Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

oder für sich gedenkbaren Begriffen.
sten confundiren oder verwechseln. Denn so wird
wohl niemand sich träumen lassen, daß er eine Farbe
höre, die Zeit sehe etc. Jndessen geht dieses vornehm-
lich nur die äußern Sinnen an. Hingegen ist es
schon längst eingeführt, daß wir das sichtbare mit
dem unsichtbaren, die Körperwelt mit der Jntel-
lectualwelt, die Empfindungen mit den Gedanken
vergleichen, und vor beyde einerley Wörter und Aus-
drücke gebrauchen. Die Worte erhalten dadurch
nothwendig eine doppelte und zuweilen auch vielfache
Bedeutung. Ein Licht im Zimmer haben, und Licht
in den Gedanken haben, sind solche Redensarten.
Und wenn wir sagen, es ist möglich, daß ein gewisses
Vorgeben wahr sey; oder es ist möglich, eine gewisse Last
zu heben; so heißt das Wort möglich im ersten Fall:
man wisse es noch nicht, man lasse es noch unausge-
macht etc. im andern Fall aber hat das Wort mög-
lich
die Bedeutung: daß es geschehen könne.

§. 46.

Der eigentliche Grund dieser Vergleichung liegt
in der Aehnlichkeit des Eindruckes, den die Em-
pfindungen äußerlicher Dinge und die Vorstellung ab-
stracter und unsichtbarer Dinge in uns machen. So
z. E. stellt man sich eine Sache vor Augen,
wenn man sie in der That vor sich stellt, und
sie anschaut. Dies heißt von Wort zu Wort,
oder im eigentlichen Verstande. Stellt man sie
sich aber in Gedanken so lebhaft vor, als wenn sie
vor Augen wäre, so ist dieses im figürlichen Ver-
stande.
So auch, wer Schriften, Geldsorten etc.
auseinanderliest, und jede besonders zusammen-
nimmt, theilt gleichsam dadurch den Begriff des ver-
wirrten Haufens, in einzelne kenntliche, und transferirt
unvermerkt den Begriff des Auseinanderlesens von
den Sachen auf die Begriffe.

§. 47.
H h 2

oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen.
ſten confundiren oder verwechſeln. Denn ſo wird
wohl niemand ſich traͤumen laſſen, daß er eine Farbe
hoͤre, die Zeit ſehe ꝛc. Jndeſſen geht dieſes vornehm-
lich nur die aͤußern Sinnen an. Hingegen iſt es
ſchon laͤngſt eingefuͤhrt, daß wir das ſichtbare mit
dem unſichtbaren, die Koͤrperwelt mit der Jntel-
lectualwelt, die Empfindungen mit den Gedanken
vergleichen, und vor beyde einerley Woͤrter und Aus-
druͤcke gebrauchen. Die Worte erhalten dadurch
nothwendig eine doppelte und zuweilen auch vielfache
Bedeutung. Ein Licht im Zimmer haben, und Licht
in den Gedanken haben, ſind ſolche Redensarten.
Und wenn wir ſagen, es iſt moͤglich, daß ein gewiſſes
Vorgeben wahr ſey; oder es iſt moͤglich, eine gewiſſe Laſt
zu heben; ſo heißt das Wort moͤglich im erſten Fall:
man wiſſe es noch nicht, man laſſe es noch unausge-
macht ꝛc. im andern Fall aber hat das Wort moͤg-
lich
die Bedeutung: daß es geſchehen koͤnne.

§. 46.

Der eigentliche Grund dieſer Vergleichung liegt
in der Aehnlichkeit des Eindruckes, den die Em-
pfindungen aͤußerlicher Dinge und die Vorſtellung ab-
ſtracter und unſichtbarer Dinge in uns machen. So
z. E. ſtellt man ſich eine Sache vor Augen,
wenn man ſie in der That vor ſich ſtellt, und
ſie anſchaut. Dies heißt von Wort zu Wort,
oder im eigentlichen Verſtande. Stellt man ſie
ſich aber in Gedanken ſo lebhaft vor, als wenn ſie
vor Augen waͤre, ſo iſt dieſes im figuͤrlichen Ver-
ſtande.
So auch, wer Schriften, Geldſorten ꝛc.
auseinanderlieſt, und jede beſonders zuſammen-
nimmt, theilt gleichſam dadurch den Begriff des ver-
wirrten Haufens, in einzelne kenntliche, und transferirt
unvermerkt den Begriff des Auseinanderleſens von
den Sachen auf die Begriffe.

