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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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von den Aufgaben.
§. 425.

Sind nun die Begriffe A, B an sich mögliche
Begriffe, so hat die Frage, die man darüber anstellt,
immer einen Schein der Zuläßigkeit. So z. E.
kann man fragen, ob Beyspiele und Gleichnisse nur
erläutern, oder ob sie auch beweisen, ob die Analogie
statt eines Beweises dienen könne etc. Diese Zuläßig-
keit wird noch größer, wenn es nicht gar zu offenbar
ist, daß die Frage bejaht oder verneint werden müsse.
Und solcher Fragen giebt es noch eine gute Menge,
weil wir noch lange nicht alles wissen, was wir wissen
könnten. Hingegen verräth man eine Einfalt oder
Unwissenheit, wenn man Fragen macht, die längst
schon beantwortet sind, oder deren Beantwortung an
sich offenbar ist. So z. E. daß die Erde rund ist,
weis nun jeder von Kindheit auf, daß der Mond und
die Sonne rund sind, fällt jedem in die Augen. Wer
demnach fragen wollte, ob die Erde, oder die Sonne,
oder der Mond viereckicht sey, müßte im ersten Fall
unter den Chinesern erzogen seyn, weil diese im Sprüch-
wort haben, die Erde sey viereckicht, in beyden andern
Fällen aber blind seyn, oder nicht wissen, was rund oder
viereckicht ist.

§. 426.

Sind hingegen die Begriffe A, B oder wenigstens
einer davon an sich unmöglich, so fällt die Frage
ins ungereimte, weil sie gar nicht vorkömmt.

So z. E. wenn man fragte, ob die Schlußsätze in
der fünften Figur bejahend oder verneinend seyn, ob
ein Zirkel rechtwinklichte Ecken habe, ob die Sonnen-
finsternissen im ersten Viertel total seyn etc. so sind
dieses Fragen, die gar nicht vorkommen, weil es keine
fünfte Figur von Schlüßen giebt, weil ein Zirkel gar

keine
S 3
von den Aufgaben.
§. 425.

Sind nun die Begriffe A, B an ſich moͤgliche
Begriffe, ſo hat die Frage, die man daruͤber anſtellt,
immer einen Schein der Zulaͤßigkeit. So z. E.
kann man fragen, ob Beyſpiele und Gleichniſſe nur
erlaͤutern, oder ob ſie auch beweiſen, ob die Analogie
ſtatt eines Beweiſes dienen koͤnne ꝛc. Dieſe Zulaͤßig-
keit wird noch groͤßer, wenn es nicht gar zu offenbar
iſt, daß die Frage bejaht oder verneint werden muͤſſe.
Und ſolcher Fragen giebt es noch eine gute Menge,
weil wir noch lange nicht alles wiſſen, was wir wiſſen
koͤnnten. Hingegen verraͤth man eine Einfalt oder
Unwiſſenheit, wenn man Fragen macht, die laͤngſt
ſchon beantwortet ſind, oder deren Beantwortung an
ſich offenbar iſt. So z. E. daß die Erde rund iſt,
weis nun jeder von Kindheit auf, daß der Mond und
die Sonne rund ſind, faͤllt jedem in die Augen. Wer
demnach fragen wollte, ob die Erde, oder die Sonne,
oder der Mond viereckicht ſey, muͤßte im erſten Fall
unter den Chineſern erzogen ſeyn, weil dieſe im Spruͤch-
wort haben, die Erde ſey viereckicht, in beyden andern
Faͤllen aber blind ſeyn, oder nicht wiſſen, was rund oder
viereckicht iſt.

§. 426.

Sind hingegen die Begriffe A, B oder wenigſtens
einer davon an ſich unmoͤglich, ſo faͤllt die Frage
ins ungereimte, weil ſie gar nicht vorkoͤmmt.

So z. E. wenn man fragte, ob die Schlußſaͤtze in
der fuͤnften Figur bejahend oder verneinend ſeyn, ob
ein Zirkel rechtwinklichte Ecken habe, ob die Sonnen-
finſterniſſen im erſten Viertel total ſeyn ꝛc. ſo ſind
dieſes Fragen, die gar nicht vorkommen, weil es keine
fuͤnfte Figur von Schluͤßen giebt, weil ein Zirkel gar

keine
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[277/0299] von den Aufgaben. §. 425. Sind nun die Begriffe A, B an ſich moͤgliche Begriffe, ſo hat die Frage, die man daruͤber anſtellt, immer einen Schein der Zulaͤßigkeit. So z. E. kann man fragen, ob Beyſpiele und Gleichniſſe nur erlaͤutern, oder ob ſie auch beweiſen, ob die Analogie ſtatt eines Beweiſes dienen koͤnne ꝛc. Dieſe Zulaͤßig- keit wird noch groͤßer, wenn es nicht gar zu offenbar iſt, daß die Frage bejaht oder verneint werden muͤſſe. Und ſolcher Fragen giebt es noch eine gute Menge, weil wir noch lange nicht alles wiſſen, was wir wiſſen koͤnnten. Hingegen verraͤth man eine Einfalt oder Unwiſſenheit, wenn man Fragen macht, die laͤngſt ſchon beantwortet ſind, oder deren Beantwortung an ſich offenbar iſt. So z. E. daß die Erde rund iſt, weis nun jeder von Kindheit auf, daß der Mond und die Sonne rund ſind, faͤllt jedem in die Augen. Wer demnach fragen wollte, ob die Erde, oder die Sonne, oder der Mond viereckicht ſey, muͤßte im erſten Fall unter den Chineſern erzogen ſeyn, weil dieſe im Spruͤch- wort haben, die Erde ſey viereckicht, in beyden andern Faͤllen aber blind ſeyn, oder nicht wiſſen, was rund oder viereckicht iſt. §. 426. Sind hingegen die Begriffe A, B oder wenigſtens einer davon an ſich unmoͤglich, ſo faͤllt die Frage ins ungereimte, weil ſie gar nicht vorkoͤmmt. So z. E. wenn man fragte, ob die Schlußſaͤtze in der fuͤnften Figur bejahend oder verneinend ſeyn, ob ein Zirkel rechtwinklichte Ecken habe, ob die Sonnen- finſterniſſen im erſten Viertel total ſeyn ꝛc. ſo ſind dieſes Fragen, die gar nicht vorkommen, weil es keine fuͤnfte Figur von Schluͤßen giebt, weil ein Zirkel gar keine S 3

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/299>, abgerufen am 25.04.2024.