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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 47. Allgemeine Charakteristik des Reichstages.
allgemeinen, fast unbeschränkten Wahlrecht verbunden und dem
Reichstage eine höchst ausgedehnte Kompetenz eingeräumt ist; so
daß die Forderungen der demokratischen Partei in der Deutschen
Reichsverfassung in ungewöhnlichem Grade befriedigt worden sind.
Für die staatsrechtliche Construktion des Reichstages als eines
Organs des Reiches und für die rein juristische Bestimmung der
ihm obliegenden Funktionen ist dies aber nicht von erheblicher Be-
deutung. Seinem Begriff und Wesen und seiner Stellung im
Verfassungsbau des Reiches nach unterscheidet sich der Reichstag
nicht von anderen Volksvertretungen, Parlamenten, Kammern,
Landtagen 1).

Eine besondere Untersuchung erfordert allein die Frage, welchen
Einfluß der bundesstaatliche Charakter des Reiches auf die
Institution des Reichstages ausübt. Es wäre an und für sich
möglich gewesen, das für die Bildung des Bundesrathes maaß-
gebende Princip auf den Reichstag insofern anzuwenden, daß die
Bevölkerungen der Einzelstaaten Abgeordnete wählen, welche im
Reichstage zwar zu einem einheitlichen Collegium sich vereinigen,

1) Daß der Reichstag keine eigenartige Schöpfung ist, zeigt sich äußerlich
schon darin, daß der ihn betreffende Abschnitt der Reichsverfassung die Origi-
nalität vermissen läßt, welche die übrigen Abschnitte derselben in so hohem
Grade auszeichnet. Alle Artikel dieses Abschnittes sind Artikeln der Preuß.
Verf.-Urkunde v. 31. Januar 1850 nachgebildet, z. Th. ihnen wörtlich ent-
nommen, wie folgende Zusammenstellung zeigt.
Reichsverf.Preuß. Verf.
2178 Abs. 2. 3.
22 Abs. 1.79
-- Abs. 2.Preßges. v. 12. Mai 1851 §. 38.
23(81 Abs. 3.)
2473
2551
2652
2778 Abs. 1.
2880
2983
3084 Abs. 1.
3184 Abs. 2--4.
32(85)
Hinsichtlich dieses Theils des Reichsrechts kömmt daher dem Preuß. Staats-
recht für die historische und dogmatische Erörterung eine erhöhte Bedeutung zu.
32*

§. 47. Allgemeine Charakteriſtik des Reichstages.
allgemeinen, faſt unbeſchränkten Wahlrecht verbunden und dem
Reichstage eine höchſt ausgedehnte Kompetenz eingeräumt iſt; ſo
daß die Forderungen der demokratiſchen Partei in der Deutſchen
Reichsverfaſſung in ungewöhnlichem Grade befriedigt worden ſind.
Für die ſtaatsrechtliche Conſtruktion des Reichstages als eines
Organs des Reiches und für die rein juriſtiſche Beſtimmung der
ihm obliegenden Funktionen iſt dies aber nicht von erheblicher Be-
deutung. Seinem Begriff und Weſen und ſeiner Stellung im
Verfaſſungsbau des Reiches nach unterſcheidet ſich der Reichstag
nicht von anderen Volksvertretungen, Parlamenten, Kammern,
Landtagen 1).

Eine beſondere Unterſuchung erfordert allein die Frage, welchen
Einfluß der bundesſtaatliche Charakter des Reiches auf die
Inſtitution des Reichstages ausübt. Es wäre an und für ſich
möglich geweſen, das für die Bildung des Bundesrathes maaß-
gebende Princip auf den Reichstag inſofern anzuwenden, daß die
Bevölkerungen der Einzelſtaaten Abgeordnete wählen, welche im
Reichstage zwar zu einem einheitlichen Collegium ſich vereinigen,

1) Daß der Reichstag keine eigenartige Schöpfung iſt, zeigt ſich äußerlich
ſchon darin, daß der ihn betreffende Abſchnitt der Reichsverfaſſung die Origi-
nalität vermiſſen läßt, welche die übrigen Abſchnitte derſelben in ſo hohem
Grade auszeichnet. Alle Artikel dieſes Abſchnittes ſind Artikeln der Preuß.
Verf.-Urkunde v. 31. Januar 1850 nachgebildet, z. Th. ihnen wörtlich ent-
nommen, wie folgende Zuſammenſtellung zeigt.
Reichsverf.Preuß. Verf.
2178 Abſ. 2. 3.
22 Abſ. 1.79
— Abſ. 2.Preßgeſ. v. 12. Mai 1851 §. 38.
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2778 Abſ. 1.
2880
2983
3084 Abſ. 1.
3184 Abſ. 2—4.
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Hinſichtlich dieſes Theils des Reichsrechts kömmt daher dem Preuß. Staats-
recht für die hiſtoriſche und dogmatiſche Erörterung eine erhöhte Bedeutung zu.
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[499/0519] §. 47. Allgemeine Charakteriſtik des Reichstages. allgemeinen, faſt unbeſchränkten Wahlrecht verbunden und dem Reichstage eine höchſt ausgedehnte Kompetenz eingeräumt iſt; ſo daß die Forderungen der demokratiſchen Partei in der Deutſchen Reichsverfaſſung in ungewöhnlichem Grade befriedigt worden ſind. Für die ſtaatsrechtliche Conſtruktion des Reichstages als eines Organs des Reiches und für die rein juriſtiſche Beſtimmung der ihm obliegenden Funktionen iſt dies aber nicht von erheblicher Be- deutung. Seinem Begriff und Weſen und ſeiner Stellung im Verfaſſungsbau des Reiches nach unterſcheidet ſich der Reichstag nicht von anderen Volksvertretungen, Parlamenten, Kammern, Landtagen 1). Eine beſondere Unterſuchung erfordert allein die Frage, welchen Einfluß der bundesſtaatliche Charakter des Reiches auf die Inſtitution des Reichstages ausübt. Es wäre an und für ſich möglich geweſen, das für die Bildung des Bundesrathes maaß- gebende Princip auf den Reichstag inſofern anzuwenden, daß die Bevölkerungen der Einzelſtaaten Abgeordnete wählen, welche im Reichstage zwar zu einem einheitlichen Collegium ſich vereinigen, 1) Daß der Reichstag keine eigenartige Schöpfung iſt, zeigt ſich äußerlich ſchon darin, daß der ihn betreffende Abſchnitt der Reichsverfaſſung die Origi- nalität vermiſſen läßt, welche die übrigen Abſchnitte derſelben in ſo hohem Grade auszeichnet. Alle Artikel dieſes Abſchnittes ſind Artikeln der Preuß. Verf.-Urkunde v. 31. Januar 1850 nachgebildet, z. Th. ihnen wörtlich ent- nommen, wie folgende Zuſammenſtellung zeigt. Reichsverf. Preuß. Verf. 21 78 Abſ. 2. 3. 22 Abſ. 1. 79 — Abſ. 2. Preßgeſ. v. 12. Mai 1851 §. 38. 23 (81 Abſ. 3.) 24 73 25 51 26 52 27 78 Abſ. 1. 28 80 29 83 30 84 Abſ. 1. 31 84 Abſ. 2—4. 32 (85) Hinſichtlich dieſes Theils des Reichsrechts kömmt daher dem Preuß. Staats- recht für die hiſtoriſche und dogmatiſche Erörterung eine erhöhte Bedeutung zu. 32*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/519>, abgerufen am 25.04.2024.