§. 47.
H h 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0505" n="483"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">oder fu&#x0364;r &#x017F;ich gedenkbaren Begriffen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ten confundiren oder verwech&#x017F;eln. Denn &#x017F;o wird<lb/>
wohl niemand &#x017F;ich tra&#x0364;umen la&#x017F;&#x017F;en, daß er eine Farbe<lb/>
ho&#x0364;re, die Zeit &#x017F;ehe &#xA75B;c. Jnde&#x017F;&#x017F;en geht die&#x017F;es vornehm-<lb/>
lich nur die a&#x0364;ußern Sinnen an. Hingegen i&#x017F;t es<lb/>
&#x017F;chon la&#x0364;ng&#x017F;t eingefu&#x0364;hrt, daß wir das &#x017F;ichtbare mit<lb/>
dem un&#x017F;ichtbaren, die Ko&#x0364;rperwelt mit der Jntel-<lb/>
lectualwelt, die Empfindungen mit den Gedanken<lb/>
vergleichen, und vor beyde einerley Wo&#x0364;rter und Aus-<lb/>
dru&#x0364;cke gebrauchen. Die Worte erhalten dadurch<lb/>
nothwendig eine doppelte und zuweilen auch vielfache<lb/>
Bedeutung. Ein Licht im Zimmer haben, und Licht<lb/>
in den Gedanken haben, &#x017F;ind &#x017F;olche Redensarten.<lb/>
Und wenn wir &#x017F;agen, es i&#x017F;t mo&#x0364;glich, daß ein gewi&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Vorgeben wahr &#x017F;ey; oder es i&#x017F;t mo&#x0364;glich, eine gewi&#x017F;&#x017F;e La&#x017F;t<lb/>
zu heben; &#x017F;o heißt das Wort <hi rendition="#fr">mo&#x0364;glich</hi> im er&#x017F;ten Fall:<lb/>
man wi&#x017F;&#x017F;e es noch nicht, man la&#x017F;&#x017F;e es noch unausge-<lb/>
macht &#xA75B;c. im andern Fall aber hat das Wort <hi rendition="#fr">mo&#x0364;g-<lb/>
lich</hi> die Bedeutung: daß es ge&#x017F;chehen ko&#x0364;nne.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 46.</head><lb/>
            <p>Der eigentliche Grund die&#x017F;er Vergleichung liegt<lb/>
in der <hi rendition="#fr">Aehnlichkeit des Eindruckes,</hi> den die Em-<lb/>
pfindungen a&#x0364;ußerlicher Dinge und die Vor&#x017F;tellung ab-<lb/>
&#x017F;tracter und un&#x017F;ichtbarer Dinge in uns machen. So<lb/>
z. E. <hi rendition="#fr">&#x017F;tellt man &#x017F;ich eine Sache vor Augen,</hi><lb/>
wenn man &#x017F;ie in der That vor &#x017F;ich &#x017F;tellt, und<lb/>
&#x017F;ie an&#x017F;chaut. Dies heißt <hi rendition="#fr">von Wort zu Wort,</hi><lb/>
oder im <hi rendition="#fr">eigentlichen Ver&#x017F;tande.</hi> Stellt man &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich aber in Gedanken &#x017F;o lebhaft vor, als wenn &#x017F;ie<lb/>
vor Augen wa&#x0364;re, &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;es im <hi rendition="#fr">figu&#x0364;rlichen Ver-<lb/>
&#x017F;tande.</hi> So auch, wer Schriften, Geld&#x017F;orten &#xA75B;c.<lb/>
auseinanderlie&#x017F;t, und jede be&#x017F;onders zu&#x017F;ammen-<lb/>
nimmt, theilt gleich&#x017F;am dadurch den Begriff des ver-<lb/>
wirrten Haufens, in einzelne kenntliche, und transferirt<lb/>
unvermerkt den Begriff des Auseinanderle&#x017F;ens von<lb/>
den Sachen auf die Begriffe.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">H h 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 47.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[483/0505] oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen. ſten confundiren oder verwechſeln. Denn ſo wird wohl niemand ſich traͤumen laſſen, daß er eine Farbe hoͤre, die Zeit ſehe ꝛc. Jndeſſen geht dieſes vornehm- lich nur die aͤußern Sinnen an. Hingegen iſt es ſchon laͤngſt eingefuͤhrt, daß wir das ſichtbare mit dem unſichtbaren, die Koͤrperwelt mit der Jntel- lectualwelt, die Empfindungen mit den Gedanken vergleichen, und vor beyde einerley Woͤrter und Aus- druͤcke gebrauchen. Die Worte erhalten dadurch nothwendig eine doppelte und zuweilen auch vielfache Bedeutung. Ein Licht im Zimmer haben, und Licht in den Gedanken haben, ſind ſolche Redensarten. Und wenn wir ſagen, es iſt moͤglich, daß ein gewiſſes Vorgeben wahr ſey; oder es iſt moͤglich, eine gewiſſe Laſt zu heben; ſo heißt das Wort moͤglich im erſten Fall: man wiſſe es noch nicht, man laſſe es noch unausge- macht ꝛc. im andern Fall aber hat das Wort moͤg- lich die Bedeutung: daß es geſchehen koͤnne. §. 46. Der eigentliche Grund dieſer Vergleichung liegt in der Aehnlichkeit des Eindruckes, den die Em- pfindungen aͤußerlicher Dinge und die Vorſtellung ab- ſtracter und unſichtbarer Dinge in uns machen. So z. E. ſtellt man ſich eine Sache vor Augen, wenn man ſie in der That vor ſich ſtellt, und ſie anſchaut. Dies heißt von Wort zu Wort, oder im eigentlichen Verſtande. Stellt man ſie ſich aber in Gedanken ſo lebhaft vor, als wenn ſie vor Augen waͤre, ſo iſt dieſes im figuͤrlichen Ver- ſtande. So auch, wer Schriften, Geldſorten ꝛc. auseinanderlieſt, und jede beſonders zuſammen- nimmt, theilt gleichſam dadurch den Begriff des ver- wirrten Haufens, in einzelne kenntliche, und transferirt unvermerkt den Begriff des Auseinanderleſens von den Sachen auf die Begriffe. §. 47. H h 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/505
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/505>, abgerufen am 29.03.2024.