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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
nicht die Ausübung der Funktionen eines Abgeordneten, sondern
die Wählbarkeit in Frage steht, so ergiebt sich, daß die ein-
jährige Frist von dem Tage des Wahlactes an zu berechnen ist,
nicht von dem Tage des Zusammentritts des Reichstages oder
gar der Wahlprüfung an, und daß die Wahl Jemandes, der zur
Zeit derselben den Bedingungen des §. 4 des Wahlgesetzes nicht
entsprochen hat, nachträglich durch Ablauf der einjährigen Frist
nicht gültig wird. Erforderlich ist nur die Reichsangehörigkeit,
nicht Aufenthalt oder Wohnsitz im Bundesgebiet.

Außer dem Erforderniß einjähriger Reichs-Angehörigkeit hat
die Wählbarkeit ganz dieselben Voraussetzungen wie das Wahlrecht.
Hier wird es daher von praktischer Wichtigkeit, ob Jemand (nach
§. 3 des Wahlges.) von der Berechtigung zum Wählen ausge-
schlossen ist, oder ob diese Berechtigung nur ruht oder nicht aus-
geübt werden kann 1). Die im §. 3 aufgeführten Klassen von
Personen sind nicht wählbar, da sie nicht wahlberechtigt sind; wohl
aber die Personen des stehenden Heeres sowie die zur Zeit der
Wahl von ihrem Wohnsitz abwesenden oder in den Listen über-
gangenen Wahlberechtigten.

Eine Beschränkung der Ausübung der Funktionen eines Reichs-
tags-Mitgliedes und mithin eine indirekte Beschränkung der Wähl-
barkeit ist durch die Bestimmung des Art. 9 der R.-V., daß Nie-
mand gleichzeitig Mitglied des Bundesrathes und des Reichstages
sein kann, gegeben. Zwar ist die Wahl eines Bundesraths-Mit-
gliedes zum Abgeordneten an sich gültig, der Gewählte kann sie
aber nur annehmen, wenn er aus dem Bundesrathe ausscheidet;
auch der Reichskanzler ist wählbar, kann die Wahl aber nur an-
nehmen, wenn er sein Amt niederlegt, da der Reichskanzler noth-
wendig Mitglied des Bundesrathes sein muß.

Für nicht wählbar muß man dagegen die Landesherren
der Deutschen Staaten erachten, da sie die Vollmachtsgeber der
Bundesraths-Mitglieder sind; abgesehen von dem in der allgemeinen
constitutionellen Theorie begründeten Bedenken, ob die Deutschen
Landesherren als Träger der souveränen Reichsgewalt zugleich
Mitglieder des Reichstages sein können 2).


1) Dieser Unterschied wird übersehen von Thudichum S. 152.
2) Eine kurze Erörterung der Frage, ob der Deutsche Kaiser wählbar sei,
findet sich in den Stenogr. Berichten des Reichstages 1874/75 S. 579. Da

§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
nicht die Ausübung der Funktionen eines Abgeordneten, ſondern
die Wählbarkeit in Frage ſteht, ſo ergiebt ſich, daß die ein-
jährige Friſt von dem Tage des Wahlactes an zu berechnen iſt,
nicht von dem Tage des Zuſammentritts des Reichstages oder
gar der Wahlprüfung an, und daß die Wahl Jemandes, der zur
Zeit derſelben den Bedingungen des §. 4 des Wahlgeſetzes nicht
entſprochen hat, nachträglich durch Ablauf der einjährigen Friſt
nicht gültig wird. Erforderlich iſt nur die Reichsangehörigkeit,
nicht Aufenthalt oder Wohnſitz im Bundesgebiet.

Außer dem Erforderniß einjähriger Reichs-Angehörigkeit hat
die Wählbarkeit ganz dieſelben Vorausſetzungen wie das Wahlrecht.
Hier wird es daher von praktiſcher Wichtigkeit, ob Jemand (nach
§. 3 des Wahlgeſ.) von der Berechtigung zum Wählen ausge-
ſchloſſen iſt, oder ob dieſe Berechtigung nur ruht oder nicht aus-
geübt werden kann 1). Die im §. 3 aufgeführten Klaſſen von
Perſonen ſind nicht wählbar, da ſie nicht wahlberechtigt ſind; wohl
aber die Perſonen des ſtehenden Heeres ſowie die zur Zeit der
Wahl von ihrem Wohnſitz abweſenden oder in den Liſten über-
gangenen Wahlberechtigten.

