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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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III. Hauptstück,
§. 156.

Da die Sprache nur eine gewisse Anzahl von
Wörtern hat, die lange nicht zur Bezeichnung aller
Begriffe und ihrer Modificationen zureicht, so kann
man auch nicht durchgehends fordern, daß jedes
Wort einen genau bestimmten Umfang in der Bedeu-
tung haben soll. Wir würden dadurch nothwendig
nicht mehrere Begriffe bezeichnen können, als Wör-
ter in der Sprache sind. Daher kömmt es, daß wir
nicht nur vieldeutige Wörter haben, sondern daß auch
die Bedeutung von sehr vielen Wörtern bald enger
bald weiter genommen wird, und daher mehrentheils
aus dem Zusammenhang einer ganzen Rede muß aus-
gemacht werden, in welchem Verstande der Autor
jedes Wort genommen, und welchen individualen
Umfang es in jeder individualen Rede habe, oder
haben könne. Auf diese Art läßt sich in den meisten
Fällen erkennen, wiefern Begriffe und Worte mit
einander und zugleich mit der Sache übereinkom-
men.

§. 157.

Hiezu kömmt noch, daß, wenn auch ein Wort ei-
ne bestimmte und eigene Bedeutung hat, man den-
noch das Wort nach und nach, und auf mehrer-
ley Arten zur Metapher macht, und zuweilen darü-
ber die ursprüngliche Bedeutung in Abgang kommen
läßt. Bey Begriffen, deren Umfang willkührlich
ist, vermischt sich die metaphorische Bedeutung mit
der eigentlichen, und damit kann es so weit gehen,
daß die Gränzen des Umfangs auf der einen Seite
eingezogen, auf der andern aber erweitert werden, bis
das Wort von der ersten Bedeutung wenig oder nichts
mehr behält, und daher den Liebhabern der Sprach-
kunde und Wortforschung die Beschäfftigung giebt, sie
aufzusuchen.

§. 158.
III. Hauptſtuͤck,
§. 156.

Da die Sprache nur eine gewiſſe Anzahl von
Woͤrtern hat, die lange nicht zur Bezeichnung aller
Begriffe und ihrer Modificationen zureicht, ſo kann
man auch nicht durchgehends fordern, daß jedes
Wort einen genau beſtimmten Umfang in der Bedeu-
tung haben ſoll. Wir wuͤrden dadurch nothwendig
nicht mehrere Begriffe bezeichnen koͤnnen, als Woͤr-
ter in der Sprache ſind. Daher koͤmmt es, daß wir
nicht nur vieldeutige Woͤrter haben, ſondern daß auch
die Bedeutung von ſehr vielen Woͤrtern bald enger
bald weiter genommen wird, und daher mehrentheils
aus dem Zuſammenhang einer ganzen Rede muß aus-
gemacht werden, in welchem Verſtande der Autor
jedes Wort genommen, und welchen individualen
Umfang es in jeder individualen Rede habe, oder
haben koͤnne. Auf dieſe Art laͤßt ſich in den meiſten
Faͤllen erkennen, wiefern Begriffe und Worte mit
einander und zugleich mit der Sache uͤbereinkom-
men.

§. 157.

Hiezu koͤmmt noch, daß, wenn auch ein Wort ei-
ne beſtimmte und eigene Bedeutung hat, man den-
noch das Wort nach und nach, und auf mehrer-
ley Arten zur Metapher macht, und zuweilen daruͤ-
ber die urſpruͤngliche Bedeutung in Abgang kommen
laͤßt. Bey Begriffen, deren Umfang willkuͤhrlich
iſt, vermiſcht ſich die metaphoriſche Bedeutung mit
der eigentlichen, und damit kann es ſo weit gehen,
daß die Graͤnzen des Umfangs auf der einen Seite
eingezogen, auf der andern aber erweitert werden, bis
das Wort von der erſten Bedeutung wenig oder nichts
mehr behaͤlt, und daher den Liebhabern der Sprach-
kunde und Wortforſchung die Beſchaͤfftigung giebt, ſie
aufzuſuchen.

§. 158.
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[536/0558] III. Hauptſtuͤck, §. 156. Da die Sprache nur eine gewiſſe Anzahl von Woͤrtern hat, die lange nicht zur Bezeichnung aller Begriffe und ihrer Modificationen zureicht, ſo kann man auch nicht durchgehends fordern, daß jedes Wort einen genau beſtimmten Umfang in der Bedeu- tung haben ſoll. Wir wuͤrden dadurch nothwendig nicht mehrere Begriffe bezeichnen koͤnnen, als Woͤr- ter in der Sprache ſind. Daher koͤmmt es, daß wir nicht nur vieldeutige Woͤrter haben, ſondern daß auch die Bedeutung von ſehr vielen Woͤrtern bald enger bald weiter genommen wird, und daher mehrentheils aus dem Zuſammenhang einer ganzen Rede muß aus- gemacht werden, in welchem Verſtande der Autor jedes Wort genommen, und welchen individualen Umfang es in jeder individualen Rede habe, oder haben koͤnne. Auf dieſe Art laͤßt ſich in den meiſten Faͤllen erkennen, wiefern Begriffe und Worte mit einander und zugleich mit der Sache uͤbereinkom- men. §. 157. Hiezu koͤmmt noch, daß, wenn auch ein Wort ei- ne beſtimmte und eigene Bedeutung hat, man den- noch das Wort nach und nach, und auf mehrer- ley Arten zur Metapher macht, und zuweilen daruͤ- ber die urſpruͤngliche Bedeutung in Abgang kommen laͤßt. Bey Begriffen, deren Umfang willkuͤhrlich iſt, vermiſcht ſich die metaphoriſche Bedeutung mit der eigentlichen, und damit kann es ſo weit gehen, daß die Graͤnzen des Umfangs auf der einen Seite eingezogen, auf der andern aber erweitert werden, bis das Wort von der erſten Bedeutung wenig oder nichts mehr behaͤlt, und daher den Liebhabern der Sprach- kunde und Wortforſchung die Beſchaͤfftigung giebt, ſie aufzuſuchen. §. 158.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/558>, abgerufen am 19.04.2024.