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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 27. Wesen des Bundesrathes.
erdacht und erfunden worden, sondern gleichsam von selbst ent-
standen, historisch gegeben gewesen. Die politische Genialität des
Fürsten Bismarck zeigte sich nicht sowohl in der Schöpfung des
Bundesrathes, sondern darin, daß er ihn nicht verwarf, trotzdem
derselbe mit der Theorie vom Bundesstaate und der konstitutio-
nellen Doctrin in unversöhnbarem Contrast zu stehen schien. Wenn
für irgend ein Institut des jetzigen deutschen Reichsstaatsrechtes
die historischen Wurzeln klar erkennbar sind und für das juristische
Verständniß verwerthet werden können, so ist es der Bundes-
rath 1).

Es ist hier daran zu erinnern, daß vor der Gründung des
Norddeutschen Bundes die Preußische Regierung die Reform des
deutschen Bundes durch Einfügung einer Volksvertretung, Abschaf-
fung des Prinzips der Einstimmigkeit und Erweiterung der Com-
petenz angestrebt hat. Dieser Gedanke wurde bei der Neugründung
des Norddeutschen Bundes festgehalten. Er führte von selbst zu
den Grundlinien der Organisation des letzteren und diese Grund-
linien waren schon vor der Errichtung des Norddeutschen Bundes
in Folge des Augustbündnisses verwirklicht, gleichsam provisorisch
eingeführt. Die Commissäre der deutschen Regierungen, welche im
Winter 1866 in Berlin zusammentraten, um den Verfassungsent-
wurf zu berathen, bildeten zusammen ein Collegium, welches im
Wesentlichen dem alten Bundestags-Plenum entsprach, d. h. sie
waren zu einem Kongreß vereinigte, nach Instructionen stimmende
und beschließende Bevollmächtigte völkerrechtlich verbundener Re-
gierungen, das Präsidium und die Leitung der Geschäfte fiel natur-
gemäß dem ersten Vertreter Preußens zu und man hatte in dem
in Aussicht genommenen und im Februar 1867 zusammentretenden
Reichstage das Zusammenwirken von Bundesrath und Reichstag
vor Augen. Man brauchte in der That keine Organisation zu
erfinden, sondern nur die Einrichtungen, welche schon vorhanden
waren und welche gleichsam der natürliche Ausdruck der gegebenen
Verhältnisse, der Reflex der historisch entstandenen Thatsachen
waren, rechtlich zu fixiren und näher zu bestimmen 2).


1) Grade im Gegensatz hierzu nennt ihn v. Mohl S. 228. 230 "eine
ganz eigenthümlich kühne Schöpfung" und eine "proles sine matre creata."
2) Auch für die Neugestaltung des Zollvereins im Jahre 1867 ergab sich
dieselbe Organisation von selbst.

§. 27. Weſen des Bundesrathes.
erdacht und erfunden worden, ſondern gleichſam von ſelbſt ent-
ſtanden, hiſtoriſch gegeben geweſen. Die politiſche Genialität des
Fürſten Bismarck zeigte ſich nicht ſowohl in der Schöpfung des
Bundesrathes, ſondern darin, daß er ihn nicht verwarf, trotzdem
derſelbe mit der Theorie vom Bundesſtaate und der konſtitutio-
nellen Doctrin in unverſöhnbarem Contraſt zu ſtehen ſchien. Wenn
für irgend ein Inſtitut des jetzigen deutſchen Reichsſtaatsrechtes
die hiſtoriſchen Wurzeln klar erkennbar ſind und für das juriſtiſche
Verſtändniß verwerthet werden können, ſo iſt es der Bundes-
rath 1).

