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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 102. Die Staatsanwaltschaft.
werden 1). Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber einen Weg
eröffnet, um die Frage, ob im concreten Falle die gesetzliche Pflicht
der Staatsanwaltschaft zum Einschreiten begründet ist oder nicht,
von einer unabhängigen d. h. richterlichen Behörde ent-
scheiden zu lassen 2). Wenn die sachlich zunächst zuständige Staats-
anwaltschaft einem bei ihr angebrachten Antrage auf Erhebung der
öffentlichen Klage keine Folge giebt oder nach dem Abschlusse der
Ermittelungen die Einstellung des Verfahrens verfügt, so hat sie
den Antragsteller unter Angabe der Gründe hiervon zu benach-
richtigen 3). Gegen diesen Bescheid steht dem Antragsteller, wofern
er zugleich der Verletzte ist 4), nicht nur die Beschwerde an den
vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu, sondern auch gegen
den ablehnenden Bescheid des letzteren binnen einem Monat nach
der Bekanntmachung der Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung
5). Zuständig zur Entscheidung ist in den vor das
Reichsgericht gehörigen Sachen das Reichsgericht, in anderen Sa-
chen das Oberlandesgericht 6). Erachtet das Gericht den Antrag
für begründet, so beschließt es die Erhebung der öffentlichen Klage
und die Staatsanwaltschaft ist alsdann zur Durchführung dieses
Beschlusses verpflichtet 7). Hierdurch wird freilich ebensowohl die

1) Der Beamte der Staatsanwaltschaft ist nach Gerichtsverf.Ges. §. 147.
148 verpflichtet, auch einem Befehl seines Vorgesetzten resp. der Justizverwal-
tung, eine begründete Klage nicht zu erheben, Folge zu leisten. Vgl. Löwe
Anm. 8 zu §. 152 der Str.Pr.O. (S. 394. 2. Aufl.)
2) Vgl. Fuchs in Holtzendorff's Handbuch I. S. 450 ff. Voitus Kom-
mentar z. Strafproz.O. S. 211 ff. Löwe zu §. 152 Abs. 2 u. bes. zu §. 170.
Schwarze Kommentar S. 313 ff.
3) Strafproz.O. §. 169.
4) Der Begriff des "Verletzten" ist in der Strafproz.Ordn. nicht definirt
und in der Literatur streitig. Löwe a. a. O. S. 418 führt aus, daß als
Verletzter Jeder anzusehen ist, in dessen Rechtssphäre die strafbare Handlung
unmittelbar oder mittelbar irgendwie eingegriffen hat oder im Falle der
Vollendung eingegriffen haben würde. Ebenso Schwarz a. a. O. S. 316.
Dagegen fassen den Begriff wesentlich enger Voitus S. 212 und Fuchs
S. 453.
5) Strafproz.O. §. 170 Abs. 1. Um frivole oder unbegründete Anträge
möglichst zu verhüten, ist vorgeschrieben worden, daß der Antrag von einem
Rechtsanwalt unterzeichnet sein muß.
6) a. a. O. §. 170 Abs. 3.
7) a. a. O. §. 173.

§. 102. Die Staatsanwaltſchaft.
werden 1). Aus dieſem Grunde hat der Geſetzgeber einen Weg
eröffnet, um die Frage, ob im concreten Falle die geſetzliche Pflicht
der Staatsanwaltſchaft zum Einſchreiten begründet iſt oder nicht,
von einer unabhängigen d. h. richterlichen Behörde ent-
ſcheiden zu laſſen 2). Wenn die ſachlich zunächſt zuſtändige Staats-
anwaltſchaft einem bei ihr angebrachten Antrage auf Erhebung der
öffentlichen Klage keine Folge giebt oder nach dem Abſchluſſe der
Ermittelungen die Einſtellung des Verfahrens verfügt, ſo hat ſie
den Antragſteller unter Angabe der Gründe hiervon zu benach-
richtigen 3). Gegen dieſen Beſcheid ſteht dem Antragſteller, wofern
er zugleich der Verletzte iſt 4), nicht nur die Beſchwerde an den
vorgeſetzten Beamten der Staatsanwaltſchaft zu, ſondern auch gegen
den ablehnenden Beſcheid des letzteren binnen einem Monat nach
der Bekanntmachung der Antrag auf gerichtliche Ent-
ſcheidung
5). Zuſtändig zur Entſcheidung iſt in den vor das
Reichsgericht gehörigen Sachen das Reichsgericht, in anderen Sa-
chen das Oberlandesgericht 6). Erachtet das Gericht den Antrag
für begründet, ſo beſchließt es die Erhebung der öffentlichen Klage
und die Staatsanwaltſchaft iſt alsdann zur Durchführung dieſes
Beſchluſſes verpflichtet 7). Hierdurch wird freilich ebenſowohl die

