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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 33. Der Reichskanzler.
wenig die Rede sein, wie von einer derartigen Verantwortlichkeit
des Bevollmächtigten irgend eines andern Bundesgliedes.

3. Die Bevollmächtigten der einzelnen Staaten brauchen nicht
nothwendig auch Beamte derselben zu sein; ebenso ist es nicht
nothwendig, daß der Reichskanzler Preußischer Beamter, insbeson-
dere Preußischer Staatsminister ist. Man kann im Gegentheil
behaupten, daß die wachsende Geschäftslast des Reichskanzlers --
als Reichsminister -- es immer mehr verbieten wird, daß er zu-
gleich in Wirklichkeit Chef eines preußischen Ministeriums ist.
Staatsrechtlich ist es auch keineswegs erforderlich, daß der
Reichskanzler zugleich Preußischer Minister der Auswärtigen An-
gelegenheiten ist; denn nachdem die gesammte Leitung der aus-
wärtigen Angelegenheiten auf das Reich übergegangen ist, bedarf
der Preußische Staat eines Ministers der auswärtigen Angelegen-
heiten gar nicht mehr. Diese Stelle ist neben der des Reichs-
kanzlers eine fast bloß nominelle 1), welche aus dem Behördenor-
ganismus des Preußischen Staates jeden Augenblick gestrichen
werden und dadurch ihre Scheinexistenz verlieren kann, so daß es
unmöglich sein würde, daß der Reichskanzler zugleich Preußi-
scher
Minister des Auswärtigen wäre. Thatsächliche, poli-
tische Gründe zwingender Natur machen es aber nothwendig, daß
der Reichskanzler, gerade weil er der stimmführende Bundesraths-
Bevollmächtigte Preußens ist, an den Berathungen des Preußischen
Staatsministeriums Antheil zu nehmen befugt ist, daß ihm der
Ehrenvorsitz bei diesen Berathungen zusteht, und daß nicht nur
der Deutsche Kaiser und der König von Preußen, sondern auch
der kaiserliche Reichsminister und der erste, leitende preußische
Staatsminister identisch sind.

Hiernach beantwortet sich die Frage, nach der Verantwortlich-
keit des Reichskanzlers gegenüber dem Preußischen Landtage.
Sollte einmal der Fall eintreten, daß der Reichskanzler nicht zu-
gleich Preuß. Staatsminister ist, daß er vielmehr seine Instruk-
tionen vom Preußischen Staatsministerium einfach zugeschickt erhält,
so würden die Grundsätze von der parlamentarischen Minister-
Verantwortlichkeit auf ihn ganz und gar unanwendbar sein; seine

1) Das Preuß. Ministerium der auswärt. Angel. hat nur noch die Be-
ziehungen Preußens zu den anderen Bundes staaten wahrzunehmen und die
Aufsicht über die Preuß. Gesandten an den Deutschen Höfen zu führen.

§. 33. Der Reichskanzler.
wenig die Rede ſein, wie von einer derartigen Verantwortlichkeit
des Bevollmächtigten irgend eines andern Bundesgliedes.

3. Die Bevollmächtigten der einzelnen Staaten brauchen nicht
nothwendig auch Beamte derſelben zu ſein; ebenſo iſt es nicht
nothwendig, daß der Reichskanzler Preußiſcher Beamter, insbeſon-
dere Preußiſcher Staatsminiſter iſt. Man kann im Gegentheil
behaupten, daß die wachſende Geſchäftslaſt des Reichskanzlers —
als Reichsminiſter — es immer mehr verbieten wird, daß er zu-
gleich in Wirklichkeit Chef eines preußiſchen Miniſteriums iſt.
Staatsrechtlich iſt es auch keineswegs erforderlich, daß der
Reichskanzler zugleich Preußiſcher Miniſter der Auswärtigen An-
gelegenheiten iſt; denn nachdem die geſammte Leitung der aus-
wärtigen Angelegenheiten auf das Reich übergegangen iſt, bedarf
der Preußiſche Staat eines Miniſters der auswärtigen Angelegen-
heiten gar nicht mehr. Dieſe Stelle iſt neben der des Reichs-
kanzlers eine faſt bloß nominelle 1), welche aus dem Behördenor-
ganismus des Preußiſchen Staates jeden Augenblick geſtrichen
werden und dadurch ihre Scheinexiſtenz verlieren kann, ſo daß es
unmöglich ſein würde, daß der Reichskanzler zugleich Preußi-
ſcher
Miniſter des Auswärtigen wäre. Thatſächliche, poli-
tiſche Gründe zwingender Natur machen es aber nothwendig, daß
der Reichskanzler, gerade weil er der ſtimmführende Bundesraths-
Bevollmächtigte Preußens iſt, an den Berathungen des Preußiſchen
Staatsminiſteriums Antheil zu nehmen befugt iſt, daß ihm der
Ehrenvorſitz bei dieſen Berathungen zuſteht, und daß nicht nur
der Deutſche Kaiſer und der König von Preußen, ſondern auch
der kaiſerliche Reichsminiſter und der erſte, leitende preußiſche
Staatsminiſter identiſch ſind.