Es iſt hier daran zu erinnern, daß vor der Gründung des
Norddeutſchen Bundes die Preußiſche Regierung die Reform des
deutſchen Bundes durch Einfügung einer Volksvertretung, Abſchaf-
fung des Prinzips der Einſtimmigkeit und Erweiterung der Com-
petenz angeſtrebt hat. Dieſer Gedanke wurde bei der Neugründung
des Norddeutſchen Bundes feſtgehalten. Er führte von ſelbſt zu
den Grundlinien der Organiſation des letzteren und dieſe Grund-
linien waren ſchon vor der Errichtung des Norddeutſchen Bundes
in Folge des Auguſtbündniſſes verwirklicht, gleichſam proviſoriſch
eingeführt. Die Commiſſäre der deutſchen Regierungen, welche im
Winter 1866 in Berlin zuſammentraten, um den Verfaſſungsent-
wurf zu berathen, bildeten zuſammen ein Collegium, welches im
Weſentlichen dem alten Bundestags-Plenum entſprach, d. h. ſie
waren zu einem Kongreß vereinigte, nach Inſtructionen ſtimmende
und beſchließende Bevollmächtigte völkerrechtlich verbundener Re-
gierungen, das Präſidium und die Leitung der Geſchäfte fiel natur-
gemäß dem erſten Vertreter Preußens zu und man hatte in dem
in Ausſicht genommenen und im Februar 1867 zuſammentretenden
Reichstage das Zuſammenwirken von Bundesrath und Reichstag
vor Augen. Man brauchte in der That keine Organiſation zu
erfinden, ſondern nur die Einrichtungen, welche ſchon vorhanden
waren und welche gleichſam der natürliche Ausdruck der gegebenen
Verhältniſſe, der Reflex der hiſtoriſch entſtandenen Thatſachen
waren, rechtlich zu fixiren und näher zu beſtimmen 2).


1) Grade im Gegenſatz hierzu nennt ihn v. Mohl S. 228. 230 „eine
ganz eigenthümlich kühne Schöpfung“ und eine „proles sine matre creata.“
2) Auch für die Neugeſtaltung des Zollvereins im Jahre 1867 ergab ſich
dieſelbe Organiſation von ſelbſt.
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[231/0251] §. 27. Weſen des Bundesrathes. erdacht und erfunden worden, ſondern gleichſam von ſelbſt ent- ſtanden, hiſtoriſch gegeben geweſen. Die politiſche Genialität des Fürſten Bismarck zeigte ſich nicht ſowohl in der Schöpfung des Bundesrathes, ſondern darin, daß er ihn nicht verwarf, trotzdem derſelbe mit der Theorie vom Bundesſtaate und der konſtitutio- nellen Doctrin in unverſöhnbarem Contraſt zu ſtehen ſchien. Wenn für irgend ein Inſtitut des jetzigen deutſchen Reichsſtaatsrechtes die hiſtoriſchen Wurzeln klar erkennbar ſind und für das juriſtiſche Verſtändniß verwerthet werden können, ſo iſt es der Bundes- rath 1). Es iſt hier daran zu erinnern, daß vor der Gründung des Norddeutſchen Bundes die Preußiſche Regierung die Reform des deutſchen Bundes durch Einfügung einer Volksvertretung, Abſchaf- fung des Prinzips der Einſtimmigkeit und Erweiterung der Com- petenz angeſtrebt hat. Dieſer Gedanke wurde bei der Neugründung des Norddeutſchen Bundes feſtgehalten. Er führte von ſelbſt zu den Grundlinien der Organiſation des letzteren und dieſe Grund- linien waren ſchon vor der Errichtung des Norddeutſchen Bundes in Folge des Auguſtbündniſſes verwirklicht, gleichſam proviſoriſch eingeführt. Die Commiſſäre der deutſchen Regierungen, welche im Winter 1866 in Berlin zuſammentraten, um den Verfaſſungsent- wurf zu berathen, bildeten zuſammen ein Collegium, welches im Weſentlichen dem alten Bundestags-Plenum entſprach, d. h. ſie waren zu einem Kongreß vereinigte, nach Inſtructionen ſtimmende und beſchließende Bevollmächtigte völkerrechtlich verbundener Re- gierungen, das Präſidium und die Leitung der Geſchäfte fiel natur- gemäß dem erſten Vertreter Preußens zu und man hatte in dem in Ausſicht genommenen und im Februar 1867 zuſammentretenden Reichstage das Zuſammenwirken von Bundesrath und Reichstag vor Augen. Man brauchte in der That keine Organiſation zu erfinden, ſondern nur die Einrichtungen, welche ſchon vorhanden waren und welche gleichſam der natürliche Ausdruck der gegebenen Verhältniſſe, der Reflex der hiſtoriſch entſtandenen Thatſachen waren, rechtlich zu fixiren und näher zu beſtimmen 2). 1) Grade im Gegenſatz hierzu nennt ihn v. Mohl S. 228. 230 „eine ganz eigenthümlich kühne Schöpfung“ und eine „proles sine matre creata.“ 2) Auch für die Neugeſtaltung des Zollvereins im Jahre 1867 ergab ſich dieſelbe Organiſation von ſelbſt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/251>, abgerufen am 19.04.2024.