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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 7. Das Reich als Rechtssubject.
Zweites Kapitel.
Die rechtliche Natur des Reiches.
§. 7. Das Reich als Rechtssubject.

Die Aufsuchung der höheren juristischen Begriffs-Kategorie,
welcher das Reich unterzuordnen ist, fällt zusammen mit der Frage:
Ist das Reich ein Staat oder ist es eine Ver-
einigung von Staaten zur gemeinsamen Er-
füllung staatlicher Aufgaben?

Der begriffliche Gegensatz, um den es sich handelt, ist genau
derselbe, wie auf dem Gebiete des Privatrechtes der Gegensatz
zwischen der juristischen Person und der Gesellschaft. Die Orga-
nisation, die Dauer auf unbestimmte Zeit, die Fülle der dem
Reiche überwiesenen Machtmittel, die Zahl der ihm obliegenden
Aufgaben genügen nicht zur Entscheidung dieser Frage. Sowie
auf dem Gebiete des Privatrechtes in sehr zahlreichen Fällen die-
selbe Aufgabe, derselbe Zweck sowohl in der Rechtsform der ju-
ristischen Person als auch in der der Gesellschaft erfüllt werden kann
und sowie die innere Einrichtung einer Sozietät sich der Verfassung
einer juristischen Person überaus nähern und andererseits die
Verfassung einer juristischen Person Elemente aus der Sozietät
in bedeutendem Umfange in sich aufnehmen kann, immerhin aber
juristische Person und Gesellschaft begriffliche Gegensätze sind,
zwischen denen eine nicht zu überbrückende Kluft bleibt: so lassen
sich auch staatliche Aufgaben von unermeßlicher Bedeutung nicht
nur durch Staaten, sondern auch durch Verbände von Staaten
lösen, so kann im Verband von Staaten eine feste Zusammenfü-
gung der Theilnehmer, im Staat eine weitreichende Sonderberech-
tigung der einzelnen Glieder bestehen. Aber trotz aller thatsächlich
vorhandenen Uebergänge und Mittelbildungen ist niemals ein Staat
ein Staatenbund und niemals ein Staatenbund ein Staat; es
giebt kein politisches Gebilde, das beides zugleich ist, denn das
Eine ist die Negation des Andern 1).


1) Sehr treffend äußert sich bereits Welcker wichtige Urkunden für den
Rechtszustand der Deutschen Nation 1844 S. 43 über die logische Unmöglich-
keit einer Mischung von Bundesstaat und Staatenbund. Dagegen wirft Gro-
§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.
Zweites Kapitel.
Die rechtliche Natur des Reiches.
§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.

Die Aufſuchung der höheren juriſtiſchen Begriffs-Kategorie,
welcher das Reich unterzuordnen iſt, fällt zuſammen mit der Frage:
Iſt das Reich ein Staat oder iſt es eine Ver-
einigung von Staaten zur gemeinſamen Er-
füllung ſtaatlicher Aufgaben?

Der begriffliche Gegenſatz, um den es ſich handelt, iſt genau
derſelbe, wie auf dem Gebiete des Privatrechtes der Gegenſatz
zwiſchen der juriſtiſchen Perſon und der Geſellſchaft. Die Orga-
niſation, die Dauer auf unbeſtimmte Zeit, die Fülle der dem
Reiche überwieſenen Machtmittel, die Zahl der ihm obliegenden
Aufgaben genügen nicht zur Entſcheidung dieſer Frage. Sowie
auf dem Gebiete des Privatrechtes in ſehr zahlreichen Fällen die-
ſelbe Aufgabe, derſelbe Zweck ſowohl in der Rechtsform der ju-
riſtiſchen Perſon als auch in der der Geſellſchaft erfüllt werden kann
und ſowie die innere Einrichtung einer Sozietät ſich der Verfaſſung
einer juriſtiſchen Perſon überaus nähern und andererſeits die
Verfaſſung einer juriſtiſchen Perſon Elemente aus der Sozietät
in bedeutendem Umfange in ſich aufnehmen kann, immerhin aber
juriſtiſche Perſon und Geſellſchaft begriffliche Gegenſätze ſind,
zwiſchen denen eine nicht zu überbrückende Kluft bleibt: ſo laſſen
ſich auch ſtaatliche Aufgaben von unermeßlicher Bedeutung nicht
nur durch Staaten, ſondern auch durch Verbände von Staaten
löſen, ſo kann im Verband von Staaten eine feſte Zuſammenfü-
gung der Theilnehmer, im Staat eine weitreichende Sonderberech-
tigung der einzelnen Glieder beſtehen. Aber trotz aller thatſächlich
vorhandenen Uebergänge und Mittelbildungen iſt niemals ein Staat
ein Staatenbund und niemals ein Staatenbund ein Staat; es
giebt kein politiſches Gebilde, das beides zugleich iſt, denn das
Eine iſt die Negation des Andern 1).


