Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

IX. Hauptstück,
endlich in dieser fortgesetzten Erklärung auf einen
Begriff M kömmt, den man wiederum durch A er-
klärt. Ein solcher Zirkel ist demnach desto länger, je
länger die Reihe von Definitionen ist, die uns endlich
wiederum auf das erste Definitum A zurückführt,
und der unmittelbarste oder kürzeste ist, wenn schlecht-
hin A durch B, und B hinwiederum durch A erklärt
wird.

§. 682.

Dieses kann nun durch Verhältnißbegriffe ge-
schehen, aber ohne dieselben läßt es sich nicht thun,
ohne daß in dem Zirkel offenbare Fehler seyn. Denn
wenn ein Begriff vermittelst eines Verhältnisses durch
einen andern bestimmt wird; so läßt sich das Ver-
hältniß mehrentheils umkehren, und so kann hinwie-
derum der zweyte Begriff, durch den ersten bestimmt
werden. Z. E. Ein Tag ist eine Zeit von 24 Stun-
den. Dadurch ist nun der Begriff eines Tages in so
fern bestimmt, als der Begriff einer Stunde bestimmt
ist. Wollte man aber den Begriff einer Stunde
dadurch erklären, daß sie der 24ste Theil eines Tages
sey, so würde diese Erklärung die erstere im geringsten
nicht deutlicher machen, noch näher bestimmen, weil
sie nur umgekehrt eben das sagt, was die erstere.

§. 683.

Hingegen, wenn man bey der ersten Erklärung
nicht Verhältnisse, sondern die innern Merkmaale
gebraucht, und diese ferner durch ihre einfacheren Merk-
maale bestimmt, so läßt sich eines dieser Merkmaale
nicht durch den ganzen Begriff definiren, weil derselbe
noch mehr andre Merkmaale enthält, die folglich
davon abgezogen werden müßten. Da wir aber an
solche Subtractionen gar nicht gewöhnt sind, so würde
eine solche Definition immer unnatürlich scheinen, und

meh-

IX. Hauptſtuͤck,
endlich in dieſer fortgeſetzten Erklaͤrung auf einen
Begriff M koͤmmt, den man wiederum durch A er-
klaͤrt. Ein ſolcher Zirkel iſt demnach deſto laͤnger, je
laͤnger die Reihe von Definitionen iſt, die uns endlich
wiederum auf das erſte Definitum A zuruͤckfuͤhrt,
und der unmittelbarſte oder kuͤrzeſte iſt, wenn ſchlecht-
hin A durch B, und B hinwiederum durch A erklaͤrt
wird.

§. 682.

Dieſes kann nun durch Verhaͤltnißbegriffe ge-
ſchehen, aber ohne dieſelben laͤßt es ſich nicht thun,
ohne daß in dem Zirkel offenbare Fehler ſeyn. Denn
wenn ein Begriff vermittelſt eines Verhaͤltniſſes durch
einen andern beſtimmt wird; ſo laͤßt ſich das Ver-
haͤltniß mehrentheils umkehren, und ſo kann hinwie-
derum der zweyte Begriff, durch den erſten beſtimmt
werden. Z. E. Ein Tag iſt eine Zeit von 24 Stun-
den. Dadurch iſt nun der Begriff eines Tages in ſo
fern beſtimmt, als der Begriff einer Stunde beſtimmt
iſt. Wollte man aber den Begriff einer Stunde
dadurch erklaͤren, daß ſie der 24ſte Theil eines Tages
ſey, ſo wuͤrde dieſe Erklaͤrung die erſtere im geringſten
nicht deutlicher machen, noch naͤher beſtimmen, weil
ſie nur umgekehrt eben das ſagt, was die erſtere.

§. 683.

Hingegen, wenn man bey der erſten Erklaͤrung
nicht Verhaͤltniſſe, ſondern die innern Merkmaale
gebraucht, und dieſe ferner durch ihre einfacheren Merk-
maale beſtimmt, ſo laͤßt ſich eines dieſer Merkmaale
nicht durch den ganzen Begriff definiren, weil derſelbe
noch mehr andre Merkmaale enthaͤlt, die folglich
davon abgezogen werden muͤßten. Da wir aber an
ſolche Subtractionen gar nicht gewoͤhnt ſind, ſo wuͤrde
eine ſolche Definition immer unnatuͤrlich ſcheinen, und

