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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
sich eine indirecte Begränzung der Frist, binnen welcher die Vor-
nahme der Wahlen angeordnet werden muß, aus der Vorschrift
des Art. 13 der R.-V., daß die Berufung des Reichstages alljährlich
stattfindet. Ist aber der Reichstag aufgelöst worden, so müssen
die Neuwahlen innerhalb eines Zeitraumes von 60 Tagen statt-
finden 1).

Die Wahlen sind nach dem Art. 20 der R.-V. allgemeine,
das heißt, sie sind der Regel nach im ganzen Bundesgebiete an
demselben Tage vorzunehmen 2). Von diesem Grundsatz sind, ab-
gesehen von der Nothwendigkeit einer engeren Wahl, welche ledig-
lich als Fortsetzung der Wahlhandlung zu betrachten ist, nur fol-
gende Fälle ausgenommen

a) wenn der Gewählte ablehnt,
b) wenn der Reichstag die Wahl für ungültig erklärt,
c) wenn ein Abgeordneter während des Laufes der Legisla-
turperiode aus dem Reichstage ausscheidet.

In diesen Fällen finden partielle Wahlen (Ersatzwahlen) in
den betreffenden Wahlkreisen statt. Dieselben werden nicht vom
Kaiser oder dem Reichskanzler, sondern von der zuständigen Lan-
desbehörde 3) anberaumt und zwar sind sie von derselben sofort
zu veranlassen 4).


1) R.-V. Art. 25. Der Ausdruck: "die Wähler müssen versammelt wer-
den", den dieser Artikel gebraucht, ist kein glücklicher. Er stammt aus dem
Art. 51 der Preuß. Verf.-Urk. Nach dem Preuß. Wahlverfahren werden aller-
dings die Wähler in den einzelnen Urwahlbezirken versammelt, nach dem Reichs-
Wahlgesetz bringt Jeder einzeln seinen Stimmzettel zur Wahlurne.
2) Wahlges. §. 14. Eine einmalige Ausnahme fand bei den ersten Reichs-
tagswahlen in Elsaß-Lothringen statt. Denn da die Reichsverf. und das Wahl-
gesetz dort erst am 1. Jan. 1874 in Kraft traten, so mußte mindestens noch
die im §. 8 des Wahlgesetzes vorgeschriebene Frist von 4 Wochen abgewartet
werden. Während im übrigen Reichsgebiet die Wahlen am 10. Januar 1874
stattfanden, mußten daher die Wahlen im Reichslande auf den 1. Februar 1874
gelegt werden. R.-G.-Bl. 1873 S. 372. 380. Der Fall könnte als Präcedenz
dienen, falls einmal durch außerordentliche Ereignisse wie feindliche Occupation,
Aufruhr oder drgl. zur Zeit der allgemeinen Wahlen in einem Theil des Bun-
desgebietes die regelrechte und freie Vornahme von Wahlen unmöglich sein sollte.
3) d. sind in Preußen die Bezirks-Regierungen, resp. Landdrosteien, ebenso
in Bayern die Kreis-Regierungen, Kammer des Innern, und in Els.-Lothringen
die Bezirkspräsidenten, in den übrigen Staaten die Central-Behörde (Ministe-
rium des Innern, Staatsministerium, Senat.) Wahlreglem. Anlage D.
4) Wahlreglement §. 34.

§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
ſich eine indirecte Begränzung der Friſt, binnen welcher die Vor-
nahme der Wahlen angeordnet werden muß, aus der Vorſchrift
des Art. 13 der R.-V., daß die Berufung des Reichstages alljährlich
ſtattfindet. Iſt aber der Reichstag aufgelöſt worden, ſo müſſen
die Neuwahlen innerhalb eines Zeitraumes von 60 Tagen ſtatt-
finden 1).

Die Wahlen ſind nach dem Art. 20 der R.-V. allgemeine,
das heißt, ſie ſind der Regel nach im ganzen Bundesgebiete an
demſelben Tage vorzunehmen 2). Von dieſem Grundſatz ſind, ab-
geſehen von der Nothwendigkeit einer engeren Wahl, welche ledig-
lich als Fortſetzung der Wahlhandlung zu betrachten iſt, nur fol-
gende Fälle ausgenommen

a) wenn der Gewählte ablehnt,
b) wenn der Reichstag die Wahl für ungültig erklärt,
c) wenn ein Abgeordneter während des Laufes der Legisla-
turperiode aus dem Reichstage ausſcheidet.

In dieſen Fällen finden partielle Wahlen (Erſatzwahlen) in
den betreffenden Wahlkreiſen ſtatt. Dieſelben werden nicht vom
Kaiſer oder dem Reichskanzler, ſondern von der zuſtändigen Lan-
desbehörde 3) anberaumt und zwar ſind ſie von derſelben ſofort
zu veranlaſſen 4).


