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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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XXII. Hauptstück.
Sodann fielen diese Worterklärungen auch nicht im-
mer so genau und richtig aus. Man sehe, was wir
(§. 541. 565.) über die Definition des Raumes und
der Größe angemerket haben. Doch kann man sa-
gen, daß Wolf noch einiger Maaßen in Schranken
geblieben, darinn ihn die Kenntniß, die er von der
Mathematic hatte, zurücke hielt. Man nehme hin-
gegen Definitionen und Sätze von folgender Art,
Minimum est solo nihilo maius; maximum est solo
nihilo minus; vnitas minima est, si paucissimae mi-
nimae determinationes vnici minimi sint insepara-
biles &c.
und überhaupt den ganzen sechsten Abschnitt
der Baumgartischen Ontologie (Metaph. §. 165-190.)
zum Beyspiele, so wird man beynahe glauben müs-
sen, das philosophisch richtige sey mathematisch un-
richtig und hinwiederum. Denn in der That lehret
man in der Metaphysic, daß sich das Etwas mit
dem Nichts nicht vergleichen lasse,
weil nichts
gemeinsames darinn ist. Hingegen in der Defini-
tion: Minimum est solo nihilo maius, zeiget das
Wort maius eine Vergleichung an, die man vorneh-
men soll, um sich von dem Kleinsten einen Begriff
zu machen. Hingegen in der Mathematic saget man,
daß bey solchen Größen, die keine bestimmte Einheit
haben, weder kleinstes noch größtes, absolute betrach-
tet vorkomme, daß man aber Maxima und Minima
findet, wo eine Größe sich innert bestimmten Schran-
ken verändert, wie z. E. die Diameter einer Ellipse,
die Mittagshöhen der Sonne etc. Und dabey gebraucht
man den Begriff des Nichts und die Vergleichung
des Etwas mit demselben gar nicht. So hat auch
der Ausdruck paucissimae in vorangezogenen Sätzen
keinen Verstand. Denn die an sich geringste Anzahl
untrennbarer Bestimmungen ist weder größer noch

kleiner

XXII. Hauptſtuͤck.
Sodann fielen dieſe Worterklaͤrungen auch nicht im-
mer ſo genau und richtig aus. Man ſehe, was wir
(§. 541. 565.) uͤber die Definition des Raumes und
der Groͤße angemerket haben. Doch kann man ſa-
gen, daß Wolf noch einiger Maaßen in Schranken
geblieben, darinn ihn die Kenntniß, die er von der
Mathematic hatte, zuruͤcke hielt. Man nehme hin-
gegen Definitionen und Saͤtze von folgender Art,
Minimum eſt ſolo nihilo maius; maximum eſt ſolo
nihilo minus; vnitas minima eſt, ſi pauciſſimae mi-
nimae determinationes vnici minimi ſint inſepara-
biles &c.
und uͤberhaupt den ganzen ſechſten Abſchnitt
der Baumgartiſchen Ontologie (Metaph. §. 165-190.)
zum Beyſpiele, ſo wird man beynahe glauben muͤſ-
ſen, das philoſophiſch richtige ſey mathematiſch un-
richtig und hinwiederum. Denn in der That lehret
man in der Metaphyſic, daß ſich das Etwas mit
dem Nichts nicht vergleichen laſſe,
weil nichts
gemeinſames darinn iſt. Hingegen in der Defini-
tion: Minimum eſt ſolo nihilo maius, zeiget das
Wort maius eine Vergleichung an, die man vorneh-
men ſoll, um ſich von dem Kleinſten einen Begriff
zu machen. Hingegen in der Mathematic ſaget man,
daß bey ſolchen Groͤßen, die keine beſtimmte Einheit
haben, weder kleinſtes noch groͤßtes, abſolute betrach-
tet vorkomme, daß man aber Maxima und Minima
findet, wo eine Groͤße ſich innert beſtimmten Schran-
ken veraͤndert, wie z. E. die Diameter einer Ellipſe,
die Mittagshoͤhen der Sonne ꝛc. Und dabey gebraucht
man den Begriff des Nichts und die Vergleichung
des Etwas mit demſelben gar nicht. So hat auch
der Ausdruck pauciſſimae in vorangezogenen Saͤtzen
keinen Verſtand. Denn die an ſich geringſte Anzahl
untrennbarer Beſtimmungen iſt weder groͤßer noch

kleiner
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[306/0314] XXII. Hauptſtuͤck. Sodann fielen dieſe Worterklaͤrungen auch nicht im- mer ſo genau und richtig aus. Man ſehe, was wir (§. 541. 565.) uͤber die Definition des Raumes und der Groͤße angemerket haben. Doch kann man ſa- gen, daß Wolf noch einiger Maaßen in Schranken geblieben, darinn ihn die Kenntniß, die er von der Mathematic hatte, zuruͤcke hielt. Man nehme hin- gegen Definitionen und Saͤtze von folgender Art, Minimum eſt ſolo nihilo maius; maximum eſt ſolo nihilo minus; vnitas minima eſt, ſi pauciſſimae mi- nimae determinationes vnici minimi ſint inſepara- biles &c. und uͤberhaupt den ganzen ſechſten Abſchnitt der Baumgartiſchen Ontologie (Metaph. §. 165-190.) zum Beyſpiele, ſo wird man beynahe glauben muͤſ- ſen, das philoſophiſch richtige ſey mathematiſch un- richtig und hinwiederum. Denn in der That lehret man in der Metaphyſic, daß ſich das Etwas mit dem Nichts nicht vergleichen laſſe, weil nichts gemeinſames darinn iſt. Hingegen in der Defini- tion: Minimum eſt ſolo nihilo maius, zeiget das Wort maius eine Vergleichung an, die man vorneh- men ſoll, um ſich von dem Kleinſten einen Begriff zu machen. Hingegen in der Mathematic ſaget man, daß bey ſolchen Groͤßen, die keine beſtimmte Einheit haben, weder kleinſtes noch groͤßtes, abſolute betrach- tet vorkomme, daß man aber Maxima und Minima findet, wo eine Groͤße ſich innert beſtimmten Schran- ken veraͤndert, wie z. E. die Diameter einer Ellipſe, die Mittagshoͤhen der Sonne ꝛc. Und dabey gebraucht man den Begriff des Nichts und die Vergleichung des Etwas mit demſelben gar nicht. So hat auch der Ausdruck pauciſſimae in vorangezogenen Saͤtzen keinen Verſtand. Denn die an ſich geringſte Anzahl untrennbarer Beſtimmungen iſt weder groͤßer noch kleiner

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/314>, abgerufen am 25.04.2024.