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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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durch die Hände der Liebe zerrissenen Her-
zens noch ein Abdruck der wohlthätigen
Gestalt geblieben wäre, worunter ich mir
einst in den heitern Tagen meiner lächeln-
den Jugend, ihr Bild vormahlte? Oder
konnte wohl der lange Gram meine junge
Vernunft zu dem Grade der Reife ge-
bracht haben, welcher nöthig ist: mich
über die Umstände einer andern Person,
ohne alle Einmischung meiner eignen Em-
pfindungen nachdenken und urtheilen zu
lassen? Sie sehen, daß ich über mich
zweifelhaft bin; helfen Sie mir zu
Rechte.

Hier ist mein Gespräch mit der Witwe.

"Vier rechtschaffene Männer bewerben
"sich um ihre Gunst, woher kömmt es,
"theureste Frau von C. -- daß Sie so
"lange wählen?"

"Jch wähle nicht; ich will meine Frey-
"heit genießen, die ich durch so viele
"Bitterkeit erkaufen mußte.

"Sie haben nicht Unrecht Jhre Frey-
"heit zu lieben, und auf alle Weise zu
"genießen, der edelste Gebrauch davon

"wäre,


durch die Haͤnde der Liebe zerriſſenen Her-
zens noch ein Abdruck der wohlthaͤtigen
Geſtalt geblieben waͤre, worunter ich mir
einſt in den heitern Tagen meiner laͤcheln-
den Jugend, ihr Bild vormahlte? Oder
konnte wohl der lange Gram meine junge
Vernunft zu dem Grade der Reife ge-
bracht haben, welcher noͤthig iſt: mich
uͤber die Umſtaͤnde einer andern Perſon,
ohne alle Einmiſchung meiner eignen Em-
pfindungen nachdenken und urtheilen zu
laſſen? Sie ſehen, daß ich uͤber mich
zweifelhaft bin; helfen Sie mir zu
Rechte.

Hier iſt mein Geſpraͤch mit der Witwe.

„Vier rechtſchaffene Maͤnner bewerben
„ſich um ihre Gunſt, woher koͤmmt es,
„theureſte Frau von C. — daß Sie ſo
„lange waͤhlen?“

„Jch waͤhle nicht; ich will meine Frey-
„heit genießen, die ich durch ſo viele
„Bitterkeit erkaufen mußte.

„Sie haben nicht Unrecht Jhre Frey-
„heit zu lieben, und auf alle Weiſe zu
„genießen, der edelſte Gebrauch davon

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[106/0112] durch die Haͤnde der Liebe zerriſſenen Her- zens noch ein Abdruck der wohlthaͤtigen Geſtalt geblieben waͤre, worunter ich mir einſt in den heitern Tagen meiner laͤcheln- den Jugend, ihr Bild vormahlte? Oder konnte wohl der lange Gram meine junge Vernunft zu dem Grade der Reife ge- bracht haben, welcher noͤthig iſt: mich uͤber die Umſtaͤnde einer andern Perſon, ohne alle Einmiſchung meiner eignen Em- pfindungen nachdenken und urtheilen zu laſſen? Sie ſehen, daß ich uͤber mich zweifelhaft bin; helfen Sie mir zu Rechte. Hier iſt mein Geſpraͤch mit der Witwe. „Vier rechtſchaffene Maͤnner bewerben „ſich um ihre Gunſt, woher koͤmmt es, „theureſte Frau von C. — daß Sie ſo „lange waͤhlen?“ „Jch waͤhle nicht; ich will meine Frey- „heit genießen, die ich durch ſo viele „Bitterkeit erkaufen mußte. „Sie haben nicht Unrecht Jhre Frey- „heit zu lieben, und auf alle Weiſe zu „genießen, der edelſte Gebrauch davon „waͤre,

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/112>, abgerufen am 16.04.2024.