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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 33. Der Reichskanzler.
zeichnung des Reichskanzlers bedürfen, der dadurch die Verant-
wortlichkeit übernimmt.

6) Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, von welcher
Art. 17 der R.-V. spricht, bezieht sich selbstverständlich nur auf
seine Thätigkeit als Reichsminister, nicht als BundesrathsBevoll-
mächtigter. Diese Verantwortlichkeit ist nicht zu einem Rechtsin-
stitut gestaltet; es fehlt an Anordnungen, worauf sie sich erstreckt,
wer befugt ist, sie geltend zu machen, welches Verfahren dabei
einzuhalten ist, welche Wirkungen mit ihr verknüpft sind. Die
Verantwortlichkeit des Reichskanzlers ist daher nur ein politisches
Prinzip, das seiner Verwirklichung durch Rechtssätze noch harrt,
welches aber doch als solches nicht ganz wirkungslos ist, sondern
die sogenannte politische oder moralische Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers begründet. Die praktische Folge derselben besteht
im Wesentlichen darin, daß der Reichskanzler sich der politischen
Nothwendigkeit nicht entziehen kann, auf Angriffe gegen seine
Geschäftsführung im Bundesrath und Reichstag Rede zu stehen.
Für die Beantwortung der Frage nach dem Umfange dieser Ver-
antwortlichkeit sind nun die vorstehenden Erörterungen von Belang
und es ergiebt sich daraus der Unterschied zwischen der Verant-
wortlichkeit des Reichskanzlers und der Verantwortlichkeit des
Ministers eines Einzelstaates. Die Verantwortlichkeit reicht so
weit wie die Kompetenz. Auf dem Gebiete der eigenen Verwal-
tung des Reiches ist daher der Reichskanzler verantwortlich dafür,
daß die gesammte amtliche Thätigkeit der Reichsbehörden den
Gesetzen des Reiches gemäß geschieht und von den einheitlichen
Grundgedanken der äußeren und inneren Politik, welche das Reich
verfolgt, durchdrungen ist. Dagegen auf dem Gebiete der Selbst-
verwaltung der Einzelstaaten ist der Reichskanzler nur dafür ver-
antwortlich, daß die dem Reiche zustehende Ueberwachung
wirksam gehandhabt wird 1). Die Amtsthätigkeit der Landesbe-
hörden innerhalb des den Einzelstaaten überlassenen Selbstverwal-
tungs-Bereiches hat der Reichskanzler nicht zu vertreten; hier
kommen vielmehr die Grundsätze des Landesstaatsrechts über die

1) Vgl. die Rede des Fürsten Bismarck in der Reichstags-Sitzung
vom 1. Dezember 1874. Stenogr. Ber. S. 421.

§. 33. Der Reichskanzler.
zeichnung des Reichskanzlers bedürfen, der dadurch die Verant-
wortlichkeit übernimmt.

6) Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, von welcher
Art. 17 der R.-V. ſpricht, bezieht ſich ſelbſtverſtändlich nur auf
ſeine Thätigkeit als Reichsminiſter, nicht als BundesrathsBevoll-
mächtigter. Dieſe Verantwortlichkeit iſt nicht zu einem Rechtsin-
ſtitut geſtaltet; es fehlt an Anordnungen, worauf ſie ſich erſtreckt,
wer befugt iſt, ſie geltend zu machen, welches Verfahren dabei
einzuhalten iſt, welche Wirkungen mit ihr verknüpft ſind. Die
Verantwortlichkeit des Reichskanzlers iſt daher nur ein politiſches
Prinzip, das ſeiner Verwirklichung durch Rechtsſätze noch harrt,
welches aber doch als ſolches nicht ganz wirkungslos iſt, ſondern
die ſogenannte politiſche oder moraliſche Verantwortlichkeit des
Reichskanzlers begründet. Die praktiſche Folge derſelben beſteht
im Weſentlichen darin, daß der Reichskanzler ſich der politiſchen
Nothwendigkeit nicht entziehen kann, auf Angriffe gegen ſeine
Geſchäftsführung im Bundesrath und Reichstag Rede zu ſtehen.
Für die Beantwortung der Frage nach dem Umfange dieſer Ver-
antwortlichkeit ſind nun die vorſtehenden Erörterungen von Belang
und es ergiebt ſich daraus der Unterſchied zwiſchen der Verant-
wortlichkeit des Reichskanzlers und der Verantwortlichkeit des
Miniſters eines Einzelſtaates. Die Verantwortlichkeit reicht ſo
weit wie die Kompetenz. Auf dem Gebiete der eigenen Verwal-
tung des Reiches iſt daher der Reichskanzler verantwortlich dafür,
daß die geſammte amtliche Thätigkeit der Reichsbehörden den
Geſetzen des Reiches gemäß geſchieht und von den einheitlichen
Grundgedanken der äußeren und inneren Politik, welche das Reich
verfolgt, durchdrungen iſt. Dagegen auf dem Gebiete der Selbſt-
verwaltung der Einzelſtaaten iſt der Reichskanzler nur dafür ver-
antwortlich, daß die dem Reiche zuſtehende Ueberwachung
wirkſam gehandhabt wird 1). Die Amtsthätigkeit der Landesbe-
hörden innerhalb des den Einzelſtaaten überlaſſenen Selbſtverwal-
tungs-Bereiches hat der Reichskanzler nicht zu vertreten; hier
kommen vielmehr die Grundſätze des Landesſtaatsrechts über die