1) R.-V. Art. 25. Der Ausdruck: „die Wähler müſſen verſammelt wer-
den“, den dieſer Artikel gebraucht, iſt kein glücklicher. Er ſtammt aus dem
Art. 51 der Preuß. Verf.-Urk. Nach dem Preuß. Wahlverfahren werden aller-
dings die Wähler in den einzelnen Urwahlbezirken verſammelt, nach dem Reichs-
Wahlgeſetz bringt Jeder einzeln ſeinen Stimmzettel zur Wahlurne.
2) Wahlgeſ. §. 14. Eine einmalige Ausnahme fand bei den erſten Reichs-
tagswahlen in Elſaß-Lothringen ſtatt. Denn da die Reichsverf. und das Wahl-
geſetz dort erſt am 1. Jan. 1874 in Kraft traten, ſo mußte mindeſtens noch
die im §. 8 des Wahlgeſetzes vorgeſchriebene Friſt von 4 Wochen abgewartet
werden. Während im übrigen Reichsgebiet die Wahlen am 10. Januar 1874
ſtattfanden, mußten daher die Wahlen im Reichslande auf den 1. Februar 1874
gelegt werden. R.-G.-Bl. 1873 S. 372. 380. Der Fall könnte als Präcedenz
dienen, falls einmal durch außerordentliche Ereigniſſe wie feindliche Occupation,
Aufruhr oder drgl. zur Zeit der allgemeinen Wahlen in einem Theil des Bun-
desgebietes die regelrechte und freie Vornahme von Wahlen unmöglich ſein ſollte.
3) d. ſind in Preußen die Bezirks-Regierungen, reſp. Landdroſteien, ebenſo
in Bayern die Kreis-Regierungen, Kammer des Innern, und in Elſ.-Lothringen
die Bezirkspräſidenten, in den übrigen Staaten die Central-Behörde (Miniſte-
rium des Innern, Staatsminiſterium, Senat.) Wahlreglem. Anlage D.
4) Wahlreglement §. 34.
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[536/0556] §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. ſich eine indirecte Begränzung der Friſt, binnen welcher die Vor- nahme der Wahlen angeordnet werden muß, aus der Vorſchrift des Art. 13 der R.-V., daß die Berufung des Reichstages alljährlich ſtattfindet. Iſt aber der Reichstag aufgelöſt worden, ſo müſſen die Neuwahlen innerhalb eines Zeitraumes von 60 Tagen ſtatt- finden 1). Die Wahlen ſind nach dem Art. 20 der R.-V. allgemeine, das heißt, ſie ſind der Regel nach im ganzen Bundesgebiete an demſelben Tage vorzunehmen 2). Von dieſem Grundſatz ſind, ab- geſehen von der Nothwendigkeit einer engeren Wahl, welche ledig- lich als Fortſetzung der Wahlhandlung zu betrachten iſt, nur fol- gende Fälle ausgenommen a) wenn der Gewählte ablehnt, b) wenn der Reichstag die Wahl für ungültig erklärt, c) wenn ein Abgeordneter während des Laufes der Legisla- turperiode aus dem Reichstage ausſcheidet. In dieſen Fällen finden partielle Wahlen (Erſatzwahlen) in den betreffenden Wahlkreiſen ſtatt. Dieſelben werden nicht vom Kaiſer oder dem Reichskanzler, ſondern von der zuſtändigen Lan- desbehörde 3) anberaumt und zwar ſind ſie von derſelben ſofort zu veranlaſſen 4). 1) R.-V. Art. 25. Der Ausdruck: „die Wähler müſſen verſammelt wer- den“, den dieſer Artikel gebraucht, iſt kein glücklicher. Er ſtammt aus dem Art. 51 der Preuß. Verf.-Urk. Nach dem Preuß. Wahlverfahren werden aller- dings die Wähler in den einzelnen Urwahlbezirken verſammelt, nach dem Reichs- Wahlgeſetz bringt Jeder einzeln ſeinen Stimmzettel zur Wahlurne. 2) Wahlgeſ. §. 14. Eine einmalige Ausnahme fand bei den erſten Reichs- tagswahlen in Elſaß-Lothringen ſtatt. Denn da die Reichsverf. und das Wahl- geſetz dort erſt am 1. Jan. 1874 in Kraft traten, ſo mußte mindeſtens noch die im §. 8 des Wahlgeſetzes vorgeſchriebene Friſt von 4 Wochen abgewartet werden. Während im übrigen Reichsgebiet die Wahlen am 10. Januar 1874 ſtattfanden, mußten daher die Wahlen im Reichslande auf den 1. Februar 1874 gelegt werden. R.-G.-Bl. 1873 S. 372. 380. Der Fall könnte als Präcedenz dienen, falls einmal durch außerordentliche Ereigniſſe wie feindliche Occupation, Aufruhr oder drgl. zur Zeit der allgemeinen Wahlen in einem Theil des Bun- desgebietes die regelrechte und freie Vornahme von Wahlen unmöglich ſein ſollte. 3) d. ſind in Preußen die Bezirks-Regierungen, reſp. Landdroſteien, ebenſo in Bayern die Kreis-Regierungen, Kammer des Innern, und in Elſ.-Lothringen die Bezirkspräſidenten, in den übrigen Staaten die Central-Behörde (Miniſte- rium des Innern, Staatsminiſterium, Senat.) Wahlreglem. Anlage D. 4) Wahlreglement §. 34.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/556>, abgerufen am 29.03.2024.