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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe.
von längerer Dauer in demjenigen Staate vollstreckt werden
müssen, dessen Gerichte sie verhängt haben, sondern nur daß der
Staat, in dessen Gebiet der Verurtheilte sich aufhält, nicht ver-
pflichtet ist
, sich der Strafvollstreckung zu unterziehen. Es ist
diesem Staate demnach reichsgesetzlich unverwehrt, freiwillig dies
auf sich zu nehmen, und folglich können die Einzelstaaten auch
unter einander Staatsverträge schließen, durch welche sie hinsicht-
lich der Strafvollstreckung weitergehende Verpflichtungen als die
im §. 163 cit. ihnen reichsgesetzlich auferlegten gegen einander
übernehmen 1).

5. Das Gerichtsverfassungsgesetz hat noch nach einer andern
Richtung die gleichmäßige Handhabung der Rechtspflege gesichert,
indem es dem von der Rechtshülfe handelnden (13ten) Titel die
Bestimmung hinzugefügt hat: "Die in einem Bundesstaate be-
stehenden Vorschriften über die Mittheilung von Akten einer öffent-
lichen Behörde an ein Gericht dieses Bundesstaates kommen auch
dann zur Anwendung, wenn das ersuchende Gericht einem anderen
Bundesstaate angehört" 2). Es bezieht sich diese Vorschrift nicht
eigentlich auf die Rechtshülfe, da sie nicht die Verpflichtung der
Gerichte zur Vornahme einer richterlichen Handlung begründet,
sondern die Pflicht "öffentlicher Behörden" zur Vorlegung ihrer
Akten bei Gericht betrifft. Sie normirt auch keineswegs die Vor-
aussetzungen und den Umfang dieser Pflicht; sie überläßt es viel-
mehr vollkommen den Regierungen der Staaten Anordnungen über
die Mittheilung von Akten an die Gerichte zu treffen; sie stellt
lediglich die Regel auf, daß diese Anordnungen dieselben für die
Gerichte der anderen Bundesstaaten wie für die eigenen Gerichte
sein müssen 3). Jedoch ist ein Bundesstaat niemals verpflichtet,
die Akten seiner Behörden unmittelbar dem Gericht eines andern
Bundesstaates vorzulegen, sondern stets nur durch Vermittlung
eines inländischen Amtsgerichts, an welches das Ersuchen um Mit-
theilung zu richten ist.


1) Vgl. Protok. der Reichstags-Kommission I. Lesung. S. 9 (Hahn S. 323).
2) Gerichtsverf.Ges. §. 169.
3) §. 169 Beruht auf dem im Art. 3 Abs. 1 der R.V. sanctionirten Grund-
princip. Vgl. Bd. I. S. 176 ff. Die Vorschrift ist von der Reichstagskom-
mission in das Gesetz aufgenommen worden. Vgl. Protok. I. Lesung S. 17 ff.
(Hahn S. 327.)

§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe.
von längerer Dauer in demjenigen Staate vollſtreckt werden
müſſen, deſſen Gerichte ſie verhängt haben, ſondern nur daß der
Staat, in deſſen Gebiet der Verurtheilte ſich aufhält, nicht ver-
pflichtet iſt
, ſich der Strafvollſtreckung zu unterziehen. Es iſt
dieſem Staate demnach reichsgeſetzlich unverwehrt, freiwillig dies
auf ſich zu nehmen, und folglich können die Einzelſtaaten auch
unter einander Staatsverträge ſchließen, durch welche ſie hinſicht-
lich der Strafvollſtreckung weitergehende Verpflichtungen als die
im §. 163 cit. ihnen reichsgeſetzlich auferlegten gegen einander
übernehmen 1).

