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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 113. Die Einheit der Zoll- und Steuer-Gesetzgebung etc.
gesetze erforderlichen Verwaltungsvorschriften und Einrich-
tungen". Es bleibt demnach eine Lücke; es fehlt die verfassungs-
mäßige Ermächtigung des Bundesrathes zur Beschlußfassung über
die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Rechtsvor-
schriften
1). Die landläufige Verwechslung des formellen Be-
griffes "Verordnung" mit dem materiellen Begriff "Verwaltungs-
vorschrift", die dadurch verschuldet ist, daß beide scheinbar den-
selben Gegensatz haben, nämlich "das Gesetz" -- freilich in zwei
ganz verschiedenen Bedeutungen dieses Wortes -- sowie der Doppel-
sinn, welcher in dem Ausdruck "Ausführung eines Gesetzes" ver-
borgen ist (siehe Bd. II S. 70), haben bei der Abfassung der
Nordd. Bundesverf., sowie der Reichsverfassung die erwähnte Lücke
verdeckt.

Allein sie ist in anderer Weise ausgefüllt worden, so daß sie
sich thatsächlich nicht fühlbar macht. Sämmtliche Zoll- und
Steuergesetze des Norddeutschen Bundes und Reiches enthalten
nämlich zahlreiche und umfassende Delegationen für den
Bundesrath, durch welche demselben theils im Allgemeinen der
Erlaß der Ausführungsbestimmungen theils für besondere Gegen-
stände die Abfassung von Regulativen übertragen wird. Auf
Grund derselben hat der Bundesrath eine große Masse von Re-
gulativen beschlossen, welche ihrem Inhalte nach zum Theil wahre
Spezialgesetze sind 2).

Sollte sich aber das Bedürfniß herausstellen, Vorschriften
von rechtlichem Inhalte (Rechtssätze) hinsichtlich einer der im
Art. 35 aufgeführten Angelegenheit zu erlassen, ohne daß durch
ein Reichsgesetz eine Ermächtigung hierzu dem Bundesrath oder
einem andern Organ des Reiches ertheilt worden ist, so läßt die
Reichsverfassung hierfür keinen andern Weg zu, als den der Reichs-
gesetzgebung. Den Einzelstaaten ist die Befugniß hierzu durch
Art. 35 der R.V. ausdrücklich entzogen; der verfassungsmäßige

1) Vgl. Bd. II S. 72. 233.
2) Vgl. meine Abhandlung in Hirth's Annalen S. 478, Hänel Studien
II. S. 85 und die ausführlichen Nachweisungen bei v. Aufseß a. a. O.
S. 650 ff. Die ungenügende Art der Verkündigung gesetzvertretender
Bundesrathsverordnungen wird von Hänel a. a. O. S. 88 ff. nachdrücklich
gerügt. Vgl. oben Bd. II. S. 91.

§. 113. Die Einheit der Zoll- und Steuer-Geſetzgebung ꝛc.
geſetze erforderlichen Verwaltungsvorſchriften und Einrich-
tungen“. Es bleibt demnach eine Lücke; es fehlt die verfaſſungs-
mäßige Ermächtigung des Bundesrathes zur Beſchlußfaſſung über
die zur Ausführung der Reichsgeſetze erforderlichen Rechtsvor-
ſchriften
1). Die landläufige Verwechslung des formellen Be-
griffes „Verordnung“ mit dem materiellen Begriff „Verwaltungs-
vorſchrift“, die dadurch verſchuldet iſt, daß beide ſcheinbar den-
ſelben Gegenſatz haben, nämlich „das Geſetz“ — freilich in zwei
ganz verſchiedenen Bedeutungen dieſes Wortes — ſowie der Doppel-
ſinn, welcher in dem Ausdruck „Ausführung eines Geſetzes“ ver-
borgen iſt (ſiehe Bd. II S. 70), haben bei der Abfaſſung der
Nordd. Bundesverf., ſowie der Reichsverfaſſung die erwähnte Lücke
verdeckt.

Allein ſie iſt in anderer Weiſe ausgefüllt worden, ſo daß ſie
ſich thatſächlich nicht fühlbar macht. Sämmtliche Zoll- und
Steuergeſetze des Norddeutſchen Bundes und Reiches enthalten
nämlich zahlreiche und umfaſſende Delegationen für den
Bundesrath, durch welche demſelben theils im Allgemeinen der
Erlaß der Ausführungsbeſtimmungen theils für beſondere Gegen-
ſtände die Abfaſſung von Regulativen übertragen wird. Auf
Grund derſelben hat der Bundesrath eine große Maſſe von Re-
gulativen beſchloſſen, welche ihrem Inhalte nach zum Theil wahre
Spezialgeſetze ſind 2).

