Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Seyn und das Nicht seyn.
die physiologische Anlage zu dem abstracten Gedan-
kenreiche sind, welches, so wie unsere ganze Erkennt-
niß bey Empfindungen anfängt, und damit immer
begleitet ist.

§. 253.

Wir haben vorhin gesaget, daß die im §. 250.
vorgetragene Sätze zeigen, wo man anfangen müsse,
das ist und das ist nicht, in Absicht auf die Wider-
sprüche aufzusuchen. Wir werden, um dieses noch
deutlicher aufzuklären, hier folgende Betrachtung
beyfügen. Es ist unstreitig, daß von Widersprü-
chen die Rede gar nicht vorkommen würde, wenn die
Möglichkeit, Begriffe zusammen zu setzen, durchaus
uneingeschränkt wäre. Denn so würde der Umstand,
daß ein Begriff, welcher schon einige Merk-
male hat, gewisse andere Merkmale mit die-
sen nicht zugleich haben könne,
ganz wegfallen.
So aber ist das Reich der Wahrheiten nicht einge-
richtet; sondern es herrschet eine Ordnung darinn,
welche jeden Merkmalen, Bestimmungen und Ver-
hältnissen ihre Stelle anweiset, und sie von andern
Stellen schlechthin ausschleußt. Nun kann man leicht
einsehen, daß von denen Sätzen, welche diese Mög-
lichkeiten einschränken, bereits schon unter den ersten
Grundsätzen vorkommen müssen, weil jene, wenn sie
einen Beweis fordern, durch diese müssen bewiesen wer-
den. Nun haben die Beweise, wodurch man einen Wi-
derspruch herausbringt, eine von folgenden Formen.

1. Wenn A, B ist, so muß es auch C seyn.
Nun aber ist es nicht C.
Folglich kann es nicht B seyn.
2. Wenn A, D ist, so kann es nicht E seyn.
Nun aber ist es E.
Folglich kann es nicht D seyn.
Jn
Lamb. Archit. I. B. P

Das Seyn und das Nicht ſeyn.
die phyſiologiſche Anlage zu dem abſtracten Gedan-
kenreiche ſind, welches, ſo wie unſere ganze Erkennt-
niß bey Empfindungen anfaͤngt, und damit immer
begleitet iſt.

§. 253.

Wir haben vorhin geſaget, daß die im §. 250.
vorgetragene Saͤtze zeigen, wo man anfangen muͤſſe,
das iſt und das iſt nicht, in Abſicht auf die Wider-
ſpruͤche aufzuſuchen. Wir werden, um dieſes noch
deutlicher aufzuklaͤren, hier folgende Betrachtung
beyfuͤgen. Es iſt unſtreitig, daß von Widerſpruͤ-
chen die Rede gar nicht vorkommen wuͤrde, wenn die
Moͤglichkeit, Begriffe zuſammen zu ſetzen, durchaus
uneingeſchraͤnkt waͤre. Denn ſo wuͤrde der Umſtand,
daß ein Begriff, welcher ſchon einige Merk-
male hat, gewiſſe andere Merkmale mit die-
ſen nicht zugleich haben koͤnne,
ganz wegfallen.
So aber iſt das Reich der Wahrheiten nicht einge-
richtet; ſondern es herrſchet eine Ordnung darinn,
welche jeden Merkmalen, Beſtimmungen und Ver-
haͤltniſſen ihre Stelle anweiſet, und ſie von andern
Stellen ſchlechthin ausſchleußt. Nun kann man leicht
einſehen, daß von denen Saͤtzen, welche dieſe Moͤg-
lichkeiten einſchraͤnken, bereits ſchon unter den erſten
Grundſaͤtzen vorkommen muͤſſen, weil jene, wenn ſie
einen Beweis fordern, durch dieſe muͤſſen bewieſen wer-
den. Nun haben die Beweiſe, wodurch man einen Wi-
derſpruch herausbringt, eine von folgenden Formen.

