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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 48. Die Zuständigkeit des Reichstages.
zogen werden darf, daß sie gegen ihre Wähler keine Ansprüche auf
Ersatz von Kosten und Auslagen haben u. s. w.

§. 48. Die Zuständigkeit des Reichstages.

In Uebereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des
constitutionellen Staatsrechts ist der Reichstag ein Organ des
Reiches, welchem zwar eine sehr wesentliche und wichtige Mitwir-
kung bei den Willenshandlungen des Reiches zusteht, welches aber
regelmäßig nicht befugt ist, diese Handlungen selbst vorzunehmen,
die Staatsgewalt des Reiches zu handhaben, das Reich zu ver-
treten. Die staatsrechtlichen Befugnisse des Reichstages bestehen
demnach nicht darin, daß ein Theil der dem Reiche zustehenden
Staatsgewalt von dem Reichstage ausgeübt oder die Machtvollkom-
menheit des Reiches durch ihn beschränkt wird; sondern Kaiser
und Bundesrath sind bei der gesammten Regierung des Reiches
theils an die Zustimmung theils an die Controle des Reichstages
gebunden. Es läßt sich die dem Reichstage zustehende Kompetenz
grade aus diesem Grunde nicht in eine Anzahl einzelner, bestimmter
Befugnisse auflösen; alle Kataloge 1) der Rechte, welche dem Reichs-
tage zustehen, geben ein ungenaues und schiefes Bild seiner staats-
rechtlichen und politischen Stellung; seine Theilnahme am Leben
des Reiches durchdringt dieses Leben in allen Beziehungen und
nach allen Richtungen. Keine Aufgabe, welche das Reich als der
souveräne Deutsche Staat zu erfüllen hat, kein Gebiet des natio-
nalen Gesammtlebens, auf welches die Fürsorge des Reiches sich
erstreckt, bleibt von der Theilnahme und Mitwirkung des Reichs-
tages ausgenommen. Materiell reicht die Zuständigkeit des
Reichstages genau ebensoweit wie die Zuständigkeit des Reiches.

Die Frage nach der Kompetenz des Reichstages ist vielmehr
zurückzuführen auf die Untersuchung, welche Formen für die
Willensthätigkeit des Reiches vorgeschrieben sind, um dem Reichs-
tage die Mitwirkung und Theilnahme an dieser Willensthätigkeit
zu sichern. Soweit die Fassung eines rechtlich verbindlichen Ent-
schlusses, die Ausübung eines staatlichen Hoheitsrechts an eine
Form gebunden ist, welche die Zustimmung und Mitwirkung des
Reichstages in sich schließt, soweit ist der Reichstag an dieser

1) vgl. z. B. Thudichum S. 212 fg. v. Rönne S. 170 fg. Riedel
S. 35 fg. v. Pözl S. 126 fg.

§. 48. Die Zuſtändigkeit des Reichstages.
zogen werden darf, daß ſie gegen ihre Wähler keine Anſprüche auf
Erſatz von Koſten und Auslagen haben u. ſ. w.

§. 48. Die Zuſtändigkeit des Reichstages.

In Uebereinſtimmung mit den allgemeinen Grundſätzen des
conſtitutionellen Staatsrechts iſt der Reichstag ein Organ des
Reiches, welchem zwar eine ſehr weſentliche und wichtige Mitwir-
kung bei den Willenshandlungen des Reiches zuſteht, welches aber
regelmäßig nicht befugt iſt, dieſe Handlungen ſelbſt vorzunehmen,
die Staatsgewalt des Reiches zu handhaben, das Reich zu ver-
treten. Die ſtaatsrechtlichen Befugniſſe des Reichstages beſtehen
demnach nicht darin, daß ein Theil der dem Reiche zuſtehenden
Staatsgewalt von dem Reichstage ausgeübt oder die Machtvollkom-
menheit des Reiches durch ihn beſchränkt wird; ſondern Kaiſer
und Bundesrath ſind bei der geſammten Regierung des Reiches
theils an die Zuſtimmung theils an die Controle des Reichstages
gebunden. Es läßt ſich die dem Reichstage zuſtehende Kompetenz
grade aus dieſem Grunde nicht in eine Anzahl einzelner, beſtimmter
Befugniſſe auflöſen; alle Kataloge 1) der Rechte, welche dem Reichs-
tage zuſtehen, geben ein ungenaues und ſchiefes Bild ſeiner ſtaats-
rechtlichen und politiſchen Stellung; ſeine Theilnahme am Leben
des Reiches durchdringt dieſes Leben in allen Beziehungen und
nach allen Richtungen. Keine Aufgabe, welche das Reich als der
ſouveräne Deutſche Staat zu erfüllen hat, kein Gebiet des natio-
nalen Geſammtlebens, auf welches die Fürſorge des Reiches ſich
erſtreckt, bleibt von der Theilnahme und Mitwirkung des Reichs-
tages ausgenommen. Materiell reicht die Zuſtändigkeit des
Reichstages genau ebenſoweit wie die Zuſtändigkeit des Reiches.

