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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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ihrer Sinnen quillt: So kann auch ihre
Ergebung an einen Liebhaber, allein aus
der Vorstellung des Vergnügens der Lie-
be kommen; denn wenn die Sinnen nicht so
viel bey frommen Leuten gälten, woher
kämen wohl die sinnlichen Beschreibun-
gen ihrer himmlischen Freuden, und wo-
her die entzückte Miene, mit welcher sie
Leckerbissen verkäuen?

Aber meine Moralistin ist ganz anders
gestimmt; sie setzt ihre Tugend und ihre
Glückseligkeit in lauter Handlungen zum
Besten des Nebenmenschen. Pracht, Ge-
mächlichkeit, delicate Speisen, Ehrenbe-
zeugungen, Lustbarkeiten, -- nichts kann
bey ihr dem Vergnügen Gutes zu thun,
die Waagschale halten, und aus diesem
Beweggrunde wird sie einst die Wünsche
ihrers Verehrers krönen, und das nehm-
liche Nachdenken, das sie hat, alles Uebel
der Gegenstände ihrer Wohlthätigkeit zu
erleichtern und neues Glück für sie zu
schaffen, dieses Nachdenken wird sie auch
zur Vergrößerung meines Vergnügens
verwenden, und ich halte für unmöglich,

daß

ihrer Sinnen quillt: So kann auch ihre
Ergebung an einen Liebhaber, allein aus
der Vorſtellung des Vergnuͤgens der Lie-
be kommen; denn wenn die Sinnen nicht ſo
viel bey frommen Leuten gaͤlten, woher
kaͤmen wohl die ſinnlichen Beſchreibun-
gen ihrer himmliſchen Freuden, und wo-
her die entzuͤckte Miene, mit welcher ſie
Leckerbiſſen verkaͤuen?

Aber meine Moraliſtin iſt ganz anders
geſtimmt; ſie ſetzt ihre Tugend und ihre
Gluͤckſeligkeit in lauter Handlungen zum
Beſten des Nebenmenſchen. Pracht, Ge-
maͤchlichkeit, delicate Speiſen, Ehrenbe-
zeugungen, Luſtbarkeiten, — nichts kann
bey ihr dem Vergnuͤgen Gutes zu thun,
die Waagſchale halten, und aus dieſem
Beweggrunde wird ſie einſt die Wuͤnſche
ihrers Verehrers kroͤnen, und das nehm-
liche Nachdenken, das ſie hat, alles Uebel
der Gegenſtaͤnde ihrer Wohlthaͤtigkeit zu
erleichtern und neues Gluͤck fuͤr ſie zu
ſchaffen, dieſes Nachdenken wird ſie auch
zur Vergroͤßerung meines Vergnuͤgens
verwenden, und ich halte fuͤr unmoͤglich,

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[318/0344] ihrer Sinnen quillt: So kann auch ihre Ergebung an einen Liebhaber, allein aus der Vorſtellung des Vergnuͤgens der Lie- be kommen; denn wenn die Sinnen nicht ſo viel bey frommen Leuten gaͤlten, woher kaͤmen wohl die ſinnlichen Beſchreibun- gen ihrer himmliſchen Freuden, und wo- her die entzuͤckte Miene, mit welcher ſie Leckerbiſſen verkaͤuen? Aber meine Moraliſtin iſt ganz anders geſtimmt; ſie ſetzt ihre Tugend und ihre Gluͤckſeligkeit in lauter Handlungen zum Beſten des Nebenmenſchen. Pracht, Ge- maͤchlichkeit, delicate Speiſen, Ehrenbe- zeugungen, Luſtbarkeiten, — nichts kann bey ihr dem Vergnuͤgen Gutes zu thun, die Waagſchale halten, und aus dieſem Beweggrunde wird ſie einſt die Wuͤnſche ihrers Verehrers kroͤnen, und das nehm- liche Nachdenken, das ſie hat, alles Uebel der Gegenſtaͤnde ihrer Wohlthaͤtigkeit zu erleichtern und neues Gluͤck fuͤr ſie zu ſchaffen, dieſes Nachdenken wird ſie auch zur Vergroͤßerung meines Vergnuͤgens verwenden, und ich halte fuͤr unmoͤglich, daß

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/344>, abgerufen am 23.04.2024.