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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Mein Haus und die Glücksumstände mei-
ner Sophie sind bestellt; diß war das
letzte und geringste, was mir für sie zu
thun übrig geblieben ist. Jhre gute und
gesegnete Erziehung, als die erste und
wichtigste Pflicht eines treuen Vaters,
habe ich nach dem Zeugniß meines Her-
zens niemals verabsäumt. Jhre mit der
Liebe zur Tugend gebohrne Seele läßt mich
auch nicht befürchten, daß Sie, in mei-
ne Stelle eintretender väterlicher Freund,
den Sorgen und Verdrüßlichkeiten ausge-
setzt seyn werden, welche gemeindenkende
Mädchen in ihren Familien machen. Be-
sonders wird die Liebe, bey aller der Zärt-
lichkeit, die sie von ihrer würdigen Mut-
ter geerbt hat, wenig Gewalt über sie er-
halten; es müßte denn seyn, daß das
Schicksal einen nach ihrer Phantasie tu-
gendhaften Mann
*) in die Gegend ihres

Aufent-
*) Der Verfolg und der ganze Zusammenhang
dieser Geschichte giebt die Auslegung über
diesen Ausdruck. Er soll ohne Zweisel nichts
anders sagen, als einen Mann, der dem be-
sondern Jdeal von Tugend und moralischer
Voll-

Mein Haus und die Gluͤcksumſtaͤnde mei-
ner Sophie ſind beſtellt; diß war das
letzte und geringſte, was mir fuͤr ſie zu
thun uͤbrig geblieben iſt. Jhre gute und
geſegnete Erziehung, als die erſte und
wichtigſte Pflicht eines treuen Vaters,
habe ich nach dem Zeugniß meines Her-
zens niemals verabſaͤumt. Jhre mit der
Liebe zur Tugend gebohrne Seele laͤßt mich
auch nicht befuͤrchten, daß Sie, in mei-
ne Stelle eintretender vaͤterlicher Freund,
den Sorgen und Verdruͤßlichkeiten ausge-
ſetzt ſeyn werden, welche gemeindenkende
Maͤdchen in ihren Familien machen. Be-
ſonders wird die Liebe, bey aller der Zaͤrt-
lichkeit, die ſie von ihrer wuͤrdigen Mut-
ter geerbt hat, wenig Gewalt uͤber ſie er-
halten; es muͤßte denn ſeyn, daß das
Schickſal einen nach ihrer Phantaſie tu-
gendhaften Mann
*) in die Gegend ihres

Aufent-
*) Der Verfolg und der ganze Zuſammenhang
dieſer Geſchichte giebt die Auslegung uͤber
dieſen Ausdruck. Er ſoll ohne Zweiſel nichts
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[70/0096] Mein Haus und die Gluͤcksumſtaͤnde mei- ner Sophie ſind beſtellt; diß war das letzte und geringſte, was mir fuͤr ſie zu thun uͤbrig geblieben iſt. Jhre gute und geſegnete Erziehung, als die erſte und wichtigſte Pflicht eines treuen Vaters, habe ich nach dem Zeugniß meines Her- zens niemals verabſaͤumt. Jhre mit der Liebe zur Tugend gebohrne Seele laͤßt mich auch nicht befuͤrchten, daß Sie, in mei- ne Stelle eintretender vaͤterlicher Freund, den Sorgen und Verdruͤßlichkeiten ausge- ſetzt ſeyn werden, welche gemeindenkende Maͤdchen in ihren Familien machen. Be- ſonders wird die Liebe, bey aller der Zaͤrt- lichkeit, die ſie von ihrer wuͤrdigen Mut- ter geerbt hat, wenig Gewalt uͤber ſie er- halten; es muͤßte denn ſeyn, daß das Schickſal einen nach ihrer Phantaſie tu- gendhaften Mann *) in die Gegend ihres Aufent- *) Der Verfolg und der ganze Zuſammenhang dieſer Geſchichte giebt die Auslegung uͤber dieſen Ausdruck. Er ſoll ohne Zweiſel nichts anders ſagen, als einen Mann, der dem be- ſondern Jdeal von Tugend und moraliſcher Voll-

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/96>, abgerufen am 10.04.2024.