1) Vgl. die Rede des Fürſten Bismarck in der Reichstags-Sitzung
vom 1. Dezember 1874. Stenogr. Ber. S. 421.
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[312/0332] §. 33. Der Reichskanzler. zeichnung des Reichskanzlers bedürfen, der dadurch die Verant- wortlichkeit übernimmt. 6) Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, von welcher Art. 17 der R.-V. ſpricht, bezieht ſich ſelbſtverſtändlich nur auf ſeine Thätigkeit als Reichsminiſter, nicht als BundesrathsBevoll- mächtigter. Dieſe Verantwortlichkeit iſt nicht zu einem Rechtsin- ſtitut geſtaltet; es fehlt an Anordnungen, worauf ſie ſich erſtreckt, wer befugt iſt, ſie geltend zu machen, welches Verfahren dabei einzuhalten iſt, welche Wirkungen mit ihr verknüpft ſind. Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers iſt daher nur ein politiſches Prinzip, das ſeiner Verwirklichung durch Rechtsſätze noch harrt, welches aber doch als ſolches nicht ganz wirkungslos iſt, ſondern die ſogenannte politiſche oder moraliſche Verantwortlichkeit des Reichskanzlers begründet. Die praktiſche Folge derſelben beſteht im Weſentlichen darin, daß der Reichskanzler ſich der politiſchen Nothwendigkeit nicht entziehen kann, auf Angriffe gegen ſeine Geſchäftsführung im Bundesrath und Reichstag Rede zu ſtehen. Für die Beantwortung der Frage nach dem Umfange dieſer Ver- antwortlichkeit ſind nun die vorſtehenden Erörterungen von Belang und es ergiebt ſich daraus der Unterſchied zwiſchen der Verant- wortlichkeit des Reichskanzlers und der Verantwortlichkeit des Miniſters eines Einzelſtaates. Die Verantwortlichkeit reicht ſo weit wie die Kompetenz. Auf dem Gebiete der eigenen Verwal- tung des Reiches iſt daher der Reichskanzler verantwortlich dafür, daß die geſammte amtliche Thätigkeit der Reichsbehörden den Geſetzen des Reiches gemäß geſchieht und von den einheitlichen Grundgedanken der äußeren und inneren Politik, welche das Reich verfolgt, durchdrungen iſt. Dagegen auf dem Gebiete der Selbſt- verwaltung der Einzelſtaaten iſt der Reichskanzler nur dafür ver- antwortlich, daß die dem Reiche zuſtehende Ueberwachung wirkſam gehandhabt wird 1). Die Amtsthätigkeit der Landesbe- hörden innerhalb des den Einzelſtaaten überlaſſenen Selbſtverwal- tungs-Bereiches hat der Reichskanzler nicht zu vertreten; hier kommen vielmehr die Grundſätze des Landesſtaatsrechts über die 1) Vgl. die Rede des Fürſten Bismarck in der Reichstags-Sitzung vom 1. Dezember 1874. Stenogr. Ber. S. 421.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/332>, abgerufen am 25.04.2024.