1) Der Beamte der Staatsanwaltſchaft iſt nach Gerichtsverf.Geſ. §. 147.
148 verpflichtet, auch einem Befehl ſeines Vorgeſetzten reſp. der Juſtizverwal-
tung, eine begründete Klage nicht zu erheben, Folge zu leiſten. Vgl. Löwe
Anm. 8 zu §. 152 der Str.Pr.O. (S. 394. 2. Aufl.)
2) Vgl. Fuchs in Holtzendorff’s Handbuch I. S. 450 ff. Voitus Kom-
mentar z. Strafproz.O. S. 211 ff. Löwe zu §. 152 Abſ. 2 u. beſ. zu §. 170.
Schwarze Kommentar S. 313 ff.
3) Strafproz.O. §. 169.
4) Der Begriff des „Verletzten“ iſt in der Strafproz.Ordn. nicht definirt
und in der Literatur ſtreitig. Löwe a. a. O. S. 418 führt aus, daß als
Verletzter Jeder anzuſehen iſt, in deſſen Rechtsſphäre die ſtrafbare Handlung
unmittelbar oder mittelbar irgendwie eingegriffen hat oder im Falle der
Vollendung eingegriffen haben würde. Ebenſo Schwarz a. a. O. S. 316.
Dagegen faſſen den Begriff weſentlich enger Voitus S. 212 und Fuchs
S. 453.
5) Strafproz.O. §. 170 Abſ. 1. Um frivole oder unbegründete Anträge
möglichſt zu verhüten, iſt vorgeſchrieben worden, daß der Antrag von einem
Rechtsanwalt unterzeichnet ſein muß.
6) a. a. O. §. 170 Abſ. 3.
7) a. a. O. §. 173.
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[108/0118] §. 102. Die Staatsanwaltſchaft. werden 1). Aus dieſem Grunde hat der Geſetzgeber einen Weg eröffnet, um die Frage, ob im concreten Falle die geſetzliche Pflicht der Staatsanwaltſchaft zum Einſchreiten begründet iſt oder nicht, von einer unabhängigen d. h. richterlichen Behörde ent- ſcheiden zu laſſen 2). Wenn die ſachlich zunächſt zuſtändige Staats- anwaltſchaft einem bei ihr angebrachten Antrage auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge giebt oder nach dem Abſchluſſe der Ermittelungen die Einſtellung des Verfahrens verfügt, ſo hat ſie den Antragſteller unter Angabe der Gründe hiervon zu benach- richtigen 3). Gegen dieſen Beſcheid ſteht dem Antragſteller, wofern er zugleich der Verletzte iſt 4), nicht nur die Beſchwerde an den vorgeſetzten Beamten der Staatsanwaltſchaft zu, ſondern auch gegen den ablehnenden Beſcheid des letzteren binnen einem Monat nach der Bekanntmachung der Antrag auf gerichtliche Ent- ſcheidung 5). Zuſtändig zur Entſcheidung iſt in den vor das Reichsgericht gehörigen Sachen das Reichsgericht, in anderen Sa- chen das Oberlandesgericht 6). Erachtet das Gericht den Antrag für begründet, ſo beſchließt es die Erhebung der öffentlichen Klage und die Staatsanwaltſchaft iſt alsdann zur Durchführung dieſes Beſchluſſes verpflichtet 7). Hierdurch wird freilich ebenſowohl die 1) Der Beamte der Staatsanwaltſchaft iſt nach Gerichtsverf.Geſ. §. 147. 148 verpflichtet, auch einem Befehl ſeines Vorgeſetzten reſp. der Juſtizverwal- tung, eine begründete Klage nicht zu erheben, Folge zu leiſten. Vgl. Löwe Anm. 8 zu §. 152 der Str.Pr.O. (S. 394. 2. Aufl.) 2) Vgl. Fuchs in Holtzendorff’s Handbuch I. S. 450 ff. Voitus Kom- mentar z. Strafproz.O. S. 211 ff. Löwe zu §. 152 Abſ. 2 u. beſ. zu §. 170. Schwarze Kommentar S. 313 ff. 3) Strafproz.O. §. 169. 4) Der Begriff des „Verletzten“ iſt in der Strafproz.Ordn. nicht definirt und in der Literatur ſtreitig. Löwe a. a. O. S. 418 führt aus, daß als Verletzter Jeder anzuſehen iſt, in deſſen Rechtsſphäre die ſtrafbare Handlung unmittelbar oder mittelbar irgendwie eingegriffen hat oder im Falle der Vollendung eingegriffen haben würde. Ebenſo Schwarz a. a. O. S. 316. Dagegen faſſen den Begriff weſentlich enger Voitus S. 212 und Fuchs S. 453. 5) Strafproz.O. §. 170 Abſ. 1. Um frivole oder unbegründete Anträge möglichſt zu verhüten, iſt vorgeſchrieben worden, daß der Antrag von einem Rechtsanwalt unterzeichnet ſein muß. 6) a. a. O. §. 170 Abſ. 3. 7) a. a. O. §. 173.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/118>, abgerufen am 29.03.2024.