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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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XV. Hauptstück.
Principium essendi und existendi haben, welches noth-
wendig a priori ist. Auf diese Art verfällt man auf
eine dem Raume nach ausgedehnte Reihe von Din-
gen, so daß A ohne B, B ohne C, C ohne D etc. nicht
existiren kann. Soll nun dieses unendlich fortgehen,
so kömmt dasjenige, ohne welches alles Glieder der
Reihe nicht existiren können, nirgends vor. Dem-
nach existirt mit demselben die ganze Reihe nicht. Da
nun dieses der Voraussetzung zuwider, so kann die
Reihe a priori nicht unendlich seyn. Demnach muß
das erste, ohne welches A, B, C, D etc. oder die übri-
gen Glieder der Reihe nicht existiren können, noth-
wendig durch sich existiren.

§. 473.

Man trägt diesen Satz sonst gemeiniglich so vor,
daß man die Dinge nicht zugleich, sondern der Zeit
nach auf einander folgend betrachtet. Jch habe aber
von der Zeit abstrahirt, um den Satz dem in der
Alethiologie (§. 236. b.) vorgetragenen durchaus ähn-
lich zu machen, und daher nicht die Prioritatem tem-
poris,
sondern die Prioritatem rationis, wie sie auch
bey den Wahrheiten vorkömmt, zu gebrauchen. Man
kömmt aber sowohl der Zeit als dem Raume nach im-
mer auf einen Anfang, und dadurch wird der zurei-
chende Grund sowohl in Absicht auf das Wahre, als
in Absicht auf das Existirende, so eingeschränkt, daß
man irgend aufhören muß, nach fernern Gründen
a priori zu fragen, und der Verstand muß sich bey
dem, was durch sich selbst oder schlechthin für sich
existirt, eben so wie bey dem beruhigen, was für sich
gedenkbar ist, (Alethiol. §. 237.). Man kann übri-
gens den hier vorgetragenen Satz mit dem verglei-
chen, was wir oben (§. 299.), in Absicht auf die

Noth-

XV. Hauptſtuͤck.
Principium eſſendi und exiſtendi haben, welches noth-
wendig a priori iſt. Auf dieſe Art verfaͤllt man auf
eine dem Raume nach ausgedehnte Reihe von Din-
gen, ſo daß A ohne B, B ohne C, C ohne D ꝛc. nicht
exiſtiren kann. Soll nun dieſes unendlich fortgehen,
ſo koͤmmt dasjenige, ohne welches alles Glieder der
Reihe nicht exiſtiren koͤnnen, nirgends vor. Dem-
nach exiſtirt mit demſelben die ganze Reihe nicht. Da
nun dieſes der Vorausſetzung zuwider, ſo kann die
Reihe a priori nicht unendlich ſeyn. Demnach muß
das erſte, ohne welches A, B, C, D ꝛc. oder die uͤbri-
gen Glieder der Reihe nicht exiſtiren koͤnnen, noth-
wendig durch ſich exiſtiren.

§. 473.

Man traͤgt dieſen Satz ſonſt gemeiniglich ſo vor,
daß man die Dinge nicht zugleich, ſondern der Zeit
nach auf einander folgend betrachtet. Jch habe aber
von der Zeit abſtrahirt, um den Satz dem in der
Alethiologie (§. 236. b.) vorgetragenen durchaus aͤhn-
lich zu machen, und daher nicht die Prioritatem tem-
poris,
ſondern die Prioritatem rationis, wie ſie auch
bey den Wahrheiten vorkoͤmmt, zu gebrauchen. Man
koͤmmt aber ſowohl der Zeit als dem Raume nach im-
mer auf einen Anfang, und dadurch wird der zurei-
chende Grund ſowohl in Abſicht auf das Wahre, als
in Abſicht auf das Exiſtirende, ſo eingeſchraͤnkt, daß
man irgend aufhoͤren muß, nach fernern Gruͤnden
a priori zu fragen, und der Verſtand muß ſich bey
dem, was durch ſich ſelbſt oder ſchlechthin fuͤr ſich
exiſtirt, eben ſo wie bey dem beruhigen, was fuͤr ſich
gedenkbar iſt, (Alethiol. §. 237.). Man kann uͤbri-
gens den hier vorgetragenen Satz mit dem verglei-
chen, was wir oben (§. 299.), in Abſicht auf die

Noth-
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[90/0098] XV. Hauptſtuͤck. Principium eſſendi und exiſtendi haben, welches noth- wendig a priori iſt. Auf dieſe Art verfaͤllt man auf eine dem Raume nach ausgedehnte Reihe von Din- gen, ſo daß A ohne B, B ohne C, C ohne D ꝛc. nicht exiſtiren kann. Soll nun dieſes unendlich fortgehen, ſo koͤmmt dasjenige, ohne welches alles Glieder der Reihe nicht exiſtiren koͤnnen, nirgends vor. Dem- nach exiſtirt mit demſelben die ganze Reihe nicht. Da nun dieſes der Vorausſetzung zuwider, ſo kann die Reihe a priori nicht unendlich ſeyn. Demnach muß das erſte, ohne welches A, B, C, D ꝛc. oder die uͤbri- gen Glieder der Reihe nicht exiſtiren koͤnnen, noth- wendig durch ſich exiſtiren. §. 473. Man traͤgt dieſen Satz ſonſt gemeiniglich ſo vor, daß man die Dinge nicht zugleich, ſondern der Zeit nach auf einander folgend betrachtet. Jch habe aber von der Zeit abſtrahirt, um den Satz dem in der Alethiologie (§. 236. b.) vorgetragenen durchaus aͤhn- lich zu machen, und daher nicht die Prioritatem tem- poris, ſondern die Prioritatem rationis, wie ſie auch bey den Wahrheiten vorkoͤmmt, zu gebrauchen. Man koͤmmt aber ſowohl der Zeit als dem Raume nach im- mer auf einen Anfang, und dadurch wird der zurei- chende Grund ſowohl in Abſicht auf das Wahre, als in Abſicht auf das Exiſtirende, ſo eingeſchraͤnkt, daß man irgend aufhoͤren muß, nach fernern Gruͤnden a priori zu fragen, und der Verſtand muß ſich bey dem, was durch ſich ſelbſt oder ſchlechthin fuͤr ſich exiſtirt, eben ſo wie bey dem beruhigen, was fuͤr ſich gedenkbar iſt, (Alethiol. §. 237.). Man kann uͤbri- gens den hier vorgetragenen Satz mit dem verglei- chen, was wir oben (§. 299.), in Abſicht auf die Noth-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/98>, abgerufen am 29.03.2024.