Eine Beſchränkung der Ausübung der Funktionen eines Reichs-
tags-Mitgliedes und mithin eine indirekte Beſchränkung der Wähl-
barkeit iſt durch die Beſtimmung des Art. 9 der R.-V., daß Nie-
mand gleichzeitig Mitglied des Bundesrathes und des Reichstages
ſein kann, gegeben. Zwar iſt die Wahl eines Bundesraths-Mit-
gliedes zum Abgeordneten an ſich gültig, der Gewählte kann ſie
aber nur annehmen, wenn er aus dem Bundesrathe ausſcheidet;
auch der Reichskanzler iſt wählbar, kann die Wahl aber nur an-
nehmen, wenn er ſein Amt niederlegt, da der Reichskanzler noth-
wendig Mitglied des Bundesrathes ſein muß.

Für nicht wählbar muß man dagegen die Landesherren
der Deutſchen Staaten erachten, da ſie die Vollmachtsgeber der
Bundesraths-Mitglieder ſind; abgeſehen von dem in der allgemeinen
conſtitutionellen Theorie begründeten Bedenken, ob die Deutſchen
Landesherren als Träger der ſouveränen Reichsgewalt zugleich
Mitglieder des Reichstages ſein können 2).


1) Dieſer Unterſchied wird überſehen von Thudichum S. 152.
2) Eine kurze Erörterung der Frage, ob der Deutſche Kaiſer wählbar ſei,
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[530/0550] §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. nicht die Ausübung der Funktionen eines Abgeordneten, ſondern die Wählbarkeit in Frage ſteht, ſo ergiebt ſich, daß die ein- jährige Friſt von dem Tage des Wahlactes an zu berechnen iſt, nicht von dem Tage des Zuſammentritts des Reichstages oder gar der Wahlprüfung an, und daß die Wahl Jemandes, der zur Zeit derſelben den Bedingungen des §. 4 des Wahlgeſetzes nicht entſprochen hat, nachträglich durch Ablauf der einjährigen Friſt nicht gültig wird. Erforderlich iſt nur die Reichsangehörigkeit, nicht Aufenthalt oder Wohnſitz im Bundesgebiet. Außer dem Erforderniß einjähriger Reichs-Angehörigkeit hat die Wählbarkeit ganz dieſelben Vorausſetzungen wie das Wahlrecht. Hier wird es daher von praktiſcher Wichtigkeit, ob Jemand (nach §. 3 des Wahlgeſ.) von der Berechtigung zum Wählen ausge- ſchloſſen iſt, oder ob dieſe Berechtigung nur ruht oder nicht aus- geübt werden kann 1). Die im §. 3 aufgeführten Klaſſen von Perſonen ſind nicht wählbar, da ſie nicht wahlberechtigt ſind; wohl aber die Perſonen des ſtehenden Heeres ſowie die zur Zeit der Wahl von ihrem Wohnſitz abweſenden oder in den Liſten über- gangenen Wahlberechtigten. Eine Beſchränkung der Ausübung der Funktionen eines Reichs- tags-Mitgliedes und mithin eine indirekte Beſchränkung der Wähl- barkeit iſt durch die Beſtimmung des Art. 9 der R.-V., daß Nie- mand gleichzeitig Mitglied des Bundesrathes und des Reichstages ſein kann, gegeben. Zwar iſt die Wahl eines Bundesraths-Mit- gliedes zum Abgeordneten an ſich gültig, der Gewählte kann ſie aber nur annehmen, wenn er aus dem Bundesrathe ausſcheidet; auch der Reichskanzler iſt wählbar, kann die Wahl aber nur an- nehmen, wenn er ſein Amt niederlegt, da der Reichskanzler noth- wendig Mitglied des Bundesrathes ſein muß. Für nicht wählbar muß man dagegen die Landesherren der Deutſchen Staaten erachten, da ſie die Vollmachtsgeber der Bundesraths-Mitglieder ſind; abgeſehen von dem in der allgemeinen conſtitutionellen Theorie begründeten Bedenken, ob die Deutſchen Landesherren als Träger der ſouveränen Reichsgewalt zugleich Mitglieder des Reichstages ſein können 2). 1) Dieſer Unterſchied wird überſehen von Thudichum S. 152. 2) Eine kurze Erörterung der Frage, ob der Deutſche Kaiſer wählbar ſei, findet ſich in den Stenogr. Berichten des Reichstages 1874/75 S. 579. Da

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/550>, abgerufen am 25.04.2024.