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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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IX. Hauptstück,
hergeleitet wird, immer höher und allgemeiner ist,
oder wenigstens nicht niedriger noch eingeschränkter
seyn kann.

§. 644.

Hier kömmt uns nun vornehmlich zu untersuchen
vor, ob und wiefern sich eine Erkenntniß, bloß aus dem
Begriff der Sache, und daher a priori wissenschaft-
lich machen lasse? Findet sich dieses, so erweitern wir
dadurch den Begriff der wissenschaftlichen Erkenntniß,
den wir oben (§. 610.) nur noch in sofern angenom-
men haben, als sie sich beschäfftigt, Erfahrungen in
Zusammenhang zu bringen, und eine aus der andern
herzuleiten.

§. 645.

Um demnach die hier vorkommende Untersuchung
vorzunehmen, werden wir dabey anfangen müssen,
die Begriffe in dieser Absicht auseinander zu lefen,
und in behörige Klassen zu bringen. Und dieser Un-
terschied derselben kömmt vornehmlich auf die Art an,
wie wir zu den Begriffen gelangen oder gelan-
gen können.
Denn es ist klar, daß je mehr wir
felbst Begriffe ohne Rücksicht auf die Erfahrung ha-
ben können, um desto mehr unsre Erkenntniß a priori
werde. Hiedurch verfallen wir auf den oben (§. 185.)
angezeigten Unterschied der Begriffe, den wir nun
genauer entwickeln wollen.

§. 646.

Einmal, daß wir die Begriffe aus der Erfahrung
haben und haben können, bedarf keines fernern Be-
weises, weil die gemeine Erkenntniß, in sofern sie nur
auf Empfindungen beruht, keine andre hat. Es
sind demnach Erfahrungsbegriffe an sich mögliche
Begriffe, und zwar solche, die wir der unmittelbaren
Empfindung zu danken haben. Das Bewußtseyn

dieser

IX. Hauptſtuͤck,
hergeleitet wird, immer hoͤher und allgemeiner iſt,
oder wenigſtens nicht niedriger noch eingeſchraͤnkter
ſeyn kann.

§. 644.

Hier koͤmmt uns nun vornehmlich zu unterſuchen
vor, ob und wiefern ſich eine Erkenntniß, bloß aus dem
Begriff der Sache, und daher a priori wiſſenſchaft-
lich machen laſſe? Findet ſich dieſes, ſo erweitern wir
dadurch den Begriff der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß,
den wir oben (§. 610.) nur noch in ſofern angenom-
men haben, als ſie ſich beſchaͤfftigt, Erfahrungen in
Zuſammenhang zu bringen, und eine aus der andern
herzuleiten.

§. 645.

Um demnach die hier vorkommende Unterſuchung
vorzunehmen, werden wir dabey anfangen muͤſſen,
die Begriffe in dieſer Abſicht auseinander zu lefen,
und in behoͤrige Klaſſen zu bringen. Und dieſer Un-
terſchied derſelben koͤmmt vornehmlich auf die Art an,
wie wir zu den Begriffen gelangen oder gelan-
gen koͤnnen.
Denn es iſt klar, daß je mehr wir
felbſt Begriffe ohne Ruͤckſicht auf die Erfahrung ha-
ben koͤnnen, um deſto mehr unſre Erkenntniß a priori
werde. Hiedurch verfallen wir auf den oben (§. 185.)
angezeigten Unterſchied der Begriffe, den wir nun
genauer entwickeln wollen.

§. 646.

Einmal, daß wir die Begriffe aus der Erfahrung
haben und haben koͤnnen, bedarf keines fernern Be-
weiſes, weil die gemeine Erkenntniß, in ſofern ſie nur
auf Empfindungen beruht, keine andre hat. Es
ſind demnach Erfahrungsbegriffe an ſich moͤgliche
Begriffe, und zwar ſolche, die wir der unmittelbaren
Empfindung zu danken haben. Das Bewußtſeyn

dieſer
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[416/0438] IX. Hauptſtuͤck, hergeleitet wird, immer hoͤher und allgemeiner iſt, oder wenigſtens nicht niedriger noch eingeſchraͤnkter ſeyn kann. §. 644. Hier koͤmmt uns nun vornehmlich zu unterſuchen vor, ob und wiefern ſich eine Erkenntniß, bloß aus dem Begriff der Sache, und daher a priori wiſſenſchaft- lich machen laſſe? Findet ſich dieſes, ſo erweitern wir dadurch den Begriff der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß, den wir oben (§. 610.) nur noch in ſofern angenom- men haben, als ſie ſich beſchaͤfftigt, Erfahrungen in Zuſammenhang zu bringen, und eine aus der andern herzuleiten. §. 645. Um demnach die hier vorkommende Unterſuchung vorzunehmen, werden wir dabey anfangen muͤſſen, die Begriffe in dieſer Abſicht auseinander zu lefen, und in behoͤrige Klaſſen zu bringen. Und dieſer Un- terſchied derſelben koͤmmt vornehmlich auf die Art an, wie wir zu den Begriffen gelangen oder gelan- gen koͤnnen. Denn es iſt klar, daß je mehr wir felbſt Begriffe ohne Ruͤckſicht auf die Erfahrung ha- ben koͤnnen, um deſto mehr unſre Erkenntniß a priori werde. Hiedurch verfallen wir auf den oben (§. 185.) angezeigten Unterſchied der Begriffe, den wir nun genauer entwickeln wollen. §. 646. Einmal, daß wir die Begriffe aus der Erfahrung haben und haben koͤnnen, bedarf keines fernern Be- weiſes, weil die gemeine Erkenntniß, in ſofern ſie nur auf Empfindungen beruht, keine andre hat. Es ſind demnach Erfahrungsbegriffe an ſich moͤgliche Begriffe, und zwar ſolche, die wir der unmittelbaren Empfindung zu danken haben. Das Bewußtſeyn dieſer

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/438>, abgerufen am 29.03.2024.