Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem Tagebuche einer Ameise.
[Spaltenumbruch]
Wenn ich dein gedenke,
Wird die Welt mir fern,
Meine Seele schwebet
Über Raum und Stern.
[Spaltenumbruch]
Wenn ich dich erblicke,
Wird mir heiß zu Sinn,
Unruhvolles Treiben
Drängt nach dir mich hin.
Wenn ich leise rühre
Hand an deine Hand,
Ach, in sel'ger Enge
Haft' ich festgebannt.


Du siehst mich leben, siehst mich ruhig wandeln
Die ausgetretnen Gleise meiner Tage.
Ja, ich kann lächeln, kann verständig handeln
Und vorwärtsschreiten -- das ist keine Frage.
Doch dir ins Ohr muß ich es anvertrauen:
Jch bin's nicht mehr, nicht Jch, der sich gestaltet!
Ein Schatten ist's, ich fühl's mit tiefem Grauen,
Der seelenlos an meiner Stelle waltet.
Die Seele floh, und dich hat sie erkoren,
An deinen Augen hängt sie, deinem Munde!
Gieb sie zurück! Doch nein, sie sei verloren --
Gieb deine Seele mir, daß ich gesunde!


Jch weiß es nicht, wo die Geliebte weilt
Und was sie schafft mit den geweihten Händen,
Wer ihres Wandels holde Nähe teilt,
Wem ihre Augen, ach, mein Glück verschwenden!
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
[Spaltenumbruch]
Wenn ich dein gedenke,
Wird die Welt mir fern,
Meine Seele ſchwebet
Über Raum und Stern.
[Spaltenumbruch]
Wenn ich dich erblicke,
Wird mir heiß zu Sinn,
Unruhvolles Treiben
Drängt nach dir mich hin.
Wenn ich leiſe rühre
Hand an deine Hand,
Ach, in ſel’ger Enge
Haft’ ich feſtgebannt.


Du ſiehſt mich leben, ſiehſt mich ruhig wandeln
Die ausgetretnen Gleiſe meiner Tage.
Ja, ich kann lächeln, kann verſtändig handeln
Und vorwärtsſchreiten — das iſt keine Frage.
Doch dir ins Ohr muß ich es anvertrauen:
Jch bin’s nicht mehr, nicht Jch, der ſich geſtaltet!
Ein Schatten iſt’s, ich fühl’s mit tiefem Grauen,
Der ſeelenlos an meiner Stelle waltet.
Die Seele floh, und dich hat ſie erkoren,
An deinen Augen hängt ſie, deinem Munde!
Gieb ſie zurück! Doch nein, ſie ſei verloren —
Gieb deine Seele mir, daß ich geſunde!


Jch weiß es nicht, wo die Geliebte weilt
Und was ſie ſchafft mit den geweihten Händen,
Wer ihres Wandels holde Nähe teilt,
Wem ihre Augen, ach, mein Glück verſchwenden!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0108" n="102"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Amei&#x017F;e.</hi> </fw><lb/>
            <lg type="poem">
              <cb/>
              <lg n="1">
                <l>Wenn ich dein gedenke,</l><lb/>
                <l>Wird die Welt mir fern,</l><lb/>
                <l>Meine Seele &#x017F;chwebet</l><lb/>
                <l>Über Raum und Stern.</l>
              </lg><lb/>
              <cb/>
              <lg n="2">
                <l>Wenn ich dich erblicke,</l><lb/>
                <l>Wird mir heiß zu Sinn,</l><lb/>
                <l>Unruhvolles Treiben</l><lb/>
                <l>Drängt nach dir mich hin.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Wenn ich lei&#x017F;e rühre</l><lb/>
                <l>Hand an deine Hand,</l><lb/>
                <l>Ach, in &#x017F;el&#x2019;ger Enge</l><lb/>
                <l>Haft&#x2019; ich fe&#x017F;tgebannt.</l>
              </lg>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Du &#x017F;ieh&#x017F;t mich leben, &#x017F;ieh&#x017F;t mich ruhig wandeln</l><lb/>
                <l>Die ausgetretnen Glei&#x017F;e meiner Tage.</l><lb/>
                <l>Ja, ich kann lächeln, kann ver&#x017F;tändig handeln</l><lb/>
                <l>Und vorwärts&#x017F;chreiten &#x2014; das i&#x017F;t keine Frage.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Doch dir ins Ohr muß ich es anvertrauen:</l><lb/>
                <l>Jch bin&#x2019;s nicht mehr, nicht Jch, der &#x017F;ich ge&#x017F;taltet!</l><lb/>
                <l>Ein Schatten i&#x017F;t&#x2019;s, ich fühl&#x2019;s mit tiefem Grauen,</l><lb/>
                <l>Der &#x017F;eelenlos an meiner Stelle waltet.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Die Seele floh, und dich hat &#x017F;ie erkoren,</l><lb/>
                <l>An deinen Augen hängt &#x017F;ie, deinem Munde!</l><lb/>
                <l>Gieb &#x017F;ie zurück! Doch nein, &#x017F;ie &#x017F;ei verloren &#x2014;</l><lb/>
                <l>Gieb <hi rendition="#g">deine</hi> Seele mir, daß ich ge&#x017F;unde!</l>
              </lg>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Jch weiß es nicht, wo die Geliebte weilt</l><lb/>
                <l>Und was &#x017F;ie &#x017F;chafft mit den geweihten Händen,</l><lb/>
                <l>Wer ihres Wandels holde Nähe teilt,</l><lb/>
                <l>Wem ihre Augen, ach, mein Glück ver&#x017F;chwenden!</l>
              </lg><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0108] Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. Wenn ich dein gedenke, Wird die Welt mir fern, Meine Seele ſchwebet Über Raum und Stern. Wenn ich dich erblicke, Wird mir heiß zu Sinn, Unruhvolles Treiben Drängt nach dir mich hin. Wenn ich leiſe rühre Hand an deine Hand, Ach, in ſel’ger Enge Haft’ ich feſtgebannt. Du ſiehſt mich leben, ſiehſt mich ruhig wandeln Die ausgetretnen Gleiſe meiner Tage. Ja, ich kann lächeln, kann verſtändig handeln Und vorwärtsſchreiten — das iſt keine Frage. Doch dir ins Ohr muß ich es anvertrauen: Jch bin’s nicht mehr, nicht Jch, der ſich geſtaltet! Ein Schatten iſt’s, ich fühl’s mit tiefem Grauen, Der ſeelenlos an meiner Stelle waltet. Die Seele floh, und dich hat ſie erkoren, An deinen Augen hängt ſie, deinem Munde! Gieb ſie zurück! Doch nein, ſie ſei verloren — Gieb deine Seele mir, daß ich geſunde! Jch weiß es nicht, wo die Geliebte weilt Und was ſie ſchafft mit den geweihten Händen, Wer ihres Wandels holde Nähe teilt, Wem ihre Augen, ach, mein Glück verſchwenden!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/108
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/108>, abgerufen am 29.03.2024.