meh-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0458" n="436"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IX.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck,</hi></fw><lb/>
endlich in die&#x017F;er fortge&#x017F;etzten Erkla&#x0364;rung auf einen<lb/>
Begriff <hi rendition="#aq">M</hi> ko&#x0364;mmt, den man wiederum durch <hi rendition="#aq">A</hi> er-<lb/>
kla&#x0364;rt. Ein &#x017F;olcher Zirkel i&#x017F;t demnach de&#x017F;to la&#x0364;nger, je<lb/>
la&#x0364;nger die Reihe von Definitionen i&#x017F;t, die uns endlich<lb/>
wiederum auf das er&#x017F;te <hi rendition="#aq">Definitum A</hi> zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hrt,<lb/>
und der unmittelbar&#x017F;te oder ku&#x0364;rze&#x017F;te i&#x017F;t, wenn &#x017F;chlecht-<lb/>
hin <hi rendition="#aq">A</hi> durch <hi rendition="#aq">B,</hi> und <hi rendition="#aq">B</hi> hinwiederum durch <hi rendition="#aq">A</hi> erkla&#x0364;rt<lb/>
wird.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 682.</head><lb/>
            <p>Die&#x017F;es kann nun durch Verha&#x0364;ltnißbegriffe ge-<lb/>
&#x017F;chehen, aber ohne die&#x017F;elben la&#x0364;ßt es &#x017F;ich nicht thun,<lb/>
ohne daß in dem Zirkel offenbare Fehler &#x017F;eyn. Denn<lb/>
wenn ein Begriff vermittel&#x017F;t eines Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;es durch<lb/>
einen andern be&#x017F;timmt wird; &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich das Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltniß mehrentheils umkehren, und &#x017F;o kann hinwie-<lb/>
derum der zweyte Begriff, durch den er&#x017F;ten be&#x017F;timmt<lb/>
werden. Z. E. Ein Tag i&#x017F;t eine Zeit von 24 Stun-<lb/>
den. Dadurch i&#x017F;t nun der Begriff eines Tages in &#x017F;o<lb/>
fern be&#x017F;timmt, als der Begriff einer Stunde be&#x017F;timmt<lb/>
i&#x017F;t. Wollte man aber den Begriff einer Stunde<lb/>
dadurch erkla&#x0364;ren, daß &#x017F;ie der 24<hi rendition="#sup">&#x017F;te</hi> Theil eines Tages<lb/>
&#x017F;ey, &#x017F;o wu&#x0364;rde die&#x017F;e Erkla&#x0364;rung die er&#x017F;tere im gering&#x017F;ten<lb/>
nicht deutlicher machen, noch na&#x0364;her be&#x017F;timmen, weil<lb/>
&#x017F;ie nur umgekehrt eben das &#x017F;agt, was die er&#x017F;tere.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 683.</head><lb/>
            <p>Hingegen, wenn man bey der er&#x017F;ten Erkla&#x0364;rung<lb/>
nicht Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;ondern die innern Merkmaale<lb/>
gebraucht, und die&#x017F;e ferner durch ihre einfacheren Merk-<lb/>
maale be&#x017F;timmt, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich eines die&#x017F;er Merkmaale<lb/>
nicht durch den ganzen Begriff definiren, weil der&#x017F;elbe<lb/>
noch mehr andre Merkmaale entha&#x0364;lt, die folglich<lb/>
davon abgezogen werden mu&#x0364;ßten. Da wir aber an<lb/>
&#x017F;olche Subtractionen gar nicht gewo&#x0364;hnt &#x017F;ind, &#x017F;o wu&#x0364;rde<lb/>
eine &#x017F;olche Definition immer unnatu&#x0364;rlich &#x017F;cheinen, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">meh-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0458] IX. Hauptſtuͤck, endlich in dieſer fortgeſetzten Erklaͤrung auf einen Begriff M koͤmmt, den man wiederum durch A er- klaͤrt. Ein ſolcher Zirkel iſt demnach deſto laͤnger, je laͤnger die Reihe von Definitionen iſt, die uns endlich wiederum auf das erſte Definitum A zuruͤckfuͤhrt, und der unmittelbarſte oder kuͤrzeſte iſt, wenn ſchlecht- hin A durch B, und B hinwiederum durch A erklaͤrt wird. §. 682. Dieſes kann nun durch Verhaͤltnißbegriffe ge- ſchehen, aber ohne dieſelben laͤßt es ſich nicht thun, ohne daß in dem Zirkel offenbare Fehler ſeyn. Denn wenn ein Begriff vermittelſt eines Verhaͤltniſſes durch einen andern beſtimmt wird; ſo laͤßt ſich das Ver- haͤltniß mehrentheils umkehren, und ſo kann hinwie- derum der zweyte Begriff, durch den erſten beſtimmt werden. Z. E. Ein Tag iſt eine Zeit von 24 Stun- den. Dadurch iſt nun der Begriff eines Tages in ſo fern beſtimmt, als der Begriff einer Stunde beſtimmt iſt. Wollte man aber den Begriff einer Stunde dadurch erklaͤren, daß ſie der 24ſte Theil eines Tages ſey, ſo wuͤrde dieſe Erklaͤrung die erſtere im geringſten nicht deutlicher machen, noch naͤher beſtimmen, weil ſie nur umgekehrt eben das ſagt, was die erſtere. §. 683. Hingegen, wenn man bey der erſten Erklaͤrung nicht Verhaͤltniſſe, ſondern die innern Merkmaale gebraucht, und dieſe ferner durch ihre einfacheren Merk- maale beſtimmt, ſo laͤßt ſich eines dieſer Merkmaale nicht durch den ganzen Begriff definiren, weil derſelbe noch mehr andre Merkmaale enthaͤlt, die folglich davon abgezogen werden muͤßten. Da wir aber an ſolche Subtractionen gar nicht gewoͤhnt ſind, ſo wuͤrde eine ſolche Definition immer unnatuͤrlich ſcheinen, und meh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/458
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/458>, abgerufen am 19.04.2024.