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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

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X. Hauptstück. Das Wahr seyn
§. 295.

Alles dieses aber kömmt hier, wo von der Wahr-
heit der Begriffe an sich, die Rede ist, nicht in Be-
trachtung, weil ein Begriff immer ein wahrer Be-
griff ist, so bald er sich durchaus gedenken läßt, und
folglich weder Lücke noch Widerspruch darinn vor-
kömmt, (§. 263. 264. und Alethiol. §. 204. seqq.).
Der eigentliche Grund, warum wir auf diese Wahr-
heit der Begriffe zu sehen haben, liegt in der Spra-
che, weil die symbolische Möglichkeit auf das Un-
mögliche eben so, wie auf das Mögliche geht, (§. 288.).
Wir haben daher bereits oben (§. 274.) angezeiget,
wie theils einzele Wörter, theils auch Zusammen-
setzungen derselben unmögliche Dinge vorstellen kön-
nen. Die Wörter dienen nur zur Bezeichnung der Be-
griffe, und so können wir allerdings mit den Begrif-
fen auch die Wörter zusammen setzen. Fangen wir
hingegen bey den Wörtern an, so ist es eben so mög-
lich, daß die Zusammensetzung derselben schlechthin
nur symbolisch bleibt, und nichts bedeutet, als daß
sie etwas Mögliches vorstelle, weil die symbolische
Möglichkeit sich viel weiter ausdehnet, als die reale
Möglichkeit. Und dieses betrifft nicht nur die Spra-
che. Die Algeber, welche eine sehr wissenschaftliche
Zeichenkunst ist, giebt uns in dem Ausdrucke sqrt - 1
eine Unmöglichkeit an, die man nirgends absoluter
finden wird, und die Quadratwurzel einer nega-
tiven Größe,
ist ein schlechthin symbolischer Aus-
druck. Diese Wurzel ist nicht bloß = 0, sondern
ein absolutes Nichts, etwas schlechthin nicht gedenk-
bares, eine absolute Unmöglichkeit. Wir haben
oben (§. 163. 164. 273.) schon angemerkt, daß solche
bloß symbolische Ausdrücke dennoch gebraucht werden
können. Man muß sie aber für das ansehen, was

sie
X. Hauptſtuͤck. Das Wahr ſeyn
§. 295.

Alles dieſes aber koͤmmt hier, wo von der Wahr-
heit der Begriffe an ſich, die Rede iſt, nicht in Be-
trachtung, weil ein Begriff immer ein wahrer Be-
griff iſt, ſo bald er ſich durchaus gedenken laͤßt, und
folglich weder Luͤcke noch Widerſpruch darinn vor-
koͤmmt, (§. 263. 264. und Alethiol. §. 204. ſeqq.).
Der eigentliche Grund, warum wir auf dieſe Wahr-
heit der Begriffe zu ſehen haben, liegt in der Spra-
che, weil die ſymboliſche Moͤglichkeit auf das Un-
moͤgliche eben ſo, wie auf das Moͤgliche geht, (§. 288.).
Wir haben daher bereits oben (§. 274.) angezeiget,
wie theils einzele Woͤrter, theils auch Zuſammen-
ſetzungen derſelben unmoͤgliche Dinge vorſtellen koͤn-
nen. Die Woͤrter dienen nur zur Bezeichnung der Be-
griffe, und ſo koͤnnen wir allerdings mit den Begrif-
fen auch die Woͤrter zuſammen ſetzen. Fangen wir
hingegen bey den Woͤrtern an, ſo iſt es eben ſo moͤg-
lich, daß die Zuſammenſetzung derſelben ſchlechthin
nur ſymboliſch bleibt, und nichts bedeutet, als daß
ſie etwas Moͤgliches vorſtelle, weil die ſymboliſche
Moͤglichkeit ſich viel weiter ausdehnet, als die reale
Moͤglichkeit. Und dieſes betrifft nicht nur die Spra-
che. Die Algeber, welche eine ſehr wiſſenſchaftliche
Zeichenkunſt iſt, giebt uns in dem Ausdrucke √ ‒ 1
eine Unmoͤglichkeit an, die man nirgends abſoluter
finden wird, und die Quadratwurzel einer nega-
tiven Groͤße,
iſt ein ſchlechthin ſymboliſcher Aus-
druck. Dieſe Wurzel iſt nicht bloß = 0, ſondern
ein abſolutes Nichts, etwas ſchlechthin nicht gedenk-
bares, eine abſolute Unmoͤglichkeit. Wir haben
oben (§. 163. 164. 273.) ſchon angemerkt, daß ſolche
bloß ſymboliſche Ausdruͤcke dennoch gebraucht werden
koͤnnen. Man muß ſie aber fuͤr das anſehen, was

ſie
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[284/0320] X. Hauptſtuͤck. Das Wahr ſeyn §. 295. Alles dieſes aber koͤmmt hier, wo von der Wahr- heit der Begriffe an ſich, die Rede iſt, nicht in Be- trachtung, weil ein Begriff immer ein wahrer Be- griff iſt, ſo bald er ſich durchaus gedenken laͤßt, und folglich weder Luͤcke noch Widerſpruch darinn vor- koͤmmt, (§. 263. 264. und Alethiol. §. 204. ſeqq.). Der eigentliche Grund, warum wir auf dieſe Wahr- heit der Begriffe zu ſehen haben, liegt in der Spra- che, weil die ſymboliſche Moͤglichkeit auf das Un- moͤgliche eben ſo, wie auf das Moͤgliche geht, (§. 288.). Wir haben daher bereits oben (§. 274.) angezeiget, wie theils einzele Woͤrter, theils auch Zuſammen- ſetzungen derſelben unmoͤgliche Dinge vorſtellen koͤn- nen. Die Woͤrter dienen nur zur Bezeichnung der Be- griffe, und ſo koͤnnen wir allerdings mit den Begrif- fen auch die Woͤrter zuſammen ſetzen. Fangen wir hingegen bey den Woͤrtern an, ſo iſt es eben ſo moͤg- lich, daß die Zuſammenſetzung derſelben ſchlechthin nur ſymboliſch bleibt, und nichts bedeutet, als daß ſie etwas Moͤgliches vorſtelle, weil die ſymboliſche Moͤglichkeit ſich viel weiter ausdehnet, als die reale Moͤglichkeit. Und dieſes betrifft nicht nur die Spra- che. Die Algeber, welche eine ſehr wiſſenſchaftliche Zeichenkunſt iſt, giebt uns in dem Ausdrucke √ ‒ 1 eine Unmoͤglichkeit an, die man nirgends abſoluter finden wird, und die Quadratwurzel einer nega- tiven Groͤße, iſt ein ſchlechthin ſymboliſcher Aus- druck. Dieſe Wurzel iſt nicht bloß = 0, ſondern ein abſolutes Nichts, etwas ſchlechthin nicht gedenk- bares, eine abſolute Unmoͤglichkeit. Wir haben oben (§. 163. 164. 273.) ſchon angemerkt, daß ſolche bloß ſymboliſche Ausdruͤcke dennoch gebraucht werden koͤnnen. Man muß ſie aber fuͤr das anſehen, was ſie

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/320>, abgerufen am 24.04.2024.