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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

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Das Allgemeine und Besondere.
hören nur da auf, wo der Begriff nicht mehr gedenk-
bar, und ein Ding nicht mehr real oder positiv ist,
das will sagen, wo beyde nichts, widersprechend,
schlechthin unmöglich
etc. sind. Solche Nichts
sind leere Einbildungen, und sie können vorkommen,
wenn wir reale Begriffe zusammensetzen, die sich
nicht zusammensetzen lassen, wie z. E. runde Vier-
ecke, oder in der Algeber sqrt (1 - 2). Wir drücken
sie indessen auch mit Worten und andern Zeichen aus,
und in dieser Absicht sind sie dennoch brauchbar, weil
solche Ungereimtheiten sich zuweilen unter einander
aufheben. Denn so z. E. kann das morndrige Ge-
stern
so viel als heute vorstellen, weil das Heute
sich Morgen in Gestern verwandelt. So geben
die Brüche der Existenz Grade der Wahrscheinlich-
keit, (§. 104.). Und (sqrt - 3) - 1 zur dritten Digni-
tät erhoben, giebt 8, als eine reale Zahl etc.

§. 164.

Auf eine ähnliche Art haben wir in der Sprache
die Substantiua abstracta, z. E. Vollkommenheit, Tu-
gend, Verstand etc. welche eine ganz besondere Classe
ausmachen, und nicht Substanzen, aber etwas den
Substanzen ähnliches vorstellen. Wir merken dieses
hier um desto mehr an, weil das vorangeführte Postu-
latum
(§. 162. Postul. 4.) durchaus auf diese Art ge-
braucht wird. Denn indem wir das Aehnliche zweyer
oder mehrerer Dinge für sich gedenken, so abstrahi-
ren wir in Gedanken von allem übrigen, worinn diese
Dinge verschieden sind, und sehen das Aehnliche in
denselben erdichtungsweise und auf eine bloß ideale
Art, als etwas für sich bestehendes an, und benen-
nen es ebenfalls, als wenn es für sich und ohne die je-
desmal damit verbundene Verschiedenheiten existirte.

§. 165.

Das Allgemeine und Beſondere.
hoͤren nur da auf, wo der Begriff nicht mehr gedenk-
bar, und ein Ding nicht mehr real oder poſitiv iſt,
das will ſagen, wo beyde nichts, widerſprechend,
ſchlechthin unmoͤglich
ꝛc. ſind. Solche Nichts
ſind leere Einbildungen, und ſie koͤnnen vorkommen,
wenn wir reale Begriffe zuſammenſetzen, die ſich
nicht zuſammenſetzen laſſen, wie z. E. runde Vier-
ecke, oder in der Algeber √ (1 ‒ 2). Wir druͤcken
ſie indeſſen auch mit Worten und andern Zeichen aus,
und in dieſer Abſicht ſind ſie dennoch brauchbar, weil
ſolche Ungereimtheiten ſich zuweilen unter einander
aufheben. Denn ſo z. E. kann das morndrige Ge-
ſtern
ſo viel als heute vorſtellen, weil das Heute
ſich Morgen in Geſtern verwandelt. So geben
die Bruͤche der Exiſtenz Grade der Wahrſcheinlich-
keit, (§. 104.). Und (√ ‒ 3) ‒ 1 zur dritten Digni-
taͤt erhoben, giebt 8, als eine reale Zahl ꝛc.

§. 164.

Auf eine aͤhnliche Art haben wir in der Sprache
die Subſtantiua abſtracta, z. E. Vollkommenheit, Tu-
gend, Verſtand ꝛc. welche eine ganz beſondere Claſſe
ausmachen, und nicht Subſtanzen, aber etwas den
Subſtanzen aͤhnliches vorſtellen. Wir merken dieſes
hier um deſto mehr an, weil das vorangefuͤhrte Poſtu-
latum
(§. 162. Poſtul. 4.) durchaus auf dieſe Art ge-
braucht wird. Denn indem wir das Aehnliche zweyer
oder mehrerer Dinge fuͤr ſich gedenken, ſo abſtrahi-
ren wir in Gedanken von allem uͤbrigen, worinn dieſe
Dinge verſchieden ſind, und ſehen das Aehnliche in
denſelben erdichtungsweiſe und auf eine bloß ideale
Art, als etwas fuͤr ſich beſtehendes an, und benen-
nen es ebenfalls, als wenn es fuͤr ſich und ohne die je-
desmal damit verbundene Verſchiedenheiten exiſtirte.

§. 165.
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[123/0159] Das Allgemeine und Beſondere. hoͤren nur da auf, wo der Begriff nicht mehr gedenk- bar, und ein Ding nicht mehr real oder poſitiv iſt, das will ſagen, wo beyde nichts, widerſprechend, ſchlechthin unmoͤglich ꝛc. ſind. Solche Nichts ſind leere Einbildungen, und ſie koͤnnen vorkommen, wenn wir reale Begriffe zuſammenſetzen, die ſich nicht zuſammenſetzen laſſen, wie z. E. runde Vier- ecke, oder in der Algeber √ (1 ‒ 2). Wir druͤcken ſie indeſſen auch mit Worten und andern Zeichen aus, und in dieſer Abſicht ſind ſie dennoch brauchbar, weil ſolche Ungereimtheiten ſich zuweilen unter einander aufheben. Denn ſo z. E. kann das morndrige Ge- ſtern ſo viel als heute vorſtellen, weil das Heute ſich Morgen in Geſtern verwandelt. So geben die Bruͤche der Exiſtenz Grade der Wahrſcheinlich- keit, (§. 104.). Und (√ ‒ 3) ‒ 1 zur dritten Digni- taͤt erhoben, giebt 8, als eine reale Zahl ꝛc. §. 164. Auf eine aͤhnliche Art haben wir in der Sprache die Subſtantiua abſtracta, z. E. Vollkommenheit, Tu- gend, Verſtand ꝛc. welche eine ganz beſondere Claſſe ausmachen, und nicht Subſtanzen, aber etwas den Subſtanzen aͤhnliches vorſtellen. Wir merken dieſes hier um deſto mehr an, weil das vorangefuͤhrte Poſtu- latum (§. 162. Poſtul. 4.) durchaus auf dieſe Art ge- braucht wird. Denn indem wir das Aehnliche zweyer oder mehrerer Dinge fuͤr ſich gedenken, ſo abſtrahi- ren wir in Gedanken von allem uͤbrigen, worinn dieſe Dinge verſchieden ſind, und ſehen das Aehnliche in denſelben erdichtungsweiſe und auf eine bloß ideale Art, als etwas fuͤr ſich beſtehendes an, und benen- nen es ebenfalls, als wenn es fuͤr ſich und ohne die je- desmal damit verbundene Verſchiedenheiten exiſtirte. §. 165.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/159>, abgerufen am 25.04.2024.