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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 7. Das Reich als Rechtssubject.

Der Gegensatz zwischen juristischer Person und Sozietät läßt
sich am Kürzesten dahin formuliren: Die juristische Person ist ein
Rechtssubject, die Sozietät ein Rechtsverhältniß. So
ist auch der Staatenbund ein Rechtsverhältniß unter Staaten,
also kein Rechtssubject; der Staat dagegen eine organisirte Ein-
heit, eine Person, also kein Rechtsverhältniß 1). Selbstverständlich
schließt dies nicht aus, daß zwischen dem Staat und seinen Mit-
gliedern Rechtsverhältnisse bestehen, wie auch zwischen den Korpo-
rationen des Privatrechtes und ihren Mitgliedern.

Jeder Staatenverband, mögen demselben noch so weitreichende
und wichtige staatliche Aufgaben zugewiesen sein, ist seiner juri-
stischen Natur nach kein Gebilde des Staatsrechts, sondern des
Völkerrechts; jeder Staat dagegen, mag sein Gefüge noch so locker
und der Zusammenhang seiner Glieder noch so lose sein, schließt,
soweit die staatliche Organisation reicht, die Anwendung völker-
rechtlicher Grundsätze aus. Die rechtliche Grundlage des Staaten-
verbandes wie der Sozietät ist der Vertrag, die rechtliche Grund-
lage des Staates wie der Korporation des Privatrechts ist die
Verfassung, das Statut.

Das Wesen der juristischen Person besteht in der selbst-
ständigen Rechtsfähigkeit
, welche ihrerseits wieder eine
selbstständige Willensfähigkeit voraussetzt. Für die juristische Per-
son des Privatrechts sind Rechtsfähigkeit und Willensfähigkeit be-
schränkt auf das Gebiet des Vermögensrechtes; für den Staat,
die juristische Person des öffentlichen Rechtes, erstreckt sich Rechts-
fähigkeit und Willensfähigkeit auf das Gebiet des öffentlichen
Rechts, der Herrschafts- oder Hoheitsrechte 2).


tefend Deutsches Staatsrecht § 18. 19 bei seiner Charakterisirung des Nord-
deutschen Bundes beide Begriffe völlig durcheinander. Nach ihm "haben die
Bundesstaaten sich nur verpflichtet, gewisse Angelegenheiten des öffentlichen
Lebens gemeinsam regeln zu wollen," dessenungeachtet sei dieser Bund "ein
wirklicher Bundesstaat mit durchaus staatlichem Charakter;" und
doch wird dann hinzugefügt: "allein es ist dieser Bundesstaat kein wirklicher
Staat."
1) Ganz abweichend ist die Auffassung Hänel's. Er sagt, Studien I.
S. 42: "Auch der Staatenbund ist juristische Person," gleichzeitig aber soll er
"ein vertragsmäßiges Verhältniß der Einzelstaaten unter einander darstellen."
2) Ueber die Persönlichkeit des Staates als den Ausgangspunkt für die
juristische Behandlung des Staatsrechts ist auf die vortrefflichen Ausfüh-
§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.

Der Gegenſatz zwiſchen juriſtiſcher Perſon und Sozietät läßt
ſich am Kürzeſten dahin formuliren: Die juriſtiſche Perſon iſt ein
Rechtsſubject, die Sozietät ein Rechtsverhältniß. So
iſt auch der Staatenbund ein Rechtsverhältniß unter Staaten,
alſo kein Rechtsſubject; der Staat dagegen eine organiſirte Ein-
heit, eine Perſon, alſo kein Rechtsverhältniß 1). Selbſtverſtändlich
ſchließt dies nicht aus, daß zwiſchen dem Staat und ſeinen Mit-
gliedern Rechtsverhältniſſe beſtehen, wie auch zwiſchen den Korpo-
rationen des Privatrechtes und ihren Mitgliedern.

Jeder Staatenverband, mögen demſelben noch ſo weitreichende
und wichtige ſtaatliche Aufgaben zugewieſen ſein, iſt ſeiner juri-
ſtiſchen Natur nach kein Gebilde des Staatsrechts, ſondern des
Völkerrechts; jeder Staat dagegen, mag ſein Gefüge noch ſo locker
und der Zuſammenhang ſeiner Glieder noch ſo loſe ſein, ſchließt,
ſoweit die ſtaatliche Organiſation reicht, die Anwendung völker-
rechtlicher Grundſätze aus. Die rechtliche Grundlage des Staaten-
verbandes wie der Sozietät iſt der Vertrag, die rechtliche Grund-
lage des Staates wie der Korporation des Privatrechts iſt die
Verfaſſung, das Statut.

