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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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des Wahren und Jrrigen.
complete Gedenkbarkeit, (§. 204.) das durchgängig
Gegründete (§. 234.) etc. geben uns an sich schon das
Reich der Wahrheiten als ein solches Ganzes zu er-
kennen, dessen Theile nicht nur genau und vielfach
verbunden sind, sondern gar keine Lücke zulassen.
(§. 205.) Wir werden es aber in dieser Absicht noch
ausführlicher betrachten.

§. 255.

Wenn eine Wahrheit geläugnet wird, so
werden nothwendig noch mehrere zugleich mit
derselben geläugnet.
Denn durch das Läugnen
macht man aus dem Satze: A ist B, den Satz: A
ist nicht B. Demnach setzt man für den wahren V
einen falschen F. Nun aber können aus einem fal-
schen Satze F immer andre Sätze D hergeleitet wer-
den, die irgend einem wahren Satze E widersprechen.
(§. 171 -- 173.) Da nun, wer einen wahren Satz
V läugnet, den falschen F als wahr annimmt, so
nimmt er auch die Sätze D, die daraus gefolgert
werden können, für wahr an. (§. 161.) Demnach
muß er auch diejenigen wahren Sätze E für falsch
ansehen, denen seine Schlußsätze D widersprechen, so
lange er bey dem angenommenen falschen Satze F bleibt.
Wird folglich eine Wahrheit geläugnet, so werden
nothwendig noch mehrere zugleich mit derselben ge-
läugnet.

§. 256.

Keine Wahrheit ist von den übrigen durch-
aus unabhängig.
Man setze, eine Wahrheit V
hänge von keiner andern Wahrheit ab, so wird die
Wahrheit V geläugnet werden können, ohne daß da-
durch zugleich andre Wahrheiten geläugnet werden
müßten. Dieses geht aber nicht an, (§. 255.) folg-
lich ist es falsch, daß die Wahrheit V von jeden an-
dern Wahrheiten unabhängig sey.

§. 257.
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des Wahren und Jrrigen.
complete Gedenkbarkeit, (§. 204.) das durchgaͤngig
Gegruͤndete (§. 234.) ꝛc. geben uns an ſich ſchon das
Reich der Wahrheiten als ein ſolches Ganzes zu er-
kennen, deſſen Theile nicht nur genau und vielfach
verbunden ſind, ſondern gar keine Luͤcke zulaſſen.
(§. 205.) Wir werden es aber in dieſer Abſicht noch
ausfuͤhrlicher betrachten.

§. 255.

Wenn eine Wahrheit gelaͤugnet wird, ſo
werden nothwendig noch mehrere zugleich mit
derſelben gelaͤugnet.
Denn durch das Laͤugnen
macht man aus dem Satze: A iſt B, den Satz: A
iſt nicht B. Demnach ſetzt man fuͤr den wahren V
einen falſchen F. Nun aber koͤnnen aus einem fal-
ſchen Satze F immer andre Saͤtze D hergeleitet wer-
den, die irgend einem wahren Satze E widerſprechen.
(§. 171 — 173.) Da nun, wer einen wahren Satz
V laͤugnet, den falſchen F als wahr annimmt, ſo
nimmt er auch die Saͤtze D, die daraus gefolgert
werden koͤnnen, fuͤr wahr an. (§. 161.) Demnach
muß er auch diejenigen wahren Saͤtze E fuͤr falſch
anſehen, denen ſeine Schlußſaͤtze D widerſprechen, ſo
lange er bey dem angenommenen falſchen Satze F bleibt.
Wird folglich eine Wahrheit gelaͤugnet, ſo werden
nothwendig noch mehrere zugleich mit derſelben ge-
laͤugnet.

§. 256.

Keine Wahrheit iſt von den uͤbrigen durch-
aus unabhaͤngig.
Man ſetze, eine Wahrheit V
haͤnge von keiner andern Wahrheit ab, ſo wird die
Wahrheit V gelaͤugnet werden koͤnnen, ohne daß da-
durch zugleich andre Wahrheiten gelaͤugnet werden
muͤßten. Dieſes geht aber nicht an, (§. 255.) folg-
lich iſt es falſch, daß die Wahrheit V von jeden an-
dern Wahrheiten unabhaͤngig ſey.

§. 257.
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[583/0605] des Wahren und Jrrigen. complete Gedenkbarkeit, (§. 204.) das durchgaͤngig Gegruͤndete (§. 234.) ꝛc. geben uns an ſich ſchon das Reich der Wahrheiten als ein ſolches Ganzes zu er- kennen, deſſen Theile nicht nur genau und vielfach verbunden ſind, ſondern gar keine Luͤcke zulaſſen. (§. 205.) Wir werden es aber in dieſer Abſicht noch ausfuͤhrlicher betrachten. §. 255. Wenn eine Wahrheit gelaͤugnet wird, ſo werden nothwendig noch mehrere zugleich mit derſelben gelaͤugnet. Denn durch das Laͤugnen macht man aus dem Satze: A iſt B, den Satz: A iſt nicht B. Demnach ſetzt man fuͤr den wahren V einen falſchen F. Nun aber koͤnnen aus einem fal- ſchen Satze F immer andre Saͤtze D hergeleitet wer- den, die irgend einem wahren Satze E widerſprechen. (§. 171 — 173.) Da nun, wer einen wahren Satz V laͤugnet, den falſchen F als wahr annimmt, ſo nimmt er auch die Saͤtze D, die daraus gefolgert werden koͤnnen, fuͤr wahr an. (§. 161.) Demnach muß er auch diejenigen wahren Saͤtze E fuͤr falſch anſehen, denen ſeine Schlußſaͤtze D widerſprechen, ſo lange er bey dem angenommenen falſchen Satze F bleibt. Wird folglich eine Wahrheit gelaͤugnet, ſo werden nothwendig noch mehrere zugleich mit derſelben ge- laͤugnet. §. 256. Keine Wahrheit iſt von den uͤbrigen durch- aus unabhaͤngig. Man ſetze, eine Wahrheit V haͤnge von keiner andern Wahrheit ab, ſo wird die Wahrheit V gelaͤugnet werden koͤnnen, ohne daß da- durch zugleich andre Wahrheiten gelaͤugnet werden muͤßten. Dieſes geht aber nicht an, (§. 255.) folg- lich iſt es falſch, daß die Wahrheit V von jeden an- dern Wahrheiten unabhaͤngig ſey. §. 257. O o 4

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/605>, abgerufen am 19.04.2024.