5. Das Gerichtsverfaſſungsgeſetz hat noch nach einer andern
Richtung die gleichmäßige Handhabung der Rechtspflege geſichert,
indem es dem von der Rechtshülfe handelnden (13ten) Titel die
Beſtimmung hinzugefügt hat: „Die in einem Bundesſtaate be-
ſtehenden Vorſchriften über die Mittheilung von Akten einer öffent-
lichen Behörde an ein Gericht dieſes Bundesſtaates kommen auch
dann zur Anwendung, wenn das erſuchende Gericht einem anderen
Bundesſtaate angehört“ 2). Es bezieht ſich dieſe Vorſchrift nicht
eigentlich auf die Rechtshülfe, da ſie nicht die Verpflichtung der
Gerichte zur Vornahme einer richterlichen Handlung begründet,
ſondern die Pflicht „öffentlicher Behörden“ zur Vorlegung ihrer
Akten bei Gericht betrifft. Sie normirt auch keineswegs die Vor-
ausſetzungen und den Umfang dieſer Pflicht; ſie überläßt es viel-
mehr vollkommen den Regierungen der Staaten Anordnungen über
die Mittheilung von Akten an die Gerichte zu treffen; ſie ſtellt
lediglich die Regel auf, daß dieſe Anordnungen dieſelben für die
Gerichte der anderen Bundesſtaaten wie für die eigenen Gerichte
ſein müſſen 3). Jedoch iſt ein Bundesſtaat niemals verpflichtet,
die Akten ſeiner Behörden unmittelbar dem Gericht eines andern
Bundesſtaates vorzulegen, ſondern ſtets nur durch Vermittlung
eines inländiſchen Amtsgerichts, an welches das Erſuchen um Mit-
theilung zu richten iſt.


1) Vgl. Protok. der Reichstags-Kommiſſion I. Leſung. S. 9 (Hahn S. 323).
2) Gerichtsverf.Geſ. §. 169.
3) §. 169 Beruht auf dem im Art. 3 Abſ. 1 der R.V. ſanctionirten Grund-
princip. Vgl. Bd. I. S. 176 ff. Die Vorſchrift iſt von der Reichstagskom-
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(Hahn S. 327.)
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[72/0082] §. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe. von längerer Dauer in demjenigen Staate vollſtreckt werden müſſen, deſſen Gerichte ſie verhängt haben, ſondern nur daß der Staat, in deſſen Gebiet der Verurtheilte ſich aufhält, nicht ver- pflichtet iſt, ſich der Strafvollſtreckung zu unterziehen. Es iſt dieſem Staate demnach reichsgeſetzlich unverwehrt, freiwillig dies auf ſich zu nehmen, und folglich können die Einzelſtaaten auch unter einander Staatsverträge ſchließen, durch welche ſie hinſicht- lich der Strafvollſtreckung weitergehende Verpflichtungen als die im §. 163 cit. ihnen reichsgeſetzlich auferlegten gegen einander übernehmen 1). 5. Das Gerichtsverfaſſungsgeſetz hat noch nach einer andern Richtung die gleichmäßige Handhabung der Rechtspflege geſichert, indem es dem von der Rechtshülfe handelnden (13ten) Titel die Beſtimmung hinzugefügt hat: „Die in einem Bundesſtaate be- ſtehenden Vorſchriften über die Mittheilung von Akten einer öffent- lichen Behörde an ein Gericht dieſes Bundesſtaates kommen auch dann zur Anwendung, wenn das erſuchende Gericht einem anderen Bundesſtaate angehört“ 2). Es bezieht ſich dieſe Vorſchrift nicht eigentlich auf die Rechtshülfe, da ſie nicht die Verpflichtung der Gerichte zur Vornahme einer richterlichen Handlung begründet, ſondern die Pflicht „öffentlicher Behörden“ zur Vorlegung ihrer Akten bei Gericht betrifft. Sie normirt auch keineswegs die Vor- ausſetzungen und den Umfang dieſer Pflicht; ſie überläßt es viel- mehr vollkommen den Regierungen der Staaten Anordnungen über die Mittheilung von Akten an die Gerichte zu treffen; ſie ſtellt lediglich die Regel auf, daß dieſe Anordnungen dieſelben für die Gerichte der anderen Bundesſtaaten wie für die eigenen Gerichte ſein müſſen 3). Jedoch iſt ein Bundesſtaat niemals verpflichtet, die Akten ſeiner Behörden unmittelbar dem Gericht eines andern Bundesſtaates vorzulegen, ſondern ſtets nur durch Vermittlung eines inländiſchen Amtsgerichts, an welches das Erſuchen um Mit- theilung zu richten iſt. 1) Vgl. Protok. der Reichstags-Kommiſſion I. Leſung. S. 9 (Hahn S. 323). 2) Gerichtsverf.Geſ. §. 169. 3) §. 169 Beruht auf dem im Art. 3 Abſ. 1 der R.V. ſanctionirten Grund- princip. Vgl. Bd. I. S. 176 ff. Die Vorſchrift iſt von der Reichstagskom- miſſion in das Geſetz aufgenommen worden. Vgl. Protok. I. Leſung S. 17 ff. (Hahn S. 327.)

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/82>, abgerufen am 29.03.2024.