Staate ausscheidet oder welches die Preuß.
Regierung ermächtigt, einem Reichsgesetz zuzustimmen, welches diese Abtre-
tung anordnen wird. Vgl. die Verhandlungen des verfassungsgebenden Reichs-
tages vom 18. März 1867 (Stenogr. Ber. I. 219. 220) u. Seydel S. 33 fg.
Unklar Hiersemenzel I. S. 6 und ihm nachschreibend v. Rönne S. 40
Note 4. Abweichender Ansicht Thudichum S. 57.

§. 21. Gebiets-Veränderungen.
mit allen andern, die Unzuläſſigkeit ihm höhere Laſten und größere,
beſondere Opfer zuzumuthen, welches wir oben S. 112. 125 entwickelt
haben, zur Anwendung. Daher könnte z. B. das Deutſche Reich
nordſchleswigſche Diſtricte nicht ohne die beſondere Zuſtimmung
des Preußiſchen Staates an Dänemark abtreten, ſo wenig wie
bayriſche ohne die Zuſtimmung Bayerns an Oeſterreich.

In formeller Beziehung iſt zwiſchen den beiden Fällen der
Ausſchließung aus dem Reich und der Abtretung aber ein Unter-
ſchied. Soll ein Theil eines Staatsgebietes zwar dieſem Staat
verbleiben, aber aus dem Reich ausgeſchloſſen werden, ſo genügt
ein Reichsgeſetz nach Art. 78, welchem der davon betroffene Staat
im Bundesrath zuſtimmt; denn es handelt ſich hier lediglich um
eine Aenderung des Bundesgebietes, nicht um eine Aenderung des
Staatsgebietes. Soll dagegen ein Theil eines Staatsgebietes an
einen auswärtigen Staat abgetreten werden, ſo iſt ſowohl ein ver-
faſſungsänderndes Staatsgeſetz des Einzelſtaates als auch ein nach
Art. 78 zu Stande gekommenes Reichsgeſetz erforderlich; denn es
handelt ſich hier zugleich um eine Aenderung des Staatsgebietes
und des Bundesgebietes 1).

b) Anders geſtaltet ſich die Frage hinſichtlich der in einem
Friedensſchluß zugeſtandenen Abtretung von Bundesgebiet.
Hier iſt die Zuſtimmung des Staates, deſſen Gebiet abgetreten
werden muß, ſtaatsrechtlich nicht erforderlich. Zwar nicht aus
dem Grunde, weil im Falle des Krieges die Rechte der Einzel-
ſtaaten ruhten oder das Prinzip der Gleichberechtigung ſuspendirt
wäre. Das Reich hat vielmehr grade im Kriege die Pflicht, ſie
alle gleichmäßig zu ſchützen und zu vertreten. Aber die Erfüllung
dieſer Pflicht kann thatſächlich unmöglich ſein. Wenn nach einem
unglücklichen Kriege das Reich im Friedensſchluß zur Abtretung
von Bundesgebiet ſich entſchließt, ſo erklärt es eben dadurch, daß

1) Sollte einmal ein Theil von Schleswig an Dänemark abgetreten wer-
den, ſo müßte demnach zuerſt der Preuß. Landtag in verfaſſungsmäßiger
Weiſe einem Geſetz zuſtimmen, welches die abzutretenden Gebiete zum Zweck
ihrer Abtretung aus dem Preuß. Staate ausſcheidet oder welches die Preuß.
Regierung ermächtigt, einem Reichsgeſetz zuzuſtimmen, welches dieſe Abtre-
tung anordnen wird. Vgl. die Verhandlungen des verfaſſungsgebenden Reichs-
tages vom 18. März 1867 (Stenogr. Ber. I. 219. 220) u. Seydel S. 33 fg.
Unklar Hierſemenzel I. S. 6 und ihm nachſchreibend v. Rönne S. 40
Note 4. Abweichender Anſicht Thudichum S. 57.
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[188/0208] §. 21. Gebiets-Veränderungen. mit allen andern, die Unzuläſſigkeit ihm höhere Laſten und größere, beſondere Opfer zuzumuthen, welches wir oben S. 112. 125 entwickelt haben, zur Anwendung. Daher könnte z. B. das Deutſche Reich nordſchleswigſche Diſtricte nicht ohne die beſondere Zuſtimmung des Preußiſchen Staates an Dänemark abtreten, ſo wenig wie bayriſche ohne die Zuſtimmung Bayerns an Oeſterreich. In formeller Beziehung iſt zwiſchen den beiden Fällen der Ausſchließung aus dem Reich und der Abtretung aber ein Unter- ſchied. Soll ein Theil eines Staatsgebietes zwar dieſem Staat verbleiben, aber aus dem Reich ausgeſchloſſen werden, ſo genügt ein Reichsgeſetz nach Art. 78, welchem der davon betroffene Staat im Bundesrath zuſtimmt; denn es handelt ſich hier lediglich um eine Aenderung des Bundesgebietes, nicht um eine Aenderung des Staatsgebietes. Soll dagegen ein Theil eines Staatsgebietes an einen auswärtigen Staat abgetreten werden, ſo iſt ſowohl ein ver- faſſungsänderndes Staatsgeſetz des Einzelſtaates als auch ein nach Art. 78 zu Stande gekommenes Reichsgeſetz erforderlich; denn es handelt ſich hier zugleich um eine Aenderung des Staatsgebietes und des Bundesgebietes 1). b) Anders geſtaltet ſich die Frage hinſichtlich der in einem Friedensſchluß zugeſtandenen Abtretung von Bundesgebiet. Hier iſt die Zuſtimmung des Staates, deſſen Gebiet abgetreten werden muß, ſtaatsrechtlich nicht erforderlich. Zwar nicht aus dem Grunde, weil im Falle des Krieges die Rechte der Einzel- ſtaaten ruhten oder das Prinzip der Gleichberechtigung ſuspendirt wäre. Das Reich hat vielmehr grade im Kriege die Pflicht, ſie alle gleichmäßig zu ſchützen und zu vertreten. Aber die Erfüllung dieſer Pflicht kann thatſächlich unmöglich ſein. Wenn nach einem unglücklichen Kriege das Reich im Friedensſchluß zur Abtretung von Bundesgebiet ſich entſchließt, ſo erklärt es eben dadurch, daß 1) Sollte einmal ein Theil von Schleswig an Dänemark abgetreten wer- den, ſo müßte demnach zuerſt der Preuß. Landtag in verfaſſungsmäßiger Weiſe einem Geſetz zuſtimmen, welches die abzutretenden Gebiete zum Zweck ihrer Abtretung aus dem Preuß. Staate ausſcheidet oder welches die Preuß. Regierung ermächtigt, einem Reichsgeſetz zuzuſtimmen, welches dieſe Abtre- tung anordnen wird. Vgl. die Verhandlungen des verfaſſungsgebenden Reichs- tages vom 18. März 1867 (Stenogr. Ber. I. 219. 220) u. Seydel S. 33 fg. Unklar Hierſemenzel I. S. 6 und ihm nachſchreibend v. Rönne S. 40 Note 4. Abweichender Anſicht Thudichum S. 57.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/208>, abgerufen am 25.04.2024.