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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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Das Endliche und das Unendliche.
gesetzter Begriffe gemacht. Der Satz war; daß
so viel man zusammengesetzte Begriffe gedenken will,
sich noch mehrere gedenken lassen, die den Graden
und der Art nach stufenweise und so viel man will,
von einander verschieden sind. Dieses will nun sa-
gen; die Anzahl der gedenkbaren Begriffe sey abso-
lut unendlich. Nun ist in allen diesen Begriffen me-
taphysische Wahrheit, und demnach in den dadurch
vorgestellten Dingen die positive und im eigentlichsten
Verstande genommene Möglichkeit zu existiren
(§. 302. 303.). Zu dieser Möglichkeit aber wird
schlechthin erfordert, daß die Kraft, wodurch sie zur
Existenz gebracht werden kann, bereits existire. Eine
Kraft aber, die unendlich viele Dinge positiv mög-
lich,
das will sagen, wirklich machen kann, muß
an sich unendlich seyn. Hieraus folgt nun meines
Erachtens die Existenz einer Kraft, die größer,
als jede gegebene Kraft,
das will sagen, absolut
unendlich
ist. Die Existenz eines Verstandes, der
alle, das will sagen, unendlich viele Begriffe wirklich
denke, wird, weil zur metaphysischen Wahrheit die-
ser Begriffe, die positive Möglichkeit des Denkens
gehört, und diese das wirkliche Denken voraus setzt,
ebenfalls folgen.

§. 914.

Doch ich will dieses hier nur zu fernerer Ueberle-
gung hergesetzt haben. Es bezieht sich unter andern auch
auf die Frage: ob etwas unendliches, das größer
als jede angebliche, das will sagen, endliche
Größe ist,
wirklich existiren könne oder nicht? Die-
se Frage schien bisher auch deswegen erheblich, weil
die Metaphysiker das, was größer als jede angeb-
liche Größe ist,
als das bloß ideale mathematisch

Unend-
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Das Endliche und das Unendliche.
geſetzter Begriffe gemacht. Der Satz war; daß
ſo viel man zuſammengeſetzte Begriffe gedenken will,
ſich noch mehrere gedenken laſſen, die den Graden
und der Art nach ſtufenweiſe und ſo viel man will,
von einander verſchieden ſind. Dieſes will nun ſa-
gen; die Anzahl der gedenkbaren Begriffe ſey abſo-
lut unendlich. Nun iſt in allen dieſen Begriffen me-
taphyſiſche Wahrheit, und demnach in den dadurch
vorgeſtellten Dingen die poſitive und im eigentlichſten
Verſtande genommene Moͤglichkeit zu exiſtiren
(§. 302. 303.). Zu dieſer Moͤglichkeit aber wird
ſchlechthin erfordert, daß die Kraft, wodurch ſie zur
Exiſtenz gebracht werden kann, bereits exiſtire. Eine
Kraft aber, die unendlich viele Dinge poſitiv moͤg-
lich,
das will ſagen, wirklich machen kann, muß
an ſich unendlich ſeyn. Hieraus folgt nun meines
Erachtens die Exiſtenz einer Kraft, die groͤßer,
als jede gegebene Kraft,
das will ſagen, abſolut
unendlich
iſt. Die Exiſtenz eines Verſtandes, der
alle, das will ſagen, unendlich viele Begriffe wirklich
denke, wird, weil zur metaphyſiſchen Wahrheit die-
ſer Begriffe, die poſitive Moͤglichkeit des Denkens
gehoͤrt, und dieſe das wirkliche Denken voraus ſetzt,
ebenfalls folgen.

§. 914.

Doch ich will dieſes hier nur zu fernerer Ueberle-
gung hergeſetzt haben. Es bezieht ſich unter andern auch
auf die Frage: ob etwas unendliches, das groͤßer
als jede angebliche, das will ſagen, endliche
Groͤße iſt,
wirklich exiſtiren koͤnne oder nicht? Die-
ſe Frage ſchien bisher auch deswegen erheblich, weil
die Metaphyſiker das, was groͤßer als jede angeb-
liche Groͤße iſt,
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Unend-
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[553/0561] Das Endliche und das Unendliche. geſetzter Begriffe gemacht. Der Satz war; daß ſo viel man zuſammengeſetzte Begriffe gedenken will, ſich noch mehrere gedenken laſſen, die den Graden und der Art nach ſtufenweiſe und ſo viel man will, von einander verſchieden ſind. Dieſes will nun ſa- gen; die Anzahl der gedenkbaren Begriffe ſey abſo- lut unendlich. Nun iſt in allen dieſen Begriffen me- taphyſiſche Wahrheit, und demnach in den dadurch vorgeſtellten Dingen die poſitive und im eigentlichſten Verſtande genommene Moͤglichkeit zu exiſtiren (§. 302. 303.). Zu dieſer Moͤglichkeit aber wird ſchlechthin erfordert, daß die Kraft, wodurch ſie zur Exiſtenz gebracht werden kann, bereits exiſtire. Eine Kraft aber, die unendlich viele Dinge poſitiv moͤg- lich, das will ſagen, wirklich machen kann, muß an ſich unendlich ſeyn. Hieraus folgt nun meines Erachtens die Exiſtenz einer Kraft, die groͤßer, als jede gegebene Kraft, das will ſagen, abſolut unendlich iſt. Die Exiſtenz eines Verſtandes, der alle, das will ſagen, unendlich viele Begriffe wirklich denke, wird, weil zur metaphyſiſchen Wahrheit die- ſer Begriffe, die poſitive Moͤglichkeit des Denkens gehoͤrt, und dieſe das wirkliche Denken voraus ſetzt, ebenfalls folgen. §. 914. Doch ich will dieſes hier nur zu fernerer Ueberle- gung hergeſetzt haben. Es bezieht ſich unter andern auch auf die Frage: ob etwas unendliches, das groͤßer als jede angebliche, das will ſagen, endliche Groͤße iſt, wirklich exiſtiren koͤnne oder nicht? Die- ſe Frage ſchien bisher auch deswegen erheblich, weil die Metaphyſiker das, was groͤßer als jede angeb- liche Groͤße iſt, als das bloß ideale mathematiſch Unend- M m 5

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/561>, abgerufen am 28.03.2024.