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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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Zusatz zum neunzehnten Hauptstücke.
Wort Form vornehmlich auf das zu gehen, was von
Menschen gemacht wird. Jndessen haben die Scho-
lastiker, vom Aristoteles an, den Begriff der Form
auch bey den Dingen der Natur angewandt, und da-
bey die Form von der Materie unterschieden. Sie
gestunden aber, daß ihnen die Form natürlicher Din-
ge schlechthin unbekannt sey, und daß sie höchstens nur
vom Menschen wissen, daß seine vernunftfähige Seele
die Form des Menschen ausmache. Diese Aussage
bezieht sich aber offenbar auf einen ganz besondern
Begriff, den sie sich von der Form machten, und
der dem eigentlichen Begriffe weder ganz angemessen
war noch denselben erschöpfte. Der menschliche Kör-
per, so wie jede einzelne Theile desselben, und jede
andere Körper und Materien, haben allerdings ihre
Form; und eben dieß kann man selbst auch von jeden
einzelnen Bestandtheilchen sagen. Jhre Bildung,
Zusammensetzung, Stellung, Anordnung, Verbin-
dung etc. und jede daher rührende Eigenschaften und
Unterscheidungsstücke können zusammengenommen zur
Form gerechnet werden. Und auf diese Art betrach-
tet, kann man wenigstens überhaupt angeben, worinn
diese Form zu suchen sey, so sehr man auch zugiebt,
daß das Jnnere, der Natur nach, vielen seit der Scho-
lastiker Zeiten angestellten mechanischen, dynamischen
physischen und chymischen Untersuchungen, noch merk-
lich verborgen bleibe, wenn es gleich lange nicht mehr
so viel verborgen ist, als es bey den Scholastikern
war, die es freylich aus bloßen Worten und Termi-
nologien nicht herausbringen konnten.

XIII.

Es wird aber der Begriff Form ungleich erheb-
licher, wenn wir uns zur Jntellectualwelt wenden.

Hier

Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke.
Wort Form vornehmlich auf das zu gehen, was von
Menſchen gemacht wird. Jndeſſen haben die Scho-
laſtiker, vom Ariſtoteles an, den Begriff der Form
auch bey den Dingen der Natur angewandt, und da-
bey die Form von der Materie unterſchieden. Sie
geſtunden aber, daß ihnen die Form natuͤrlicher Din-
ge ſchlechthin unbekannt ſey, und daß ſie hoͤchſtens nur
vom Menſchen wiſſen, daß ſeine vernunftfaͤhige Seele
die Form des Menſchen ausmache. Dieſe Ausſage
bezieht ſich aber offenbar auf einen ganz beſondern
Begriff, den ſie ſich von der Form machten, und
der dem eigentlichen Begriffe weder ganz angemeſſen
war noch denſelben erſchoͤpfte. Der menſchliche Koͤr-
per, ſo wie jede einzelne Theile deſſelben, und jede
andere Koͤrper und Materien, haben allerdings ihre
Form; und eben dieß kann man ſelbſt auch von jeden
einzelnen Beſtandtheilchen ſagen. Jhre Bildung,
Zuſammenſetzung, Stellung, Anordnung, Verbin-
dung ꝛc. und jede daher ruͤhrende Eigenſchaften und
Unterſcheidungsſtuͤcke koͤnnen zuſammengenommen zur
Form gerechnet werden. Und auf dieſe Art betrach-
tet, kann man wenigſtens uͤberhaupt angeben, worinn
dieſe Form zu ſuchen ſey, ſo ſehr man auch zugiebt,
daß das Jnnere, der Natur nach, vielen ſeit der Scho-
laſtiker Zeiten angeſtellten mechaniſchen, dynamiſchen
phyſiſchen und chymiſchen Unterſuchungen, noch merk-
lich verborgen bleibe, wenn es gleich lange nicht mehr
ſo viel verborgen iſt, als es bey den Scholaſtikern
war, die es freylich aus bloßen Worten und Termi-
nologien nicht herausbringen konnten.

XIII.

Es wird aber der Begriff Form ungleich erheb-
licher, wenn wir uns zur Jntellectualwelt wenden.

Hier
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[240/0248] Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke. Wort Form vornehmlich auf das zu gehen, was von Menſchen gemacht wird. Jndeſſen haben die Scho- laſtiker, vom Ariſtoteles an, den Begriff der Form auch bey den Dingen der Natur angewandt, und da- bey die Form von der Materie unterſchieden. Sie geſtunden aber, daß ihnen die Form natuͤrlicher Din- ge ſchlechthin unbekannt ſey, und daß ſie hoͤchſtens nur vom Menſchen wiſſen, daß ſeine vernunftfaͤhige Seele die Form des Menſchen ausmache. Dieſe Ausſage bezieht ſich aber offenbar auf einen ganz beſondern Begriff, den ſie ſich von der Form machten, und der dem eigentlichen Begriffe weder ganz angemeſſen war noch denſelben erſchoͤpfte. Der menſchliche Koͤr- per, ſo wie jede einzelne Theile deſſelben, und jede andere Koͤrper und Materien, haben allerdings ihre Form; und eben dieß kann man ſelbſt auch von jeden einzelnen Beſtandtheilchen ſagen. Jhre Bildung, Zuſammenſetzung, Stellung, Anordnung, Verbin- dung ꝛc. und jede daher ruͤhrende Eigenſchaften und Unterſcheidungsſtuͤcke koͤnnen zuſammengenommen zur Form gerechnet werden. Und auf dieſe Art betrach- tet, kann man wenigſtens uͤberhaupt angeben, worinn dieſe Form zu ſuchen ſey, ſo ſehr man auch zugiebt, daß das Jnnere, der Natur nach, vielen ſeit der Scho- laſtiker Zeiten angeſtellten mechaniſchen, dynamiſchen phyſiſchen und chymiſchen Unterſuchungen, noch merk- lich verborgen bleibe, wenn es gleich lange nicht mehr ſo viel verborgen iſt, als es bey den Scholaſtikern war, die es freylich aus bloßen Worten und Termi- nologien nicht herausbringen konnten. XIII. Es wird aber der Begriff Form ungleich erheb- licher, wenn wir uns zur Jntellectualwelt wenden. Hier

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/248>, abgerufen am 19.04.2024.