Die Frage nach der Kompetenz des Reichstages iſt vielmehr
zurückzuführen auf die Unterſuchung, welche Formen für die
Willensthätigkeit des Reiches vorgeſchrieben ſind, um dem Reichs-
tage die Mitwirkung und Theilnahme an dieſer Willensthätigkeit
zu ſichern. Soweit die Faſſung eines rechtlich verbindlichen Ent-
ſchluſſes, die Ausübung eines ſtaatlichen Hoheitsrechts an eine
Form gebunden iſt, welche die Zuſtimmung und Mitwirkung des
Reichstages in ſich ſchließt, ſoweit iſt der Reichstag an dieſer

1) vgl. z. B. Thudichum S. 212 fg. v. Rönne S. 170 fg. Riedel
S. 35 fg. v. Pözl S. 126 fg.
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[505/0525] §. 48. Die Zuſtändigkeit des Reichstages. zogen werden darf, daß ſie gegen ihre Wähler keine Anſprüche auf Erſatz von Koſten und Auslagen haben u. ſ. w. §. 48. Die Zuſtändigkeit des Reichstages. In Uebereinſtimmung mit den allgemeinen Grundſätzen des conſtitutionellen Staatsrechts iſt der Reichstag ein Organ des Reiches, welchem zwar eine ſehr weſentliche und wichtige Mitwir- kung bei den Willenshandlungen des Reiches zuſteht, welches aber regelmäßig nicht befugt iſt, dieſe Handlungen ſelbſt vorzunehmen, die Staatsgewalt des Reiches zu handhaben, das Reich zu ver- treten. Die ſtaatsrechtlichen Befugniſſe des Reichstages beſtehen demnach nicht darin, daß ein Theil der dem Reiche zuſtehenden Staatsgewalt von dem Reichstage ausgeübt oder die Machtvollkom- menheit des Reiches durch ihn beſchränkt wird; ſondern Kaiſer und Bundesrath ſind bei der geſammten Regierung des Reiches theils an die Zuſtimmung theils an die Controle des Reichstages gebunden. Es läßt ſich die dem Reichstage zuſtehende Kompetenz grade aus dieſem Grunde nicht in eine Anzahl einzelner, beſtimmter Befugniſſe auflöſen; alle Kataloge 1) der Rechte, welche dem Reichs- tage zuſtehen, geben ein ungenaues und ſchiefes Bild ſeiner ſtaats- rechtlichen und politiſchen Stellung; ſeine Theilnahme am Leben des Reiches durchdringt dieſes Leben in allen Beziehungen und nach allen Richtungen. Keine Aufgabe, welche das Reich als der ſouveräne Deutſche Staat zu erfüllen hat, kein Gebiet des natio- nalen Geſammtlebens, auf welches die Fürſorge des Reiches ſich erſtreckt, bleibt von der Theilnahme und Mitwirkung des Reichs- tages ausgenommen. Materiell reicht die Zuſtändigkeit des Reichstages genau ebenſoweit wie die Zuſtändigkeit des Reiches. Die Frage nach der Kompetenz des Reichstages iſt vielmehr zurückzuführen auf die Unterſuchung, welche Formen für die Willensthätigkeit des Reiches vorgeſchrieben ſind, um dem Reichs- tage die Mitwirkung und Theilnahme an dieſer Willensthätigkeit zu ſichern. Soweit die Faſſung eines rechtlich verbindlichen Ent- ſchluſſes, die Ausübung eines ſtaatlichen Hoheitsrechts an eine Form gebunden iſt, welche die Zuſtimmung und Mitwirkung des Reichstages in ſich ſchließt, ſoweit iſt der Reichstag an dieſer 1) vgl. z. B. Thudichum S. 212 fg. v. Rönne S. 170 fg. Riedel S. 35 fg. v. Pözl S. 126 fg.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/525>, abgerufen am 29.03.2024.