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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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Das Endliche und das Unendliche.
Schranken leitet auch nicht unmittelbar zum Unend-
lichen, sondern zu einem allgemeinern Begriff, wel-
cher das Endliche und das Unendliche, als zwo Ar-
ten unter sich begreift, und eine Größe ohne Rück-
sicht auf ihre Endlichkeit oder Unendlichkeit vorstellet.

§. 907.

Jch sehe also nicht, daß man mit Definitionen
von der Art, wie die drey angeführten sind, weit
reiche, noch daß sehr richtige Schlüsse daraus gezo-
gen werden können. Es wird inzwischen nicht un-
dienlich seyn, die Erklärung der Größe überhaupt,
die man seit Leibnitzen in den meisten Metaphysi-
ken findet, vorzunehmen. Sie heißt: Eine Größe
sey der innere Unterschied ähnlicher Dinge, und sie
könne zwar gegeben oder vorgezeiget, aber nicht
mit Worten deutlich erkläret oder ohne Zuziehung
eines dritten deutlich gemacht werden. Jch habe
nun bereits schon oben angemerkt, daß diese Erklä-
rung ebenfalls nur bey solchen Arten von Größen
angeht, die keine bestimmte Einheit haben, und daß
sie daher zu enge ist, weil sie auf solche Größen, die
eine bestimmte oder vollends eine absolute Einheit
haben, nicht passet. Jch habe aber auch angemerkt,
daß diejenigen Größen, die keine bestimmte Einheit
haben, solche sind die von 0 bis ins Unendliche fort-
gehen. Will man demnach die erst angeführte De-
finition bey diesen Arten von Größen gelten lassen;
so wird sie auch bey dem Unendlichen, wenigstens ge-
wissermaßen anwendbar seyn. Nun kann man mei-
nes Erachtens sagen, daß eine unendliche Größe
gegeben werden könne. Denn sie kann viel leichter,
kürzer und unmittelbarer gegeben werden, als eine

endliche
M m 3

Das Endliche und das Unendliche.
Schranken leitet auch nicht unmittelbar zum Unend-
lichen, ſondern zu einem allgemeinern Begriff, wel-
cher das Endliche und das Unendliche, als zwo Ar-
ten unter ſich begreift, und eine Groͤße ohne Ruͤck-
ſicht auf ihre Endlichkeit oder Unendlichkeit vorſtellet.

§. 907.

Jch ſehe alſo nicht, daß man mit Definitionen
von der Art, wie die drey angefuͤhrten ſind, weit
reiche, noch daß ſehr richtige Schluͤſſe daraus gezo-
gen werden koͤnnen. Es wird inzwiſchen nicht un-
dienlich ſeyn, die Erklaͤrung der Groͤße uͤberhaupt,
die man ſeit Leibnitzen in den meiſten Metaphyſi-
ken findet, vorzunehmen. Sie heißt: Eine Groͤße
ſey der innere Unterſchied aͤhnlicher Dinge, und ſie
koͤnne zwar gegeben oder vorgezeiget, aber nicht
mit Worten deutlich erklaͤret oder ohne Zuziehung
eines dritten deutlich gemacht werden. Jch habe
nun bereits ſchon oben angemerkt, daß dieſe Erklaͤ-
rung ebenfalls nur bey ſolchen Arten von Groͤßen
angeht, die keine beſtimmte Einheit haben, und daß
ſie daher zu enge iſt, weil ſie auf ſolche Groͤßen, die
eine beſtimmte oder vollends eine abſolute Einheit
haben, nicht paſſet. Jch habe aber auch angemerkt,
daß diejenigen Groͤßen, die keine beſtimmte Einheit
haben, ſolche ſind die von 0 bis ins Unendliche fort-
gehen. Will man demnach die erſt angefuͤhrte De-
finition bey dieſen Arten von Groͤßen gelten laſſen;
ſo wird ſie auch bey dem Unendlichen, wenigſtens ge-
wiſſermaßen anwendbar ſeyn. Nun kann man mei-
nes Erachtens ſagen, daß eine unendliche Groͤße
gegeben werden koͤnne. Denn ſie kann viel leichter,
kuͤrzer und unmittelbarer gegeben werden, als eine

endliche
M m 3
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[549/0557] Das Endliche und das Unendliche. Schranken leitet auch nicht unmittelbar zum Unend- lichen, ſondern zu einem allgemeinern Begriff, wel- cher das Endliche und das Unendliche, als zwo Ar- ten unter ſich begreift, und eine Groͤße ohne Ruͤck- ſicht auf ihre Endlichkeit oder Unendlichkeit vorſtellet. §. 907. Jch ſehe alſo nicht, daß man mit Definitionen von der Art, wie die drey angefuͤhrten ſind, weit reiche, noch daß ſehr richtige Schluͤſſe daraus gezo- gen werden koͤnnen. Es wird inzwiſchen nicht un- dienlich ſeyn, die Erklaͤrung der Groͤße uͤberhaupt, die man ſeit Leibnitzen in den meiſten Metaphyſi- ken findet, vorzunehmen. Sie heißt: Eine Groͤße ſey der innere Unterſchied aͤhnlicher Dinge, und ſie koͤnne zwar gegeben oder vorgezeiget, aber nicht mit Worten deutlich erklaͤret oder ohne Zuziehung eines dritten deutlich gemacht werden. Jch habe nun bereits ſchon oben angemerkt, daß dieſe Erklaͤ- rung ebenfalls nur bey ſolchen Arten von Groͤßen angeht, die keine beſtimmte Einheit haben, und daß ſie daher zu enge iſt, weil ſie auf ſolche Groͤßen, die eine beſtimmte oder vollends eine abſolute Einheit haben, nicht paſſet. Jch habe aber auch angemerkt, daß diejenigen Groͤßen, die keine beſtimmte Einheit haben, ſolche ſind die von 0 bis ins Unendliche fort- gehen. Will man demnach die erſt angefuͤhrte De- finition bey dieſen Arten von Groͤßen gelten laſſen; ſo wird ſie auch bey dem Unendlichen, wenigſtens ge- wiſſermaßen anwendbar ſeyn. Nun kann man mei- nes Erachtens ſagen, daß eine unendliche Groͤße gegeben werden koͤnne. Denn ſie kann viel leichter, kuͤrzer und unmittelbarer gegeben werden, als eine endliche M m 3

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/557>, abgerufen am 25.04.2024.