Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

rem Herzen ist. Der doppelte Eigensinn,
den meine Leidenschaft angenommen, hin-
dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin
nur bemüht sie zu beobachten, und eine
untadelhafte Aufführung zu haben. Sie
hingegen meidet mich und das Fräulein
C*. Jch höre sie nicht mehr reden; aber
die Erzählungen des Derby, dem sie Ach-
tung erweiset, sind mir beständige Bewei-
se des Adels ihrer Seele. Jch glaube,
daß sie die erste tugendhafte Bewegung in
sein Herz gebracht hat. Denn vor eini-
gen Tagen sagt' er mir; er hätte das
Fräulein in eine Gesellschaft führen sol-
len, und wie er in ihr Zimmer gegangen
sie abzuholen, habe er ihre Cammerjung-
fer vor ihr knieen gesehen; das Fräulein
selbst halb angezogen, ihre schönen Haare
auf Brust und Nacken zerstreut, ihre Ar-
me um das knieende Mädchen geschlungen,
deren Kopf sie an sich gedrückt, während
sie ihr mit beweglicher Stimme von dem
Werth des Todes der Gerechten und der
Belohnung der Tugend gesprochen. Thrä-
nen wären aus ihren Augen gerollt, die

sie

rem Herzen iſt. Der doppelte Eigenſinn,
den meine Leidenſchaft angenommen, hin-
dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin
nur bemuͤht ſie zu beobachten, und eine
untadelhafte Auffuͤhrung zu haben. Sie
hingegen meidet mich und das Fraͤulein
C*. Jch hoͤre ſie nicht mehr reden; aber
die Erzaͤhlungen des Derby, dem ſie Ach-
tung erweiſet, ſind mir beſtaͤndige Bewei-
ſe des Adels ihrer Seele. Jch glaube,
daß ſie die erſte tugendhafte Bewegung in
ſein Herz gebracht hat. Denn vor eini-
gen Tagen ſagt’ er mir; er haͤtte das
Fraͤulein in eine Geſellſchaft fuͤhren ſol-
len, und wie er in ihr Zimmer gegangen
ſie abzuholen, habe er ihre Cammerjung-
fer vor ihr knieen geſehen; das Fraͤulein
ſelbſt halb angezogen, ihre ſchoͤnen Haare
auf Bruſt und Nacken zerſtreut, ihre Ar-
me um das knieende Maͤdchen geſchlungen,
deren Kopf ſie an ſich gedruͤckt, waͤhrend
ſie ihr mit beweglicher Stimme von dem
Werth des Todes der Gerechten und der
Belohnung der Tugend geſprochen. Thraͤ-
nen waͤren aus ihren Augen gerollt, die

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0199" n="173"/>
rem Herzen i&#x017F;t. Der doppelte Eigen&#x017F;inn,<lb/>
den meine Leiden&#x017F;chaft angenommen, hin-<lb/>
dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin<lb/>
nur bemu&#x0364;ht &#x017F;ie zu beobachten, und eine<lb/>
untadelhafte Auffu&#x0364;hrung zu haben. Sie<lb/>
hingegen meidet mich und das Fra&#x0364;ulein<lb/>
C*. Jch ho&#x0364;re &#x017F;ie nicht mehr reden; aber<lb/>
die Erza&#x0364;hlungen des Derby, dem &#x017F;ie Ach-<lb/>
tung erwei&#x017F;et, &#x017F;ind mir be&#x017F;ta&#x0364;ndige Bewei-<lb/>
&#x017F;e des Adels ihrer Seele. Jch glaube,<lb/>
daß &#x017F;ie die er&#x017F;te tugendhafte Bewegung in<lb/>
&#x017F;ein Herz gebracht hat. Denn vor eini-<lb/>
gen Tagen &#x017F;agt&#x2019; er mir; er ha&#x0364;tte das<lb/>
Fra&#x0364;ulein in eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft fu&#x0364;hren &#x017F;ol-<lb/>
len, und wie er in ihr Zimmer gegangen<lb/>
&#x017F;ie abzuholen, habe er ihre Cammerjung-<lb/>
fer vor ihr knieen ge&#x017F;ehen; das Fra&#x0364;ulein<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t halb angezogen, ihre &#x017F;cho&#x0364;nen Haare<lb/>
auf Bru&#x017F;t und Nacken zer&#x017F;treut, ihre Ar-<lb/>
me um das knieende Ma&#x0364;dchen ge&#x017F;chlungen,<lb/>
deren Kopf &#x017F;ie an &#x017F;ich gedru&#x0364;ckt, wa&#x0364;hrend<lb/>
&#x017F;ie ihr mit beweglicher Stimme von dem<lb/>
Werth des Todes der Gerechten und der<lb/>
Belohnung der Tugend ge&#x017F;prochen. Thra&#x0364;-<lb/>
nen wa&#x0364;ren aus ihren Augen gerollt, die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0199] rem Herzen iſt. Der doppelte Eigenſinn, den meine Leidenſchaft angenommen, hin- dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin nur bemuͤht ſie zu beobachten, und eine untadelhafte Auffuͤhrung zu haben. Sie hingegen meidet mich und das Fraͤulein C*. Jch hoͤre ſie nicht mehr reden; aber die Erzaͤhlungen des Derby, dem ſie Ach- tung erweiſet, ſind mir beſtaͤndige Bewei- ſe des Adels ihrer Seele. Jch glaube, daß ſie die erſte tugendhafte Bewegung in ſein Herz gebracht hat. Denn vor eini- gen Tagen ſagt’ er mir; er haͤtte das Fraͤulein in eine Geſellſchaft fuͤhren ſol- len, und wie er in ihr Zimmer gegangen ſie abzuholen, habe er ihre Cammerjung- fer vor ihr knieen geſehen; das Fraͤulein ſelbſt halb angezogen, ihre ſchoͤnen Haare auf Bruſt und Nacken zerſtreut, ihre Ar- me um das knieende Maͤdchen geſchlungen, deren Kopf ſie an ſich gedruͤckt, waͤhrend ſie ihr mit beweglicher Stimme von dem Werth des Todes der Gerechten und der Belohnung der Tugend geſprochen. Thraͤ- nen waͤren aus ihren Augen gerollt, die ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/199
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/199>, abgerufen am 25.04.2024.