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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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von den Begriffen und Erklärungen.
§. 20.

Bey einzelnen Dingen geht noch eine Art von
Veränderung vor, ohne daß sie ihren Namen ändern,
oder nicht mehr für eben dieselben, überhaupt betrach-
tet, angesehen werden sollten. Es ist daher auch
hier etwas, welches so lange es bleibt, den Begriff
und Namen des einzelnen Dinges beybehält. Z. E. ein
Mensch wächst von Kindheit auf, wird größer,
älter, verständiger, krank, wieder gesund, so, daß
man anstehen kann, wie viel von dem Stoff, dar-
aus sein Leib besteht, nach einigen Jahren noch übrig
bleibt, der sich nicht mit neuem verwechselt hätte.
Es ist klar, daß man hiebey dieser Aenderungen un-
geachtet, den Cajus immer für den Cajus, und Titius
für den Titius halten wird, so lange die Masse des
Leibes in ihrem Leben und Verbindung bleibt. Es
kommt hier auf den Verlust der Theile an, mit wel-
chen das Leben nothwendig aufhört; und auch hier
noch geht nur der Begriff des lebenden Cajus oder
Titius verlohren. Denn wenn man z. E. noch die
Mumie eines in der Geschichte bekannten egyptischen
Königs erkennte, so würde man sie immer noch von
demselben hernennen. So viel gebraucht es den Be-
griff eines einzeln Dinges ganz wegzubringen, daß
man auch die Asche in den Todtenurnen von dem her-
schreibt, dessen Asche ist aufbehalten worden.

§. 21.

Jndessen bleibt hierbey immer ein Hauptbegriff,
auf welchen alle Veränderungen bezogen werden, und
dessen Umfang sich nicht wohl bestimmen läßt. Bey
den Menschen geschieht es selten, daß einer sich so ver-
änderte, daß er keinem mehr beweisen könnte, er sey
eben der, den sie vormals gekannt hatten, und ein
Mensch müßte alles Gedächtniß verlieren, wenn er
sich seiner selbst nicht mehr bewußt wäre.

§. 22.
von den Begriffen und Erklaͤrungen.
§. 20.

Bey einzelnen Dingen geht noch eine Art von
Veraͤnderung vor, ohne daß ſie ihren Namen aͤndern,
oder nicht mehr fuͤr eben dieſelben, uͤberhaupt betrach-
tet, angeſehen werden ſollten. Es iſt daher auch
hier etwas, welches ſo lange es bleibt, den Begriff
und Namen des einzelnen Dinges beybehaͤlt. Z. E. ein
Menſch waͤchſt von Kindheit auf, wird groͤßer,
aͤlter, verſtaͤndiger, krank, wieder geſund, ſo, daß
man anſtehen kann, wie viel von dem Stoff, dar-
aus ſein Leib beſteht, nach einigen Jahren noch uͤbrig
bleibt, der ſich nicht mit neuem verwechſelt haͤtte.
Es iſt klar, daß man hiebey dieſer Aenderungen un-
geachtet, den Cajus immer fuͤr den Cajus, und Titius
fuͤr den Titius halten wird, ſo lange die Maſſe des
Leibes in ihrem Leben und Verbindung bleibt. Es
kommt hier auf den Verluſt der Theile an, mit wel-
chen das Leben nothwendig aufhoͤrt; und auch hier
noch geht nur der Begriff des lebenden Cajus oder
Titius verlohren. Denn wenn man z. E. noch die
Mumie eines in der Geſchichte bekannten egyptiſchen
Koͤnigs erkennte, ſo wuͤrde man ſie immer noch von
demſelben hernennen. So viel gebraucht es den Be-
griff eines einzeln Dinges ganz wegzubringen, daß
man auch die Aſche in den Todtenurnen von dem her-
ſchreibt, deſſen Aſche iſt aufbehalten worden.

§. 21.

Jndeſſen bleibt hierbey immer ein Hauptbegriff,
auf welchen alle Veraͤnderungen bezogen werden, und
deſſen Umfang ſich nicht wohl beſtimmen laͤßt. Bey
den Menſchen geſchieht es ſelten, daß einer ſich ſo ver-
aͤnderte, daß er keinem mehr beweiſen koͤnnte, er ſey
eben der, den ſie vormals gekannt hatten, und ein
Menſch muͤßte alles Gedaͤchtniß verlieren, wenn er
ſich ſeiner ſelbſt nicht mehr bewußt waͤre.

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[13/0035] von den Begriffen und Erklaͤrungen. §. 20. Bey einzelnen Dingen geht noch eine Art von Veraͤnderung vor, ohne daß ſie ihren Namen aͤndern, oder nicht mehr fuͤr eben dieſelben, uͤberhaupt betrach- tet, angeſehen werden ſollten. Es iſt daher auch hier etwas, welches ſo lange es bleibt, den Begriff und Namen des einzelnen Dinges beybehaͤlt. Z. E. ein Menſch waͤchſt von Kindheit auf, wird groͤßer, aͤlter, verſtaͤndiger, krank, wieder geſund, ſo, daß man anſtehen kann, wie viel von dem Stoff, dar- aus ſein Leib beſteht, nach einigen Jahren noch uͤbrig bleibt, der ſich nicht mit neuem verwechſelt haͤtte. Es iſt klar, daß man hiebey dieſer Aenderungen un- geachtet, den Cajus immer fuͤr den Cajus, und Titius fuͤr den Titius halten wird, ſo lange die Maſſe des Leibes in ihrem Leben und Verbindung bleibt. Es kommt hier auf den Verluſt der Theile an, mit wel- chen das Leben nothwendig aufhoͤrt; und auch hier noch geht nur der Begriff des lebenden Cajus oder Titius verlohren. Denn wenn man z. E. noch die Mumie eines in der Geſchichte bekannten egyptiſchen Koͤnigs erkennte, ſo wuͤrde man ſie immer noch von demſelben hernennen. So viel gebraucht es den Be- griff eines einzeln Dinges ganz wegzubringen, daß man auch die Aſche in den Todtenurnen von dem her- ſchreibt, deſſen Aſche iſt aufbehalten worden. §. 21. Jndeſſen bleibt hierbey immer ein Hauptbegriff, auf welchen alle Veraͤnderungen bezogen werden, und deſſen Umfang ſich nicht wohl beſtimmen laͤßt. Bey den Menſchen geſchieht es ſelten, daß einer ſich ſo ver- aͤnderte, daß er keinem mehr beweiſen koͤnnte, er ſey eben der, den ſie vormals gekannt hatten, und ein Menſch muͤßte alles Gedaͤchtniß verlieren, wenn er ſich ſeiner ſelbſt nicht mehr bewußt waͤre. §. 22.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/35>, abgerufen am 29.03.2024.