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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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Zusatz zum neunzehnten Hauptstücke.
tur nicht zum Vorscheine gebracht. Dieses gehöret
mehr zur Teleologie, als zur dermalen sogenannten
Naturgeschichte.

XXVI.

Die wechselseitige Abhänglichkeit der Materie, der
Form und der Absicht machet, daß man in practi-
schen Fällen diese drey Stücke immer zugleich vor Au-
gen haben muß, so fern man nur sehen will, was an
sich und ohne Rücksicht auf die Vorräthigkeit der er-
forderlichen wirkenden Ursachen und die übrigen Um-
stände geschehen kann. Jst die Materie vorhanden so
fragt sichs, wozu man sie brauchen könne oder wolle, was
man damit anzustellen habe, damit sie zu etwas brauch-
barem diene etc. Dieß bestimmt die Absicht und
die Form so, daß die Materie die Form zulasse,
die Absicht aber sie erfordere. Denn diese beyden
Bedingungen sind dabey schlechthin nothwendig.

XXVII.

Jst hingegen die Absicht vorgegeben, so muß
man vorerst überhaupt wissen, daß es dazu dienen-
de Materien und Formen giebt. Denn sonst setzt
man sich vor Schlösser in die Luft zu bauen,
oder Gold zu machen ohne zu wissen aus was noch
wie? Wenn man aber überhaupt weiß, daß die
Absicht erhalten werden kann, so kann es doch Fälle
geben, wo die Materie erst nach und nach aufgesuchet
werden muß, und die Form sich nur alsdann zurei-
chend bestimmen läßt, wenn man die Materie vor
sich hat, und sie näher kennen lernet. Das vorhin
(XXV.) angeführte Beyspiel von dem Systeme der
Natur
kann auch hier zur Erläuterung dienen.
Das Horazische:
Verbaque prouisam rem non inuita sequentur

gehöret

Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke.
tur nicht zum Vorſcheine gebracht. Dieſes gehoͤret
mehr zur Teleologie, als zur dermalen ſogenannten
Naturgeſchichte.

XXVI.

Die wechſelſeitige Abhaͤnglichkeit der Materie, der
Form und der Abſicht machet, daß man in practi-
ſchen Faͤllen dieſe drey Stuͤcke immer zugleich vor Au-
gen haben muß, ſo fern man nur ſehen will, was an
ſich und ohne Ruͤckſicht auf die Vorraͤthigkeit der er-
forderlichen wirkenden Urſachen und die uͤbrigen Um-
ſtaͤnde geſchehen kann. Jſt die Materie vorhanden ſo
fragt ſichs, wozu man ſie brauchen koͤnne oder wolle, was
man damit anzuſtellen habe, damit ſie zu etwas brauch-
barem diene ꝛc. Dieß beſtimmt die Abſicht und
die Form ſo, daß die Materie die Form zulaſſe,
die Abſicht aber ſie erfordere. Denn dieſe beyden
Bedingungen ſind dabey ſchlechthin nothwendig.

XXVII.

Jſt hingegen die Abſicht vorgegeben, ſo muß
man vorerſt uͤberhaupt wiſſen, daß es dazu dienen-
de Materien und Formen giebt. Denn ſonſt ſetzt
man ſich vor Schloͤſſer in die Luft zu bauen,
oder Gold zu machen ohne zu wiſſen aus was noch
wie? Wenn man aber uͤberhaupt weiß, daß die
Abſicht erhalten werden kann, ſo kann es doch Faͤlle
geben, wo die Materie erſt nach und nach aufgeſuchet
werden muß, und die Form ſich nur alsdann zurei-
chend beſtimmen laͤßt, wenn man die Materie vor
ſich hat, und ſie naͤher kennen lernet. Das vorhin
(XXV.) angefuͤhrte Beyſpiel von dem Syſteme der
Natur
kann auch hier zur Erlaͤuterung dienen.
Das Horaziſche:
Verbaque prouiſam rem non inuita ſequentur

gehoͤret
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[251/0259] Zuſatz zum neunzehnten Hauptſtuͤcke. tur nicht zum Vorſcheine gebracht. Dieſes gehoͤret mehr zur Teleologie, als zur dermalen ſogenannten Naturgeſchichte. XXVI. Die wechſelſeitige Abhaͤnglichkeit der Materie, der Form und der Abſicht machet, daß man in practi- ſchen Faͤllen dieſe drey Stuͤcke immer zugleich vor Au- gen haben muß, ſo fern man nur ſehen will, was an ſich und ohne Ruͤckſicht auf die Vorraͤthigkeit der er- forderlichen wirkenden Urſachen und die uͤbrigen Um- ſtaͤnde geſchehen kann. Jſt die Materie vorhanden ſo fragt ſichs, wozu man ſie brauchen koͤnne oder wolle, was man damit anzuſtellen habe, damit ſie zu etwas brauch- barem diene ꝛc. Dieß beſtimmt die Abſicht und die Form ſo, daß die Materie die Form zulaſſe, die Abſicht aber ſie erfordere. Denn dieſe beyden Bedingungen ſind dabey ſchlechthin nothwendig. XXVII. Jſt hingegen die Abſicht vorgegeben, ſo muß man vorerſt uͤberhaupt wiſſen, daß es dazu dienen- de Materien und Formen giebt. Denn ſonſt ſetzt man ſich vor Schloͤſſer in die Luft zu bauen, oder Gold zu machen ohne zu wiſſen aus was noch wie? Wenn man aber uͤberhaupt weiß, daß die Abſicht erhalten werden kann, ſo kann es doch Faͤlle geben, wo die Materie erſt nach und nach aufgeſuchet werden muß, und die Form ſich nur alsdann zurei- chend beſtimmen laͤßt, wenn man die Materie vor ſich hat, und ſie naͤher kennen lernet. Das vorhin (XXV.) angefuͤhrte Beyſpiel von dem Syſteme der Natur kann auch hier zur Erlaͤuterung dienen. Das Horaziſche: Verbaque prouiſam rem non inuita ſequentur gehoͤret

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/259>, abgerufen am 29.03.2024.