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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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des Wahren und Jrrigen.
um jede seine Merkmaale von ihm zu bejahen, seine
Verhältnisse mit den verwandten Begriffen, und die
Verhältnisse seiner Merkmaale unter sich zu bestimmen
etc. Auch hierinn können Euclids Elemente zum Bey-
spiele und Muster dienen.

§. 246.

Die Postulata im Reiche der Wahrheit enthal-
ten allgemeine und unbedingte Möglichkeiten.

Denn die Postulata geben Möglichkeiten an, die für sich
erkennbar sind. (§. 156. Dianoiol.) Man setze nun,
diese seyn nicht allgemein noch unbedingt, so haben sie
einen Grund ihrer Möglichkeit und deren Gränzen, oh-
ne welchen sie sich nicht als wahr und richtig erkennen
lassen. (§. 238. 237.) Demnach wären sie nicht für sich
erkennbar. Dieses aber stößt die Bedingung des Sa-
tzes um, folglich enthalten die Postulata im Reiche der
Wahrheit allgemeine und unbedingte Möglichkeiten.

§. 247.

Man sieht leicht, daß wir hier den Begriff eines
Postulati sehr genau bestimmt nehmen. Man wird
auch die meisten Postulata, die wir im zweyten Haupt-
stück angegeben haben, von dieser Art finden. Das einige,
wobey wir Gränzen setzen mußten, betrifft die Solidität,
(§. 94.) daß sich nämlich jeder Raum bis zur Conti-
nuität
ausgefüllt gedenken lasse. Wir haben aber in
dem §. 96. angemerkt, daß es noch dahin gestellt bleibe,
ob diese Einheit nicht noch veränderlich sey? Denn hät-
te die Continuität Gradus intensitatis, die von o bis
ins Unendliche gehen, so würde das Leere von dem Vol-
len nur wie der Anfang einer Linie von der Linie selbst
unterschieden seyn, und die Ausfüllung eines Raumes
würde in Ansehung der Dichtigkeit nicht nothwendig,
sondern nur, mit Beybehaltung gleich dichter Mate-
rie, Gränzen haben.

§. 248.
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des Wahren und Jrrigen.
um jede ſeine Merkmaale von ihm zu bejahen, ſeine
Verhaͤltniſſe mit den verwandten Begriffen, und die
Verhaͤltniſſe ſeiner Merkmaale unter ſich zu beſtimmen
ꝛc. Auch hierinn koͤnnen Euclids Elemente zum Bey-
ſpiele und Muſter dienen.

§. 246.

Die Poſtulata im Reiche der Wahrheit enthal-
ten allgemeine und unbedingte Moͤglichkeiten.

Denn die Poſtulata geben Moͤglichkeiten an, die fuͤr ſich
erkennbar ſind. (§. 156. Dianoiol.) Man ſetze nun,
dieſe ſeyn nicht allgemein noch unbedingt, ſo haben ſie
einen Grund ihrer Moͤglichkeit und deren Graͤnzen, oh-
ne welchen ſie ſich nicht als wahr und richtig erkennen
laſſen. (§. 238. 237.) Demnach waͤren ſie nicht fuͤr ſich
erkennbar. Dieſes aber ſtoͤßt die Bedingung des Sa-
tzes um, folglich enthalten die Poſtulata im Reiche der
Wahrheit allgemeine und unbedingte Moͤglichkeiten.

§. 247.

Man ſieht leicht, daß wir hier den Begriff eines
Poſtulati ſehr genau beſtimmt nehmen. Man wird
auch die meiſten Poſtulata, die wir im zweyten Haupt-
ſtuͤck angegeben haben, von dieſer Art finden. Das einige,
wobey wir Graͤnzen ſetzen mußten, betrifft die Soliditaͤt,
(§. 94.) daß ſich naͤmlich jeder Raum bis zur Conti-
nuitaͤt
ausgefuͤllt gedenken laſſe. Wir haben aber in
dem §. 96. angemerkt, daß es noch dahin geſtellt bleibe,
ob dieſe Einheit nicht noch veraͤnderlich ſey? Denn haͤt-
te die Continuitaͤt Gradus intenſitatis, die von o bis
ins Unendliche gehen, ſo wuͤrde das Leere von dem Vol-
len nur wie der Anfang einer Linie von der Linie ſelbſt
unterſchieden ſeyn, und die Ausfuͤllung eines Raumes
wuͤrde in Anſehung der Dichtigkeit nicht nothwendig,
ſondern nur, mit Beybehaltung gleich dichter Mate-
rie, Graͤnzen haben.

§. 248.
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[579/0601] des Wahren und Jrrigen. um jede ſeine Merkmaale von ihm zu bejahen, ſeine Verhaͤltniſſe mit den verwandten Begriffen, und die Verhaͤltniſſe ſeiner Merkmaale unter ſich zu beſtimmen ꝛc. Auch hierinn koͤnnen Euclids Elemente zum Bey- ſpiele und Muſter dienen. §. 246. Die Poſtulata im Reiche der Wahrheit enthal- ten allgemeine und unbedingte Moͤglichkeiten. Denn die Poſtulata geben Moͤglichkeiten an, die fuͤr ſich erkennbar ſind. (§. 156. Dianoiol.) Man ſetze nun, dieſe ſeyn nicht allgemein noch unbedingt, ſo haben ſie einen Grund ihrer Moͤglichkeit und deren Graͤnzen, oh- ne welchen ſie ſich nicht als wahr und richtig erkennen laſſen. (§. 238. 237.) Demnach waͤren ſie nicht fuͤr ſich erkennbar. Dieſes aber ſtoͤßt die Bedingung des Sa- tzes um, folglich enthalten die Poſtulata im Reiche der Wahrheit allgemeine und unbedingte Moͤglichkeiten. §. 247. Man ſieht leicht, daß wir hier den Begriff eines Poſtulati ſehr genau beſtimmt nehmen. Man wird auch die meiſten Poſtulata, die wir im zweyten Haupt- ſtuͤck angegeben haben, von dieſer Art finden. Das einige, wobey wir Graͤnzen ſetzen mußten, betrifft die Soliditaͤt, (§. 94.) daß ſich naͤmlich jeder Raum bis zur Conti- nuitaͤt ausgefuͤllt gedenken laſſe. Wir haben aber in dem §. 96. angemerkt, daß es noch dahin geſtellt bleibe, ob dieſe Einheit nicht noch veraͤnderlich ſey? Denn haͤt- te die Continuitaͤt Gradus intenſitatis, die von o bis ins Unendliche gehen, ſo wuͤrde das Leere von dem Vol- len nur wie der Anfang einer Linie von der Linie ſelbſt unterſchieden ſeyn, und die Ausfuͤllung eines Raumes wuͤrde in Anſehung der Dichtigkeit nicht nothwendig, ſondern nur, mit Beybehaltung gleich dichter Mate- rie, Graͤnzen haben. §. 248. O o 2

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/601>, abgerufen am 28.03.2024.