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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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woduurch ohne Zweifel Kriemhildens feindlicher Gruß an
Hagen bezeichnet wird; sie fragte ihn dabei, wohin er den
Hort der Nibelungen gethan (Z. 6984):
Den soldet ir mir füren in daz Etzelen lant.

In der Klage wird darauf sogleich weiter erzählt (Z.
232 -- 237), wie Etzel mit Züchten gegen die Fürsten ge-
gangen sei und sie freundlich aufgenommen. Nach den
Nibelungen sind die Burgunden auf Volkers Rath zu Hofe
geritten, dann ist das Gesinde in die Herberge gebracht;
hierauf folgte der eben erwähnte Gruß Kriemhildens, die
sie noch draußen empfing, und als sie entdeckte, daß Die-
terich die Fremden gewarnt, voller Scham und Zorn sich
eilig entfernte. Nun wird ferner berichtet, wie Diete-
rich und Hagen mit einander darüber redeten, und Etzel
(in der Teichoskopie unseres Liedes) sich nach Hagen erkun-
digte; bis endlich Hagen und Volker von ihren Herren
weiter ab gingen, und vor Kriemhildens Saal mit bloßen
Schwertern auf einer Bank sitzend die Königinn und vier-
hundert Recken empfingen, die nach einem neuen Wort-
wechsel, ohne den Kampf zu wagen, wieder gingen. So-
dann geht Volker mit Hagen wieder zu den Königen, die
noch immer draußen standen, und räth ihnen zu Hofe zu
gehen. Dies geschieht, Etzel springt vom Sessel, als er sie
kommen sieht, und grüßt sie so freundlich, daß
Ein gruz so rehte schöne von edeln kunigen nie geschach.

Wenn nun bei dieser Erzählung in die Augen fällt,
daß die Könige viel zu lange auf dem Hofe stehen blei-
ben, so gibt der Umstand, daß die Klage nichts von
dem zweimahl darin berührten früheren Aufenthalt Ha-
gens bei Etzel erwähnt, einen sicheren Beweis, daß der

woduurch ohne Zweifel Kriemhildens feindlicher Gruß an
Hagen bezeichnet wird; ſie fragte ihn dabei, wohin er den
Hort der Nibelungen gethan (Z. 6984):
Den ſoldet ir mir füren in daz Etzelen lant.

In der Klage wird darauf ſogleich weiter erzählt (Z.
232 — 237), wie Etzel mit Züchten gegen die Fürſten ge-
gangen ſei und ſie freundlich aufgenommen. Nach den
Nibelungen ſind die Burgunden auf Volkers Rath zu Hofe
geritten, dann iſt das Geſinde in die Herberge gebracht;
hierauf folgte der eben erwähnte Gruß Kriemhildens, die
ſie noch draußen empfing, und als ſie entdeckte, daß Die-
terich die Fremden gewarnt, voller Scham und Zorn ſich
eilig entfernte. Nun wird ferner berichtet, wie Diete-
rich und Hagen mit einander darüber redeten, und Etzel
(in der Teichoſkopie unſeres Liedes) ſich nach Hagen erkun-
digte; bis endlich Hagen und Volker von ihren Herren
weiter ab gingen, und vor Kriemhildens Saal mit bloßen
Schwertern auf einer Bank ſitzend die Königinn und vier-
hundert Recken empfingen, die nach einem neuen Wort-
wechſel, ohne den Kampf zu wagen, wieder gingen. So-
dann geht Volker mit Hagen wieder zu den Königen, die
noch immer draußen ſtanden, und räth ihnen zu Hofe zu
gehen. Dies geſchieht, Etzel ſpringt vom Seſſel, als er ſie
kommen ſieht, und grüßt ſie ſo freundlich, daß
Ein grůz ſo rehte ſchöne von edeln ku̓nigen nie geſchach.

Wenn nun bei dieſer Erzählung in die Augen fällt,
daß die Könige viel zu lange auf dem Hofe ſtehen blei-
ben, ſo gibt der Umſtand, daß die Klage nichts von
dem zweimahl darin berührten früheren Aufenthalt Ha-
gens bei Etzel erwähnt, einen ſicheren Beweis, daß der

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[42/0050] woduurch ohne Zweifel Kriemhildens feindlicher Gruß an Hagen bezeichnet wird; ſie fragte ihn dabei, wohin er den Hort der Nibelungen gethan (Z. 6984): Den ſoldet ir mir füren in daz Etzelen lant. In der Klage wird darauf ſogleich weiter erzählt (Z. 232 — 237), wie Etzel mit Züchten gegen die Fürſten ge- gangen ſei und ſie freundlich aufgenommen. Nach den Nibelungen ſind die Burgunden auf Volkers Rath zu Hofe geritten, dann iſt das Geſinde in die Herberge gebracht; hierauf folgte der eben erwähnte Gruß Kriemhildens, die ſie noch draußen empfing, und als ſie entdeckte, daß Die- terich die Fremden gewarnt, voller Scham und Zorn ſich eilig entfernte. Nun wird ferner berichtet, wie Diete- rich und Hagen mit einander darüber redeten, und Etzel (in der Teichoſkopie unſeres Liedes) ſich nach Hagen erkun- digte; bis endlich Hagen und Volker von ihren Herren weiter ab gingen, und vor Kriemhildens Saal mit bloßen Schwertern auf einer Bank ſitzend die Königinn und vier- hundert Recken empfingen, die nach einem neuen Wort- wechſel, ohne den Kampf zu wagen, wieder gingen. So- dann geht Volker mit Hagen wieder zu den Königen, die noch immer draußen ſtanden, und räth ihnen zu Hofe zu gehen. Dies geſchieht, Etzel ſpringt vom Seſſel, als er ſie kommen ſieht, und grüßt ſie ſo freundlich, daß Ein grůz ſo rehte ſchöne von edeln ku̓nigen nie geſchach. Wenn nun bei dieſer Erzählung in die Augen fällt, daß die Könige viel zu lange auf dem Hofe ſtehen blei- ben, ſo gibt der Umſtand, daß die Klage nichts von dem zweimahl darin berührten früheren Aufenthalt Ha- gens bei Etzel erwähnt, einen ſicheren Beweis, daß der

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/50>, abgerufen am 24.04.2024.