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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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XXVIII. Hauptstück.
annehmen müsse. So z. E. setzte Kepler die Stra-
lenbrechung den Winkeln proportional, und dieses
gieng für kleinere Winkel noch ziemlich an. Hinge-
gen ergab sich bey der Vergleichung der größern Win-
kel, daß man statt derselben die Sinus nehmen müsse,
wenn man eine einfache und durchgängige Verhältniß
haben wolle. Man hat auf eine ähnliche Art an-
fänglich den Widerstand flüßiger Materien den Ge-
schwindigkeiten proportional gesetzet, nach genauerer
Untersuchung aber fand es sich, daß man das Qua-
drat der Geschwindigkeit nehmen müsse. Eben so
fand Kepler endlich bey der Bewegung der Planeten
die Zeiten, nicht den Winkeln, Linien, Bögen etc.
sondern den Flächenräumen proportional. Da dieses
nun an sich nicht den geringsten Schein der Wahrheit
hat, das will sagen, nicht von selbst einleuchtend ist,
so mußte es auch aus andern einfachern Gründen be-
wiesen werden, und dazu verhalf die Theorie der Cen-
tralkräfte und die über die Schwere gemachten Be-
obachtungen, daß es sich erweisen ließe.

§. 820.

Wir können hiebey anmerken, daß auf solchen Ver-
gleichungen ungleichartiger Größen der meiste Theil
der angewandten Mathematic beruht, und daß man
dadurch nicht nur die Abhänglichkeiten jeder Größen
von einander findet, sondern auch ohne solche Ver-
gleichungen gar nicht weit kömmt. Denn die gleich-
artigen Größen lassen sich schlechthin nur addiren und
subtrahiren, und dadurch, daß man darauf sieht,
wie vielmal sie addirt und substrahirt werden, bringt
man sie unter sich in Verhältniß. Mit allem diesem
aber reichet man nicht weiter, als man in der Arith-
metic mit Zahlen, und in der Geometrie mit bloßen

Linien

XXVIII. Hauptſtuͤck.
annehmen muͤſſe. So z. E. ſetzte Kepler die Stra-
lenbrechung den Winkeln proportional, und dieſes
gieng fuͤr kleinere Winkel noch ziemlich an. Hinge-
gen ergab ſich bey der Vergleichung der groͤßern Win-
kel, daß man ſtatt derſelben die Sinus nehmen muͤſſe,
wenn man eine einfache und durchgaͤngige Verhaͤltniß
haben wolle. Man hat auf eine aͤhnliche Art an-
faͤnglich den Widerſtand fluͤßiger Materien den Ge-
ſchwindigkeiten proportional geſetzet, nach genauerer
Unterſuchung aber fand es ſich, daß man das Qua-
drat der Geſchwindigkeit nehmen muͤſſe. Eben ſo
fand Kepler endlich bey der Bewegung der Planeten
die Zeiten, nicht den Winkeln, Linien, Boͤgen ꝛc.
ſondern den Flaͤchenraͤumen proportional. Da dieſes
nun an ſich nicht den geringſten Schein der Wahrheit
hat, das will ſagen, nicht von ſelbſt einleuchtend iſt,
ſo mußte es auch aus andern einfachern Gruͤnden be-
wieſen werden, und dazu verhalf die Theorie der Cen-
tralkraͤfte und die uͤber die Schwere gemachten Be-
obachtungen, daß es ſich erweiſen ließe.

§. 820.

Wir koͤnnen hiebey anmerken, daß auf ſolchen Ver-
gleichungen ungleichartiger Groͤßen der meiſte Theil
der angewandten Mathematic beruht, und daß man
dadurch nicht nur die Abhaͤnglichkeiten jeder Groͤßen
von einander findet, ſondern auch ohne ſolche Ver-
gleichungen gar nicht weit koͤmmt. Denn die gleich-
artigen Groͤßen laſſen ſich ſchlechthin nur addiren und
ſubtrahiren, und dadurch, daß man darauf ſieht,
wie vielmal ſie addirt und ſubſtrahirt werden, bringt
man ſie unter ſich in Verhaͤltniß. Mit allem dieſem
aber reichet man nicht weiter, als man in der Arith-
metic mit Zahlen, und in der Geometrie mit bloßen

Linien
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[446/0454] XXVIII. Hauptſtuͤck. annehmen muͤſſe. So z. E. ſetzte Kepler die Stra- lenbrechung den Winkeln proportional, und dieſes gieng fuͤr kleinere Winkel noch ziemlich an. Hinge- gen ergab ſich bey der Vergleichung der groͤßern Win- kel, daß man ſtatt derſelben die Sinus nehmen muͤſſe, wenn man eine einfache und durchgaͤngige Verhaͤltniß haben wolle. Man hat auf eine aͤhnliche Art an- faͤnglich den Widerſtand fluͤßiger Materien den Ge- ſchwindigkeiten proportional geſetzet, nach genauerer Unterſuchung aber fand es ſich, daß man das Qua- drat der Geſchwindigkeit nehmen muͤſſe. Eben ſo fand Kepler endlich bey der Bewegung der Planeten die Zeiten, nicht den Winkeln, Linien, Boͤgen ꝛc. ſondern den Flaͤchenraͤumen proportional. Da dieſes nun an ſich nicht den geringſten Schein der Wahrheit hat, das will ſagen, nicht von ſelbſt einleuchtend iſt, ſo mußte es auch aus andern einfachern Gruͤnden be- wieſen werden, und dazu verhalf die Theorie der Cen- tralkraͤfte und die uͤber die Schwere gemachten Be- obachtungen, daß es ſich erweiſen ließe. §. 820. Wir koͤnnen hiebey anmerken, daß auf ſolchen Ver- gleichungen ungleichartiger Groͤßen der meiſte Theil der angewandten Mathematic beruht, und daß man dadurch nicht nur die Abhaͤnglichkeiten jeder Groͤßen von einander findet, ſondern auch ohne ſolche Ver- gleichungen gar nicht weit koͤmmt. Denn die gleich- artigen Groͤßen laſſen ſich ſchlechthin nur addiren und ſubtrahiren, und dadurch, daß man darauf ſieht, wie vielmal ſie addirt und ſubſtrahirt werden, bringt man ſie unter ſich in Verhaͤltniß. Mit allem dieſem aber reichet man nicht weiter, als man in der Arith- metic mit Zahlen, und in der Geometrie mit bloßen Linien

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/454>, abgerufen am 28.03.2024.