Das Weſen der juriſtiſchen Perſon beſteht in der ſelbſt-
ſtändigen Rechtsfähigkeit
, welche ihrerſeits wieder eine
ſelbſtſtändige Willensfähigkeit vorausſetzt. Für die juriſtiſche Per-
ſon des Privatrechts ſind Rechtsfähigkeit und Willensfähigkeit be-
ſchränkt auf das Gebiet des Vermögensrechtes; für den Staat,
die juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechtes, erſtreckt ſich Rechts-
fähigkeit und Willensfähigkeit auf das Gebiet des öffentlichen
Rechts, der Herrſchafts- oder Hoheitsrechte 2).


tefend Deutſches Staatsrecht § 18. 19 bei ſeiner Charakteriſirung des Nord-
deutſchen Bundes beide Begriffe völlig durcheinander. Nach ihm „haben die
Bundesſtaaten ſich nur verpflichtet, gewiſſe Angelegenheiten des öffentlichen
Lebens gemeinſam regeln zu wollen,“ deſſenungeachtet ſei dieſer Bund „ein
wirklicher Bundesſtaat mit durchaus ſtaatlichem Charakter;“ und
doch wird dann hinzugefügt: „allein es iſt dieſer Bundesſtaat kein wirklicher
Staat.“
1) Ganz abweichend iſt die Auffaſſung Hänel’s. Er ſagt, Studien I.
S. 42: „Auch der Staatenbund iſt juriſtiſche Perſon,“ gleichzeitig aber ſoll er
„ein vertragsmäßiges Verhältniß der Einzelſtaaten unter einander darſtellen.“
2) Ueber die Perſönlichkeit des Staates als den Ausgangspunkt für die
juriſtiſche Behandlung des Staatsrechts iſt auf die vortrefflichen Ausfüh-
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[57/0077] §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. Der Gegenſatz zwiſchen juriſtiſcher Perſon und Sozietät läßt ſich am Kürzeſten dahin formuliren: Die juriſtiſche Perſon iſt ein Rechtsſubject, die Sozietät ein Rechtsverhältniß. So iſt auch der Staatenbund ein Rechtsverhältniß unter Staaten, alſo kein Rechtsſubject; der Staat dagegen eine organiſirte Ein- heit, eine Perſon, alſo kein Rechtsverhältniß 1). Selbſtverſtändlich ſchließt dies nicht aus, daß zwiſchen dem Staat und ſeinen Mit- gliedern Rechtsverhältniſſe beſtehen, wie auch zwiſchen den Korpo- rationen des Privatrechtes und ihren Mitgliedern. Jeder Staatenverband, mögen demſelben noch ſo weitreichende und wichtige ſtaatliche Aufgaben zugewieſen ſein, iſt ſeiner juri- ſtiſchen Natur nach kein Gebilde des Staatsrechts, ſondern des Völkerrechts; jeder Staat dagegen, mag ſein Gefüge noch ſo locker und der Zuſammenhang ſeiner Glieder noch ſo loſe ſein, ſchließt, ſoweit die ſtaatliche Organiſation reicht, die Anwendung völker- rechtlicher Grundſätze aus. Die rechtliche Grundlage des Staaten- verbandes wie der Sozietät iſt der Vertrag, die rechtliche Grund- lage des Staates wie der Korporation des Privatrechts iſt die Verfaſſung, das Statut. Das Weſen der juriſtiſchen Perſon beſteht in der ſelbſt- ſtändigen Rechtsfähigkeit, welche ihrerſeits wieder eine ſelbſtſtändige Willensfähigkeit vorausſetzt. Für die juriſtiſche Per- ſon des Privatrechts ſind Rechtsfähigkeit und Willensfähigkeit be- ſchränkt auf das Gebiet des Vermögensrechtes; für den Staat, die juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechtes, erſtreckt ſich Rechts- fähigkeit und Willensfähigkeit auf das Gebiet des öffentlichen Rechts, der Herrſchafts- oder Hoheitsrechte 2). 1) 1) Ganz abweichend iſt die Auffaſſung Hänel’s. Er ſagt, Studien I. S. 42: „Auch der Staatenbund iſt juriſtiſche Perſon,“ gleichzeitig aber ſoll er „ein vertragsmäßiges Verhältniß der Einzelſtaaten unter einander darſtellen.“ 2) Ueber die Perſönlichkeit des Staates als den Ausgangspunkt für die juriſtiſche Behandlung des Staatsrechts iſt auf die vortrefflichen Ausfüh- 1) tefend Deutſches Staatsrecht § 18. 19 bei ſeiner Charakteriſirung des Nord- deutſchen Bundes beide Begriffe völlig durcheinander. Nach ihm „haben die Bundesſtaaten ſich nur verpflichtet, gewiſſe Angelegenheiten des öffentlichen Lebens gemeinſam regeln zu wollen,“ deſſenungeachtet ſei dieſer Bund „ein wirklicher Bundesſtaat mit durchaus ſtaatlichem Charakter;“ und doch wird dann hinzugefügt: „allein es iſt dieſer Bundesſtaat kein wirklicher Staat.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/77>, abgerufen am 29.03.2024.