Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 22. Der Schutz des Gebietes.
der einzelnen Staatsgebiete; jeder Staat ist verpflichtet, den übrigen
behufs Vertheidigung ihrer Gebiete zu helfen; das Bundesgebiet
ist lediglich die Summe der unter diesen Schutz gestellten Staats-
gebiete. Im Bundesstaat wird durch einen feindlichen Angriff oder
durch einen unbefugten Eingriff eines auswärtigen Staates nicht
blos der Staat, dessen Gebiet davon betroffen ist, sondern der
Bund selbst als völkerrechtlich anerkanntes, staatliches Rechtssub-
ject verletzt. Das Reich vertheidigt sein eigenes Recht, wenn
es Angriffe (oder Eingriffe) auf das Bundesgebiet zurückweist,
während im Staatenbund die nicht unmittelbar verletzten Staaten
durch Leistung der Bundeshülfe ihre vertragsmäßige Pflicht zur
Vertheidigung eines fremden Rechts erfüllen.

Dieser Pflicht des Reiches, das Bundesgebiet als Einheit zu
schützen, entspricht das ausschließliche Recht des Reiches, auswär-
tigen Staaten gegenüber die Gebietshoheit über das ganze Bundes-
gebiet wahrzunehmen und im Inneren des Reiches alle Anordnungen
zu treffen, welche zur Vertheidigung des Bundesgebietes erforder-
lich sind.

1. Dem Auslande gegenüber hat das Reich am Bun-
desgebiet alle diejenigen Rechte, welche nach den Grundsätzen des
Völkerrechts dem Souverän des Einheitsstaates an seinem Staats-
gebiet zustehen und die in dem Satz sich zusammenfassen lassen,
daß jeder andere Staat, soweit ihm nicht rechtsgültig Staatsservi-
tuten bestellt sind, die Ausübung von Hoheitsrechten an dem Bun-
desgebiet unterlassen muß. Hier tritt aber der Unterschied von
Bundesstaat und Staatenbund und die dem ersteren zustehende
stelbstständige Gebietshoheit in einer sehr bemerkenswerthen Weise
hervor. Im Staatenbund kann jeder einzelne Staat einem aus-
wärtigen Staate Staatsservituten bestellen, ihm die Ausübung von
Hoheitsrechten erlauben, Truppen-Durchzüge durch das Land oder
Stationirung von Kriegsschiffen in den Häfen ihm gestatten, Kar-
tell-Konventionen zur Ermöglichung von Gränzüberschreitungen be-
hufs Verfolgung von Schmugglern, Forstfrevlern u. s. w. ab-
schließen. Die übrigen Staaten und die Bundes-Organe haben
kein Einspruchsrecht gegen solche selbstgewollte und bewilligte Be-
schränkungen der dem einzelnen Staate zustehenden Gebietshoheit;
sie haben nur Bundeshülfe zu leisten, bei feindlichen und wider-
rechtlichen Angriffen.


Laband, Reichsstaatsrecht. I. 13

§. 22. Der Schutz des Gebietes.
der einzelnen Staatsgebiete; jeder Staat iſt verpflichtet, den übrigen
behufs Vertheidigung ihrer Gebiete zu helfen; das Bundesgebiet
iſt lediglich die Summe der unter dieſen Schutz geſtellten Staats-
gebiete. Im Bundesſtaat wird durch einen feindlichen Angriff oder
durch einen unbefugten Eingriff eines auswärtigen Staates nicht
blos der Staat, deſſen Gebiet davon betroffen iſt, ſondern der
Bund ſelbſt als völkerrechtlich anerkanntes, ſtaatliches Rechtsſub-
ject verletzt. Das Reich vertheidigt ſein eigenes Recht, wenn
es Angriffe (oder Eingriffe) auf das Bundesgebiet zurückweiſt,
während im Staatenbund die nicht unmittelbar verletzten Staaten
durch Leiſtung der Bundeshülfe ihre vertragsmäßige Pflicht zur
Vertheidigung eines fremden Rechts erfüllen.

Dieſer Pflicht des Reiches, das Bundesgebiet als Einheit zu
ſchützen, entſpricht das ausſchließliche Recht des Reiches, auswär-
tigen Staaten gegenüber die Gebietshoheit über das ganze Bundes-
gebiet wahrzunehmen und im Inneren des Reiches alle Anordnungen
zu treffen, welche zur Vertheidigung des Bundesgebietes erforder-
lich ſind.

