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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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Wol nach sinem willen wart im du magt bekant.
Sit reit er fröliche in daz Sigmundes lant.

Von dem voranstehenden Liede sondert sich dieses durch
ein neues Vorführen Siegfrieds (Z. 626). Giselher wird
auch hier noch nicht genannt, sondern nur Günther und
Gernot. Und nun mag es wunderlich scheinen, wenn ich
alle Strophen, in denen Hagen, Ortwin, Dankwart, Vol-
ker, Sindolt und Hunold vorkommen, für später einge-
schoben erkläre; ich will auch gern zugeben, daß weder die
Erwähnung dieser Männer 59), noch die Mittelreime, noch
die öfter wiederhohlten Formeln: da mußten Helden ster-
ben, da wurden viel Helmbänder zerhauen, da that er
noch mehr Schaden, des Tages wurden viel gute Ritter
getödtet u. s. w. -- daß jeder dieser Umstände für sich al-
lein keine Stelle verdächtig machen könnte: wenn aber der-
gleichen immer in gewissen Strophen zusammenkommt, so
wird es doch wahrscheinlich, daß in diesem Liede, dem die
Sanct-Galler Handschrift keine neue Strophen hinzu-
fügt, jene gerade auf die Rechnung des Diaskeuasten
kommen 60).

Hingegen eignet sich die ganze folgende Erzählung, wie
Siegfried Kriemhilden zuerst sah, (Z. 1057 -- 1236) durch
breitere Darstellung und größere Zierlichkeit, die sich be-
sonders in ausgeführteren Bildern und der Erzählung von
Siegfrieds minniglichen Gedanken, dann in seiner ritter-
lichen Unterhaltung mit Kriemhilden zeigt 61), einem weit
späteren Zeitalter an; und eben dieses auffallend Jün-
gere des Liedes heißt uns bei der 1237 Zeile ein neues
anfangen, in dem die Darstellung bei weitem gedräng-
ter und manchmahl überkurz ist, obgleich auch in diesem
schon Giselher vorkommt, auf dessen Rath Siegfried noch

Wol nach ſinem willen wart im du̓ magt bekant.
Sit reit er fröliche in daz Sigmundes lant.

Von dem voranſtehenden Liede ſondert ſich dieſes durch
ein neues Vorführen Siegfrieds (Z. 626). Giſelher wird
auch hier noch nicht genannt, ſondern nur Günther und
Gernot. Und nun mag es wunderlich ſcheinen, wenn ich
alle Strophen, in denen Hagen, Ortwin, Dankwart, Vol-
ker, Sindolt und Hunold vorkommen, für ſpäter einge-
ſchoben erkläre; ich will auch gern zugeben, daß weder die
Erwähnung dieſer Männer 59), noch die Mittelreime, noch
die öfter wiederhohlten Formeln: da mußten Helden ſter-
ben, da wurden viel Helmbänder zerhauen, da that er
noch mehr Schaden, des Tages wurden viel gute Ritter
getödtet u. ſ. w. — daß jeder dieſer Umſtände für ſich al-
lein keine Stelle verdächtig machen könnte: wenn aber der-
gleichen immer in gewiſſen Strophen zuſammenkommt, ſo
wird es doch wahrſcheinlich, daß in dieſem Liede, dem die
Sanct-Galler Handſchrift keine neue Strophen hinzu-
fügt, jene gerade auf die Rechnung des Diaſkeuaſten
kommen 60).

Hingegen eignet ſich die ganze folgende Erzählung, wie
Siegfried Kriemhilden zuerſt ſah, (Z. 1057 — 1236) durch
breitere Darſtellung und größere Zierlichkeit, die ſich be-
ſonders in ausgeführteren Bildern und der Erzählung von
Siegfrieds minniglichen Gedanken, dann in ſeiner ritter-
lichen Unterhaltung mit Kriemhilden zeigt 61), einem weit
ſpäteren Zeitalter an; und eben dieſes auffallend Jün-
gere des Liedes heißt uns bei der 1237 Zeile ein neues
anfangen, in dem die Darſtellung bei weitem gedräng-
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[74/0082] Wol nach ſinem willen wart im du̓ magt bekant. Sit reit er fröliche in daz Sigmundes lant. Von dem voranſtehenden Liede ſondert ſich dieſes durch ein neues Vorführen Siegfrieds (Z. 626). Giſelher wird auch hier noch nicht genannt, ſondern nur Günther und Gernot. Und nun mag es wunderlich ſcheinen, wenn ich alle Strophen, in denen Hagen, Ortwin, Dankwart, Vol- ker, Sindolt und Hunold vorkommen, für ſpäter einge- ſchoben erkläre; ich will auch gern zugeben, daß weder die Erwähnung dieſer Männer ⁵⁹⁾ , noch die Mittelreime, noch die öfter wiederhohlten Formeln: da mußten Helden ſter- ben, da wurden viel Helmbänder zerhauen, da that er noch mehr Schaden, des Tages wurden viel gute Ritter getödtet u. ſ. w. — daß jeder dieſer Umſtände für ſich al- lein keine Stelle verdächtig machen könnte: wenn aber der- gleichen immer in gewiſſen Strophen zuſammenkommt, ſo wird es doch wahrſcheinlich, daß in dieſem Liede, dem die Sanct-Galler Handſchrift keine neue Strophen hinzu- fügt, jene gerade auf die Rechnung des Diaſkeuaſten kommen ⁶⁰⁾ . Hingegen eignet ſich die ganze folgende Erzählung, wie Siegfried Kriemhilden zuerſt ſah, (Z. 1057 — 1236) durch breitere Darſtellung und größere Zierlichkeit, die ſich be- ſonders in ausgeführteren Bildern und der Erzählung von Siegfrieds minniglichen Gedanken, dann in ſeiner ritter- lichen Unterhaltung mit Kriemhilden zeigt ⁶¹⁾ , einem weit ſpäteren Zeitalter an; und eben dieſes auffallend Jün- gere des Liedes heißt uns bei der 1237 Zeile ein neues anfangen, in dem die Darſtellung bei weitem gedräng- ter und manchmahl überkurz iſt, obgleich auch in dieſem ſchon Giſelher vorkommt, auf deſſen Rath Siegfried noch

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/82>, abgerufen am 25.04.2024.