1) Sehr treffend äußert ſich bereits Welcker wichtige Urkunden für den
Rechtszuſtand der Deutſchen Nation 1844 S. 43 über die logiſche Unmöglich-
keit einer Miſchung von Bundesſtaat und Staatenbund. Dagegen wirft Gro-
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[56/0076] §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. Zweites Kapitel. Die rechtliche Natur des Reiches. §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. Die Aufſuchung der höheren juriſtiſchen Begriffs-Kategorie, welcher das Reich unterzuordnen iſt, fällt zuſammen mit der Frage: Iſt das Reich ein Staat oder iſt es eine Ver- einigung von Staaten zur gemeinſamen Er- füllung ſtaatlicher Aufgaben? Der begriffliche Gegenſatz, um den es ſich handelt, iſt genau derſelbe, wie auf dem Gebiete des Privatrechtes der Gegenſatz zwiſchen der juriſtiſchen Perſon und der Geſellſchaft. Die Orga- niſation, die Dauer auf unbeſtimmte Zeit, die Fülle der dem Reiche überwieſenen Machtmittel, die Zahl der ihm obliegenden Aufgaben genügen nicht zur Entſcheidung dieſer Frage. Sowie auf dem Gebiete des Privatrechtes in ſehr zahlreichen Fällen die- ſelbe Aufgabe, derſelbe Zweck ſowohl in der Rechtsform der ju- riſtiſchen Perſon als auch in der der Geſellſchaft erfüllt werden kann und ſowie die innere Einrichtung einer Sozietät ſich der Verfaſſung einer juriſtiſchen Perſon überaus nähern und andererſeits die Verfaſſung einer juriſtiſchen Perſon Elemente aus der Sozietät in bedeutendem Umfange in ſich aufnehmen kann, immerhin aber juriſtiſche Perſon und Geſellſchaft begriffliche Gegenſätze ſind, zwiſchen denen eine nicht zu überbrückende Kluft bleibt: ſo laſſen ſich auch ſtaatliche Aufgaben von unermeßlicher Bedeutung nicht nur durch Staaten, ſondern auch durch Verbände von Staaten löſen, ſo kann im Verband von Staaten eine feſte Zuſammenfü- gung der Theilnehmer, im Staat eine weitreichende Sonderberech- tigung der einzelnen Glieder beſtehen. Aber trotz aller thatſächlich vorhandenen Uebergänge und Mittelbildungen iſt niemals ein Staat ein Staatenbund und niemals ein Staatenbund ein Staat; es giebt kein politiſches Gebilde, das beides zugleich iſt, denn das Eine iſt die Negation des Andern 1). 1) Sehr treffend äußert ſich bereits Welcker wichtige Urkunden für den Rechtszuſtand der Deutſchen Nation 1844 S. 43 über die logiſche Unmöglich- keit einer Miſchung von Bundesſtaat und Staatenbund. Dagegen wirft Gro-

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/76>, abgerufen am 29.03.2024.