1. Dem Auslande gegenüber hat das Reich am Bun-
desgebiet alle diejenigen Rechte, welche nach den Grundſätzen des
Völkerrechts dem Souverän des Einheitsſtaates an ſeinem Staats-
gebiet zuſtehen und die in dem Satz ſich zuſammenfaſſen laſſen,
daß jeder andere Staat, ſoweit ihm nicht rechtsgültig Staatsſervi-
tuten beſtellt ſind, die Ausübung von Hoheitsrechten an dem Bun-
desgebiet unterlaſſen muß. Hier tritt aber der Unterſchied von
Bundesſtaat und Staatenbund und die dem erſteren zuſtehende
ſtelbſtſtändige Gebietshoheit in einer ſehr bemerkenswerthen Weiſe
hervor. Im Staatenbund kann jeder einzelne Staat einem aus-
wärtigen Staate Staatsſervituten beſtellen, ihm die Ausübung von
Hoheitsrechten erlauben, Truppen-Durchzüge durch das Land oder
Stationirung von Kriegsſchiffen in den Häfen ihm geſtatten, Kar-
tell-Konventionen zur Ermöglichung von Gränzüberſchreitungen be-
hufs Verfolgung von Schmugglern, Forſtfrevlern u. ſ. w. ab-
ſchließen. Die übrigen Staaten und die Bundes-Organe haben
kein Einſpruchsrecht gegen ſolche ſelbſtgewollte und bewilligte Be-
ſchränkungen der dem einzelnen Staate zuſtehenden Gebietshoheit;
ſie haben nur Bundeshülfe zu leiſten, bei feindlichen und wider-
rechtlichen Angriffen.


Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0213" n="193"/><fw place="top" type="header">§. 22. Der Schutz des Gebietes.</fw><lb/>
der einzelnen Staatsgebiete; jeder Staat i&#x017F;t verpflichtet, den übrigen<lb/>
behufs Vertheidigung <hi rendition="#g">ihrer</hi> Gebiete zu helfen; das Bundesgebiet<lb/>
i&#x017F;t lediglich die Summe der unter die&#x017F;en Schutz ge&#x017F;tellten Staats-<lb/>
gebiete. Im Bundes&#x017F;taat wird durch einen feindlichen Angriff oder<lb/>
durch einen unbefugten Eingriff eines auswärtigen Staates nicht<lb/>
blos der Staat, de&#x017F;&#x017F;en Gebiet davon betroffen i&#x017F;t, &#x017F;ondern der<lb/>
Bund &#x017F;elb&#x017F;t als völkerrechtlich anerkanntes, &#x017F;taatliches Rechts&#x017F;ub-<lb/>
ject verletzt. Das Reich vertheidigt <hi rendition="#g">&#x017F;ein eigenes</hi> Recht, wenn<lb/>
es Angriffe (oder Eingriffe) auf das Bundesgebiet zurückwei&#x017F;t,<lb/>
während im Staatenbund die nicht unmittelbar verletzten Staaten<lb/>
durch Lei&#x017F;tung der Bundeshülfe ihre vertragsmäßige Pflicht zur<lb/>
Vertheidigung eines <hi rendition="#g">fremden</hi> Rechts erfüllen.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Pflicht des Reiches, das Bundesgebiet als Einheit zu<lb/>
&#x017F;chützen, ent&#x017F;pricht das aus&#x017F;chließliche Recht des Reiches, auswär-<lb/>
tigen Staaten gegenüber die Gebietshoheit über das ganze Bundes-<lb/>
gebiet wahrzunehmen und im Inneren des Reiches alle Anordnungen<lb/>
zu treffen, welche zur Vertheidigung des Bundesgebietes erforder-<lb/>
lich &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>1. <hi rendition="#g">Dem Auslande gegenüber</hi> hat das Reich am Bun-<lb/>
desgebiet alle diejenigen Rechte, welche nach den Grund&#x017F;ätzen des<lb/>
Völkerrechts dem Souverän des Einheits&#x017F;taates an &#x017F;einem Staats-<lb/>
gebiet zu&#x017F;tehen und die in dem Satz &#x017F;ich zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß jeder andere Staat, &#x017F;oweit ihm nicht rechtsgültig Staats&#x017F;ervi-<lb/>
tuten be&#x017F;tellt &#x017F;ind, die Ausübung von Hoheitsrechten an dem Bun-<lb/>
desgebiet unterla&#x017F;&#x017F;en muß. Hier tritt aber der Unter&#x017F;chied von<lb/>
Bundes&#x017F;taat und Staatenbund und die dem er&#x017F;teren zu&#x017F;tehende<lb/>
&#x017F;telb&#x017F;t&#x017F;tändige Gebietshoheit in einer &#x017F;ehr bemerkenswerthen Wei&#x017F;e<lb/>
hervor. Im Staatenbund kann jeder einzelne Staat einem aus-<lb/>
wärtigen Staate Staats&#x017F;ervituten be&#x017F;tellen, ihm die Ausübung von<lb/>
Hoheitsrechten erlauben, Truppen-Durchzüge durch das Land oder<lb/>
Stationirung von Kriegs&#x017F;chiffen in den Häfen ihm ge&#x017F;tatten, Kar-<lb/>
tell-Konventionen zur Ermöglichung von Gränzüber&#x017F;chreitungen be-<lb/>
hufs Verfolgung von Schmugglern, For&#x017F;tfrevlern u. &#x017F;. w. ab-<lb/>
&#x017F;chließen. Die übrigen Staaten und die Bundes-Organe haben<lb/>
kein Ein&#x017F;pruchsrecht gegen &#x017F;olche &#x017F;elb&#x017F;tgewollte und bewilligte Be-<lb/>
&#x017F;chränkungen der dem einzelnen Staate zu&#x017F;tehenden Gebietshoheit;<lb/>
&#x017F;ie haben nur Bundeshülfe zu lei&#x017F;ten, bei feindlichen und wider-<lb/>
rechtlichen Angriffen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Laband</hi>, Reichs&#x017F;taatsrecht. <hi rendition="#aq">I.</hi> 13</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0213] §. 22. Der Schutz des Gebietes. der einzelnen Staatsgebiete; jeder Staat iſt verpflichtet, den übrigen behufs Vertheidigung ihrer Gebiete zu helfen; das Bundesgebiet iſt lediglich die Summe der unter dieſen Schutz geſtellten Staats- gebiete. Im Bundesſtaat wird durch einen feindlichen Angriff oder durch einen unbefugten Eingriff eines auswärtigen Staates nicht blos der Staat, deſſen Gebiet davon betroffen iſt, ſondern der Bund ſelbſt als völkerrechtlich anerkanntes, ſtaatliches Rechtsſub- ject verletzt. Das Reich vertheidigt ſein eigenes Recht, wenn es Angriffe (oder Eingriffe) auf das Bundesgebiet zurückweiſt, während im Staatenbund die nicht unmittelbar verletzten Staaten durch Leiſtung der Bundeshülfe ihre vertragsmäßige Pflicht zur Vertheidigung eines fremden Rechts erfüllen. Dieſer Pflicht des Reiches, das Bundesgebiet als Einheit zu ſchützen, entſpricht das ausſchließliche Recht des Reiches, auswär- tigen Staaten gegenüber die Gebietshoheit über das ganze Bundes- gebiet wahrzunehmen und im Inneren des Reiches alle Anordnungen zu treffen, welche zur Vertheidigung des Bundesgebietes erforder- lich ſind. 1. Dem Auslande gegenüber hat das Reich am Bun- desgebiet alle diejenigen Rechte, welche nach den Grundſätzen des Völkerrechts dem Souverän des Einheitsſtaates an ſeinem Staats- gebiet zuſtehen und die in dem Satz ſich zuſammenfaſſen laſſen, daß jeder andere Staat, ſoweit ihm nicht rechtsgültig Staatsſervi- tuten beſtellt ſind, die Ausübung von Hoheitsrechten an dem Bun- desgebiet unterlaſſen muß. Hier tritt aber der Unterſchied von Bundesſtaat und Staatenbund und die dem erſteren zuſtehende ſtelbſtſtändige Gebietshoheit in einer ſehr bemerkenswerthen Weiſe hervor. Im Staatenbund kann jeder einzelne Staat einem aus- wärtigen Staate Staatsſervituten beſtellen, ihm die Ausübung von Hoheitsrechten erlauben, Truppen-Durchzüge durch das Land oder Stationirung von Kriegsſchiffen in den Häfen ihm geſtatten, Kar- tell-Konventionen zur Ermöglichung von Gränzüberſchreitungen be- hufs Verfolgung von Schmugglern, Forſtfrevlern u. ſ. w. ab- ſchließen. Die übrigen Staaten und die Bundes-Organe haben kein Einſpruchsrecht gegen ſolche ſelbſtgewollte und bewilligte Be- ſchränkungen der dem einzelnen Staate zuſtehenden Gebietshoheit; ſie haben nur Bundeshülfe zu leiſten, bei feindlichen und wider- rechtlichen Angriffen. Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/213
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/213>, abgerufen am 25.04.2024.