Hiernach beantwortet ſich die Frage, nach der Verantwortlich-
keit des Reichskanzlers gegenüber dem Preußiſchen Landtage.
Sollte einmal der Fall eintreten, daß der Reichskanzler nicht zu-
gleich Preuß. Staatsminiſter iſt, daß er vielmehr ſeine Inſtruk-
tionen vom Preußiſchen Staatsminiſterium einfach zugeſchickt erhält,
ſo würden die Grundſätze von der parlamentariſchen Miniſter-
Verantwortlichkeit auf ihn ganz und gar unanwendbar ſein; ſeine

1) Das Preuß. Miniſterium der auswärt. Angel. hat nur noch die Be-
ziehungen Preußens zu den anderen Bundes ſtaaten wahrzunehmen und die
Aufſicht über die Preuß. Geſandten an den Deutſchen Höfen zu führen.
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[308/0328] §. 33. Der Reichskanzler. wenig die Rede ſein, wie von einer derartigen Verantwortlichkeit des Bevollmächtigten irgend eines andern Bundesgliedes. 3. Die Bevollmächtigten der einzelnen Staaten brauchen nicht nothwendig auch Beamte derſelben zu ſein; ebenſo iſt es nicht nothwendig, daß der Reichskanzler Preußiſcher Beamter, insbeſon- dere Preußiſcher Staatsminiſter iſt. Man kann im Gegentheil behaupten, daß die wachſende Geſchäftslaſt des Reichskanzlers — als Reichsminiſter — es immer mehr verbieten wird, daß er zu- gleich in Wirklichkeit Chef eines preußiſchen Miniſteriums iſt. Staatsrechtlich iſt es auch keineswegs erforderlich, daß der Reichskanzler zugleich Preußiſcher Miniſter der Auswärtigen An- gelegenheiten iſt; denn nachdem die geſammte Leitung der aus- wärtigen Angelegenheiten auf das Reich übergegangen iſt, bedarf der Preußiſche Staat eines Miniſters der auswärtigen Angelegen- heiten gar nicht mehr. Dieſe Stelle iſt neben der des Reichs- kanzlers eine faſt bloß nominelle 1), welche aus dem Behördenor- ganismus des Preußiſchen Staates jeden Augenblick geſtrichen werden und dadurch ihre Scheinexiſtenz verlieren kann, ſo daß es unmöglich ſein würde, daß der Reichskanzler zugleich Preußi- ſcher Miniſter des Auswärtigen wäre. Thatſächliche, poli- tiſche Gründe zwingender Natur machen es aber nothwendig, daß der Reichskanzler, gerade weil er der ſtimmführende Bundesraths- Bevollmächtigte Preußens iſt, an den Berathungen des Preußiſchen Staatsminiſteriums Antheil zu nehmen befugt iſt, daß ihm der Ehrenvorſitz bei dieſen Berathungen zuſteht, und daß nicht nur der Deutſche Kaiſer und der König von Preußen, ſondern auch der kaiſerliche Reichsminiſter und der erſte, leitende preußiſche Staatsminiſter identiſch ſind. Hiernach beantwortet ſich die Frage, nach der Verantwortlich- keit des Reichskanzlers gegenüber dem Preußiſchen Landtage. Sollte einmal der Fall eintreten, daß der Reichskanzler nicht zu- gleich Preuß. Staatsminiſter iſt, daß er vielmehr ſeine Inſtruk- tionen vom Preußiſchen Staatsminiſterium einfach zugeſchickt erhält, ſo würden die Grundſätze von der parlamentariſchen Miniſter- Verantwortlichkeit auf ihn ganz und gar unanwendbar ſein; ſeine 1) Das Preuß. Miniſterium der auswärt. Angel. hat nur noch die Be- ziehungen Preußens zu den anderen Bundes ſtaaten wahrzunehmen und die Aufſicht über die Preuß. Geſandten an den Deutſchen Höfen zu führen.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/328>, abgerufen am 19.04.2024.