1. Wenn A, B iſt, ſo muß es auch C ſeyn.
Nun aber iſt es nicht C.
Folglich kann es nicht B ſeyn.
2. Wenn A, D iſt, ſo kann es nicht E ſeyn.
Nun aber iſt es E.
Folglich kann es nicht D ſeyn.
Jn
Lamb. Archit. I. B. P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0261" n="225"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Seyn und das Nicht &#x017F;eyn.</hi></fw><lb/>
die phy&#x017F;iologi&#x017F;che Anlage zu dem ab&#x017F;tracten Gedan-<lb/>
kenreiche &#x017F;ind, welches, &#x017F;o wie un&#x017F;ere ganze Erkennt-<lb/>
niß bey Empfindungen anfa&#x0364;ngt, und damit immer<lb/>
begleitet i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 253.</head><lb/>
            <p>Wir haben vorhin ge&#x017F;aget, daß die im §. 250.<lb/>
vorgetragene Sa&#x0364;tze zeigen, wo man anfangen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
das <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> und das <hi rendition="#fr">i&#x017F;t nicht,</hi> in Ab&#x017F;icht auf die Wider-<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;che aufzu&#x017F;uchen. Wir werden, um die&#x017F;es noch<lb/>
deutlicher aufzukla&#x0364;ren, hier folgende Betrachtung<lb/>
beyfu&#x0364;gen. Es i&#x017F;t un&#x017F;treitig, daß von Wider&#x017F;pru&#x0364;-<lb/>
chen die Rede gar nicht vorkommen wu&#x0364;rde, wenn die<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit, Begriffe zu&#x017F;ammen zu &#x017F;etzen, durchaus<lb/>
uneinge&#x017F;chra&#x0364;nkt wa&#x0364;re. Denn &#x017F;o wu&#x0364;rde der Um&#x017F;tand,<lb/><hi rendition="#fr">daß ein Begriff, welcher &#x017F;chon einige Merk-<lb/>
male hat, gewi&#x017F;&#x017F;e andere Merkmale mit die-<lb/>
&#x017F;en nicht zugleich haben ko&#x0364;nne,</hi> ganz wegfallen.<lb/>
So aber i&#x017F;t das Reich der Wahrheiten nicht einge-<lb/>
richtet; &#x017F;ondern es herr&#x017F;chet eine Ordnung darinn,<lb/>
welche jeden Merkmalen, Be&#x017F;timmungen und Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en ihre Stelle anwei&#x017F;et, und &#x017F;ie von andern<lb/>
Stellen &#x017F;chlechthin aus&#x017F;chleußt. Nun kann man leicht<lb/>
ein&#x017F;ehen, daß von denen Sa&#x0364;tzen, welche die&#x017F;e Mo&#x0364;g-<lb/>
lichkeiten ein&#x017F;chra&#x0364;nken, bereits &#x017F;chon unter den er&#x017F;ten<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tzen vorkommen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, weil jene, wenn &#x017F;ie<lb/>
einen Beweis fordern, durch die&#x017F;e mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en bewie&#x017F;en wer-<lb/>
den. Nun haben die Bewei&#x017F;e, wodurch man einen Wi-<lb/>
der&#x017F;pruch herausbringt, eine von folgenden Formen.</p><lb/>
            <list>
              <item>1. Wenn <hi rendition="#aq">A, B</hi> i&#x017F;t, &#x017F;o muß es auch <hi rendition="#aq">C</hi> &#x017F;eyn.<lb/><list><item>Nun aber i&#x017F;t es nicht <hi rendition="#aq">C.</hi></item><lb/><item>Folglich kann es nicht <hi rendition="#aq">B</hi> &#x017F;eyn.</item></list></item><lb/>
              <item>2. Wenn <hi rendition="#aq">A, D</hi> i&#x017F;t, &#x017F;o kann es nicht <hi rendition="#aq">E</hi> &#x017F;eyn.<lb/><list><item>Nun aber i&#x017F;t es <hi rendition="#aq">E.</hi></item><lb/><item>Folglich kann es nicht <hi rendition="#aq">D</hi> &#x017F;eyn.</item></list></item>
            </list><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Lamb. Archit.</hi><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">B.</hi> P</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Jn</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0261] Das Seyn und das Nicht ſeyn. die phyſiologiſche Anlage zu dem abſtracten Gedan- kenreiche ſind, welches, ſo wie unſere ganze Erkennt- niß bey Empfindungen anfaͤngt, und damit immer begleitet iſt. §. 253. Wir haben vorhin geſaget, daß die im §. 250. vorgetragene Saͤtze zeigen, wo man anfangen muͤſſe, das iſt und das iſt nicht, in Abſicht auf die Wider- ſpruͤche aufzuſuchen. Wir werden, um dieſes noch deutlicher aufzuklaͤren, hier folgende Betrachtung beyfuͤgen. Es iſt unſtreitig, daß von Widerſpruͤ- chen die Rede gar nicht vorkommen wuͤrde, wenn die Moͤglichkeit, Begriffe zuſammen zu ſetzen, durchaus uneingeſchraͤnkt waͤre. Denn ſo wuͤrde der Umſtand, daß ein Begriff, welcher ſchon einige Merk- male hat, gewiſſe andere Merkmale mit die- ſen nicht zugleich haben koͤnne, ganz wegfallen. So aber iſt das Reich der Wahrheiten nicht einge- richtet; ſondern es herrſchet eine Ordnung darinn, welche jeden Merkmalen, Beſtimmungen und Ver- haͤltniſſen ihre Stelle anweiſet, und ſie von andern Stellen ſchlechthin ausſchleußt. Nun kann man leicht einſehen, daß von denen Saͤtzen, welche dieſe Moͤg- lichkeiten einſchraͤnken, bereits ſchon unter den erſten Grundſaͤtzen vorkommen muͤſſen, weil jene, wenn ſie einen Beweis fordern, durch dieſe muͤſſen bewieſen wer- den. Nun haben die Beweiſe, wodurch man einen Wi- derſpruch herausbringt, eine von folgenden Formen. 1. Wenn A, B iſt, ſo muß es auch C ſeyn. Nun aber iſt es nicht C. Folglich kann es nicht B ſeyn. 2. Wenn A, D iſt, ſo kann es nicht E ſeyn. Nun aber iſt es E. Folglich kann es nicht D ſeyn. Jn Lamb. Archit. I. B. P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/261
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/261>, abgerufen am 29.03.2024.