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Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554.

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man etwas, was gegen die Natur ist. Der einzelne, ethisch
hochstehende Mann kann, von der Idee der Gerechtigkeit
ergriffen, für die Frau eintreten wollen -- in sie hineindenken
kann auch er sich nicht. Nur die Frau versteht alle Bedürfnisse
und Interessen ihres Geschlechtes ganz, und wenn auch
der Mann für die einzelne, geliebte Frau eintreten kann und
wird, so kann nur die Frau die Frau als Geschlecht schützen.
Und die einzige Form, in der das wirksam und auf die Dauer
geschehen kann, ist das Frauenstimmrecht (aus dem sich
konsequenter Weise auch das passive Wahlrecht ergibt), der
Einfluss auf die Gesetzgebung. "When the wrongs of an
oppressed class or sex are to be righted, the ballot is the only
guarantee" (Higginson, a. a. O.) und: "Uebrigens ist es
sicher, dass nur die garantirten Rechte effective Rechte sind,
dass die politischen Rechte die einzige Garantie der bürgerlichen
darstellen, dass die Freiheit eines Geschlechts, dem
seine Stellung fix und fertig von dem andern Geschlecht angewiesen
wird, nur eine scheinbare, sein Besitz nur ein Peculium,
sein wirkliches Geschick die Hörigkeit, und seine Rechtspersönlichkeit
ein Vernunftbegriff ohne wirkliches Dasein ist."
(Secretan, "das Recht der Frau." Lausanne und Leipzig, B.
Benda. S. 18.)

Erst durch das Frauenstimmrecht wird das allgemeine
Stimmrecht zu etwas mehr als einer blossen Redensart. Den
alten Sybel hat wol niemand im Verdacht, modernen Frauenbestrebungen
hold zu sein; aber er konnte sich dem konsequenten
Gedanken nicht verschliessen: "Wer das Suffrage
universel auf sein Programm schreibt, hat keinen vernünftigen
Grund, die Frauen auszuschliessen."


Wenn man sich der formalen Logik dieser Forderung nicht
mehr verschliessen kann, pflegt man mit dem Heer von Binsengründen
anzurücken, die, tausendmal widerlegt, immer wieder
aus dem Antiquitätenkasten hervorgekramt werden. In erster
Linie kommt dann, häufig von nicht waffenfähigen Skribenten,
der Einwurf, dass Kriegsdienst und Stimmrecht einander
bedingen; als ob nicht, wie schon hundertmal gezeigt worden
ist, die Frau dadurch, dass sie die Krieger zur Welt bringt, den

man etwas, was gegen die Natur ist. Der einzelne, ethisch
hochstehende Mann kann, von der Idee der Gerechtigkeit
ergriffen, für die Frau eintreten wollen — in sie hineindenken
kann auch er sich nicht. Nur die Frau versteht alle Bedürfnisse
und Interessen ihres Geschlechtes ganz, und wenn auch
der Mann für die einzelne, geliebte Frau eintreten kann und
wird, so kann nur die Frau die Frau als Geschlecht schützen.
Und die einzige Form, in der das wirksam und auf die Dauer
geschehen kann, ist das Frauenstimmrecht (aus dem sich
konsequenter Weise auch das passive Wahlrecht ergibt), der
Einfluss auf die Gesetzgebung. „When the wrongs of an
oppressed class or sex are to be righted, the ballot is the only
guarantee“ (Higginson, a. a. O.) und: „Uebrigens ist es
sicher, dass nur die garantirten Rechte effective Rechte sind,
dass die politischen Rechte die einzige Garantie der bürgerlichen
darstellen, dass die Freiheit eines Geschlechts, dem
seine Stellung fix und fertig von dem andern Geschlecht angewiesen
wird, nur eine scheinbare, sein Besitz nur ein Peculium,
sein wirkliches Geschick die Hörigkeit, und seine Rechtspersönlichkeit
ein Vernunftbegriff ohne wirkliches Dasein ist.“
(Secrétan, „das Recht der Frau.“ Lausanne und Leipzig, B.
Benda. S. 18.)

Erst durch das Frauenstimmrecht wird das allgemeine
Stimmrecht zu etwas mehr als einer blossen Redensart. Den
alten Sybel hat wol niemand im Verdacht, modernen Frauenbestrebungen
hold zu sein; aber er konnte sich dem konsequenten
Gedanken nicht verschliessen: „Wer das Suffrage
universel auf sein Programm schreibt, hat keinen vernünftigen
Grund, die Frauen auszuschliessen.“


Wenn man sich der formalen Logik dieser Forderung nicht
mehr verschliessen kann, pflegt man mit dem Heer von Binsengründen
anzurücken, die, tausendmal widerlegt, immer wieder
aus dem Antiquitätenkasten hervorgekramt werden. In erster
Linie kommt dann, häufig von nicht waffenfähigen Skribenten,
der Einwurf, dass Kriegsdienst und Stimmrecht einander
bedingen; als ob nicht, wie schon hundertmal gezeigt worden
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[543/0006] man etwas, was gegen die Natur ist. Der einzelne, ethisch hochstehende Mann kann, von der Idee der Gerechtigkeit ergriffen, für die Frau eintreten wollen — in sie hineindenken kann auch er sich nicht. Nur die Frau versteht alle Bedürfnisse und Interessen ihres Geschlechtes ganz, und wenn auch der Mann für die einzelne, geliebte Frau eintreten kann und wird, so kann nur die Frau die Frau als Geschlecht schützen. Und die einzige Form, in der das wirksam und auf die Dauer geschehen kann, ist das Frauenstimmrecht (aus dem sich konsequenter Weise auch das passive Wahlrecht ergibt), der Einfluss auf die Gesetzgebung. „When the wrongs of an oppressed class or sex are to be righted, the ballot is the only guarantee“ (Higginson, a. a. O.) und: „Uebrigens ist es sicher, dass nur die garantirten Rechte effective Rechte sind, dass die politischen Rechte die einzige Garantie der bürgerlichen darstellen, dass die Freiheit eines Geschlechts, dem seine Stellung fix und fertig von dem andern Geschlecht angewiesen wird, nur eine scheinbare, sein Besitz nur ein Peculium, sein wirkliches Geschick die Hörigkeit, und seine Rechtspersönlichkeit ein Vernunftbegriff ohne wirkliches Dasein ist.“ (Secrétan, „das Recht der Frau.“ Lausanne und Leipzig, B. Benda. S. 18.) Erst durch das Frauenstimmrecht wird das allgemeine Stimmrecht zu etwas mehr als einer blossen Redensart. Den alten Sybel hat wol niemand im Verdacht, modernen Frauenbestrebungen hold zu sein; aber er konnte sich dem konsequenten Gedanken nicht verschliessen: „Wer das Suffrage universel auf sein Programm schreibt, hat keinen vernünftigen Grund, die Frauen auszuschliessen.“ Wenn man sich der formalen Logik dieser Forderung nicht mehr verschliessen kann, pflegt man mit dem Heer von Binsengründen anzurücken, die, tausendmal widerlegt, immer wieder aus dem Antiquitätenkasten hervorgekramt werden. In erster Linie kommt dann, häufig von nicht waffenfähigen Skribenten, der Einwurf, dass Kriegsdienst und Stimmrecht einander bedingen; als ob nicht, wie schon hundertmal gezeigt worden ist, die Frau dadurch, dass sie die Krieger zur Welt bringt, den

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554, hier S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauenwahlrecht_1896/6>, abgerufen am 23.04.2024.