Sollte ſich aber das Bedürfniß herausſtellen, Vorſchriften
von rechtlichem Inhalte (Rechtsſätze) hinſichtlich einer der im
Art. 35 aufgeführten Angelegenheit zu erlaſſen, ohne daß durch
ein Reichsgeſetz eine Ermächtigung hierzu dem Bundesrath oder
einem andern Organ des Reiches ertheilt worden iſt, ſo läßt die
Reichsverfaſſung hierfür keinen andern Weg zu, als den der Reichs-
geſetzgebung. Den Einzelſtaaten iſt die Befugniß hierzu durch
Art. 35 der R.V. ausdrücklich entzogen; der verfaſſungsmäßige

1) Vgl. Bd. II S. 72. 233.
2) Vgl. meine Abhandlung in Hirth’s Annalen S. 478, Hänel Studien
II. S. 85 und die ausführlichen Nachweiſungen bei v. Aufſeß a. a. O.
S. 650 ff. Die ungenügende Art der Verkündigung geſetzvertretender
Bundesrathsverordnungen wird von Hänel a. a. O. S. 88 ff. nachdrücklich
gerügt. Vgl. oben Bd. II. S. 91.
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[282/0292] §. 113. Die Einheit der Zoll- und Steuer-Geſetzgebung ꝛc. geſetze erforderlichen Verwaltungsvorſchriften und Einrich- tungen“. Es bleibt demnach eine Lücke; es fehlt die verfaſſungs- mäßige Ermächtigung des Bundesrathes zur Beſchlußfaſſung über die zur Ausführung der Reichsgeſetze erforderlichen Rechtsvor- ſchriften 1). Die landläufige Verwechslung des formellen Be- griffes „Verordnung“ mit dem materiellen Begriff „Verwaltungs- vorſchrift“, die dadurch verſchuldet iſt, daß beide ſcheinbar den- ſelben Gegenſatz haben, nämlich „das Geſetz“ — freilich in zwei ganz verſchiedenen Bedeutungen dieſes Wortes — ſowie der Doppel- ſinn, welcher in dem Ausdruck „Ausführung eines Geſetzes“ ver- borgen iſt (ſiehe Bd. II S. 70), haben bei der Abfaſſung der Nordd. Bundesverf., ſowie der Reichsverfaſſung die erwähnte Lücke verdeckt. Allein ſie iſt in anderer Weiſe ausgefüllt worden, ſo daß ſie ſich thatſächlich nicht fühlbar macht. Sämmtliche Zoll- und Steuergeſetze des Norddeutſchen Bundes und Reiches enthalten nämlich zahlreiche und umfaſſende Delegationen für den Bundesrath, durch welche demſelben theils im Allgemeinen der Erlaß der Ausführungsbeſtimmungen theils für beſondere Gegen- ſtände die Abfaſſung von Regulativen übertragen wird. Auf Grund derſelben hat der Bundesrath eine große Maſſe von Re- gulativen beſchloſſen, welche ihrem Inhalte nach zum Theil wahre Spezialgeſetze ſind 2). Sollte ſich aber das Bedürfniß herausſtellen, Vorſchriften von rechtlichem Inhalte (Rechtsſätze) hinſichtlich einer der im Art. 35 aufgeführten Angelegenheit zu erlaſſen, ohne daß durch ein Reichsgeſetz eine Ermächtigung hierzu dem Bundesrath oder einem andern Organ des Reiches ertheilt worden iſt, ſo läßt die Reichsverfaſſung hierfür keinen andern Weg zu, als den der Reichs- geſetzgebung. Den Einzelſtaaten iſt die Befugniß hierzu durch Art. 35 der R.V. ausdrücklich entzogen; der verfaſſungsmäßige 1) Vgl. Bd. II S. 72. 233. 2) Vgl. meine Abhandlung in Hirth’s Annalen S. 478, Hänel Studien II. S. 85 und die ausführlichen Nachweiſungen bei v. Aufſeß a. a. O. S. 650 ff. Die ungenügende Art der Verkündigung geſetzvertretender Bundesrathsverordnungen wird von Hänel a. a. O. S. 88 ff. nachdrücklich gerügt. Vgl. oben Bd. II. S. 91.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/292>, abgerufen am 24.04.2024.