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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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Das Ausmeßbare.
So saget man etwann auch: eine große Wahrheit,
und versteht dadurch, daß sie einen starken Ein-
druck
auf das Gemüth mache, wichtig sey, sich auf
viele Dinge ausbreitte, von vielen wichtigen und
lange dauernden Folgen sey etc., und in diesem
Sinne wird die Wahrheit mit der dadurch verstan-
denen Sache, und das logisch Wahre mit dem meta-
physisch und moralisch Wahren und mit dem Wirk-
lichen durchmenget. Dieses alles aber muß, wenn
man eine solche Größe ausmessen und schätzen will,
aus einander gelesen werden, und dabey findet man
zu addiren, zu multipliciren und auch getrennet zu
lassen. Bey den Ausdrücken: eine große Absicht,
eine große That, eine große Veränderung, Ord-
nung, Vollkommenheit, Gesetz,
etc. finden sich
ähnliche Vermischungen.

§. 788.

Ueberdieß muß man das Ausmeßbare auch nicht
immer so schlechthin in dem suchen, was sich gleich
anfangs darbeut. So z. E. kann man überhaupt
sagen, daß man eine Sache desto deutlicher sehe,
je kleinere Theile
man daran unterscheiden kann.
Nach diesem Ausdrucke aber würde man die Deut-
lichkeit nach der Kleinheit der Theile schätzen, und
folglich den Maaßstab dazu in der Sache selbst auf-
suchen. Es kann aber auch ein Vergrößerungsglas
noch kleinere Theile, als man mit bloßem Auge sieht,
und dennoch undeutlich vorstellen, wenn es nicht recht
gerichtet ist. Will man hingegen die Deutlichkeit
wirklich ausmessen, so suchet man die Gründe dazu
in der Structur des Auges, und nicht in der Sache
auf. Dabey setzet man die Deutlichkeit absolut,
wenn die aus einem Puncte in das Auge fallende

Stralen

Das Ausmeßbare.
So ſaget man etwann auch: eine große Wahrheit,
und verſteht dadurch, daß ſie einen ſtarken Ein-
druck
auf das Gemuͤth mache, wichtig ſey, ſich auf
viele Dinge ausbreitte, von vielen wichtigen und
lange dauernden Folgen ſey ꝛc., und in dieſem
Sinne wird die Wahrheit mit der dadurch verſtan-
denen Sache, und das logiſch Wahre mit dem meta-
phyſiſch und moraliſch Wahren und mit dem Wirk-
lichen durchmenget. Dieſes alles aber muß, wenn
man eine ſolche Groͤße ausmeſſen und ſchaͤtzen will,
aus einander geleſen werden, und dabey findet man
zu addiren, zu multipliciren und auch getrennet zu
laſſen. Bey den Ausdruͤcken: eine große Abſicht,
eine große That, eine große Veraͤnderung, Ord-
nung, Vollkommenheit, Geſetz,
ꝛc. finden ſich
aͤhnliche Vermiſchungen.

§. 788.

Ueberdieß muß man das Ausmeßbare auch nicht
immer ſo ſchlechthin in dem ſuchen, was ſich gleich
anfangs darbeut. So z. E. kann man uͤberhaupt
ſagen, daß man eine Sache deſto deutlicher ſehe,
je kleinere Theile
man daran unterſcheiden kann.
Nach dieſem Ausdrucke aber wuͤrde man die Deut-
lichkeit nach der Kleinheit der Theile ſchaͤtzen, und
folglich den Maaßſtab dazu in der Sache ſelbſt auf-
ſuchen. Es kann aber auch ein Vergroͤßerungsglas
noch kleinere Theile, als man mit bloßem Auge ſieht,
und dennoch undeutlich vorſtellen, wenn es nicht recht
gerichtet iſt. Will man hingegen die Deutlichkeit
wirklich ausmeſſen, ſo ſuchet man die Gruͤnde dazu
in der Structur des Auges, und nicht in der Sache
auf. Dabey ſetzet man die Deutlichkeit abſolut,
wenn die aus einem Puncte in das Auge fallende

Stralen
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[411/0419] Das Ausmeßbare. So ſaget man etwann auch: eine große Wahrheit, und verſteht dadurch, daß ſie einen ſtarken Ein- druck auf das Gemuͤth mache, wichtig ſey, ſich auf viele Dinge ausbreitte, von vielen wichtigen und lange dauernden Folgen ſey ꝛc., und in dieſem Sinne wird die Wahrheit mit der dadurch verſtan- denen Sache, und das logiſch Wahre mit dem meta- phyſiſch und moraliſch Wahren und mit dem Wirk- lichen durchmenget. Dieſes alles aber muß, wenn man eine ſolche Groͤße ausmeſſen und ſchaͤtzen will, aus einander geleſen werden, und dabey findet man zu addiren, zu multipliciren und auch getrennet zu laſſen. Bey den Ausdruͤcken: eine große Abſicht, eine große That, eine große Veraͤnderung, Ord- nung, Vollkommenheit, Geſetz, ꝛc. finden ſich aͤhnliche Vermiſchungen. §. 788. Ueberdieß muß man das Ausmeßbare auch nicht immer ſo ſchlechthin in dem ſuchen, was ſich gleich anfangs darbeut. So z. E. kann man uͤberhaupt ſagen, daß man eine Sache deſto deutlicher ſehe, je kleinere Theile man daran unterſcheiden kann. Nach dieſem Ausdrucke aber wuͤrde man die Deut- lichkeit nach der Kleinheit der Theile ſchaͤtzen, und folglich den Maaßſtab dazu in der Sache ſelbſt auf- ſuchen. Es kann aber auch ein Vergroͤßerungsglas noch kleinere Theile, als man mit bloßem Auge ſieht, und dennoch undeutlich vorſtellen, wenn es nicht recht gerichtet iſt. Will man hingegen die Deutlichkeit wirklich ausmeſſen, ſo ſuchet man die Gruͤnde dazu in der Structur des Auges, und nicht in der Sache auf. Dabey ſetzet man die Deutlichkeit abſolut, wenn die aus einem Puncte in das Auge fallende Stralen

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/419>, abgerufen am 29.03.2024.