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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

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Psychotomie.
in seinem Leibe auseinandergegangen, und nun lag es
nach allen Dimensionen gekrümmt regungslos zu den
Füßen seines Herrn. Schulze hob es bedauernd auf,
da sagte eine Stimme:

"Laß' mal liegen, Schulze, er ist nur scheintot." Und
so war es. Als richtiger Philosophenhund mußte er die
Metageometrie bald als unverdaulich wieder von sich geben.

Der Redende war Schulzes bester Freund, der Dr.
Müller, ein normal entwickelter Mediziner, der es sich
auf dem Sopha bequem gemacht hatte.

"Du siehst übrigens jammervoll aus, Mensch," fuhr
er fort, "es thut mir leid, daß ich Dir nicht einen
Löffel Kaviar übrig gelassen habe. Aber er war aus-
gezeichnet. Wer hat Dir den gestiftet?"

"Um Himmelswillen, Müller, Du hast diese Büchse
hier geleert?"

"Mit dem besten Appetit; Du nimmst es doch nicht
übel? Jch habe auch diese Likörproben dazu getrunken,
etwas kräftig, aber delikat."

"Unseliger Mensch, das waren ja meine Gefühle,
das waren meine Jdeale! Du hast sämtliche Gefühle
und Jdeale der Menschheit verschlungen, Kannibale, was
soll nun aus Dir werden?"

"Gefühle im Kaviar und Jdeale im Schnaps? Jhr
Philosophen seid praktischer, als man meinen sollte.
Nun, Du siehst, es hat mir nichts geschadet. Ein richtiger
Mediziner wird von solchen Kleinigkeiten nicht ange-
griffen. Hier hast Du übrigens Dein Feuerzeug wieder,
es lag auf der Treppe. Ei, laß' doch sehen, da ist ja

Pſychotomie.
in ſeinem Leibe auseinandergegangen, und nun lag es
nach allen Dimenſionen gekrümmt regungslos zu den
Füßen ſeines Herrn. Schulze hob es bedauernd auf,
da ſagte eine Stimme:

„Laß’ mal liegen, Schulze, er iſt nur ſcheintot.“ Und
ſo war es. Als richtiger Philoſophenhund mußte er die
Metageometrie bald als unverdaulich wieder von ſich geben.

Der Redende war Schulzes beſter Freund, der Dr.
Müller, ein normal entwickelter Mediziner, der es ſich
auf dem Sopha bequem gemacht hatte.

„Du ſiehſt übrigens jammervoll aus, Menſch,“ fuhr
er fort, „es thut mir leid, daß ich Dir nicht einen
Löffel Kaviar übrig gelaſſen habe. Aber er war aus-
gezeichnet. Wer hat Dir den geſtiftet?“

„Um Himmelswillen, Müller, Du haſt dieſe Büchſe
hier geleert?“

„Mit dem beſten Appetit; Du nimmſt es doch nicht
übel? Jch habe auch dieſe Likörproben dazu getrunken,
etwas kräftig, aber delikat.“

„Unſeliger Menſch, das waren ja meine Gefühle,
das waren meine Jdeale! Du haſt ſämtliche Gefühle
und Jdeale der Menſchheit verſchlungen, Kannibale, was
ſoll nun aus Dir werden?“

„Gefühle im Kaviar und Jdeale im Schnaps? Jhr
Philoſophen ſeid praktiſcher, als man meinen ſollte.
Nun, Du ſiehſt, es hat mir nichts geſchadet. Ein richtiger
Mediziner wird von ſolchen Kleinigkeiten nicht ange-
griffen. Hier haſt Du übrigens Dein Feuerzeug wieder,
es lag auf der Treppe. Ei, laß’ doch ſehen, da iſt ja

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[176/0182] Pſychotomie. in ſeinem Leibe auseinandergegangen, und nun lag es nach allen Dimenſionen gekrümmt regungslos zu den Füßen ſeines Herrn. Schulze hob es bedauernd auf, da ſagte eine Stimme: „Laß’ mal liegen, Schulze, er iſt nur ſcheintot.“ Und ſo war es. Als richtiger Philoſophenhund mußte er die Metageometrie bald als unverdaulich wieder von ſich geben. Der Redende war Schulzes beſter Freund, der Dr. Müller, ein normal entwickelter Mediziner, der es ſich auf dem Sopha bequem gemacht hatte. „Du ſiehſt übrigens jammervoll aus, Menſch,“ fuhr er fort, „es thut mir leid, daß ich Dir nicht einen Löffel Kaviar übrig gelaſſen habe. Aber er war aus- gezeichnet. Wer hat Dir den geſtiftet?“ „Um Himmelswillen, Müller, Du haſt dieſe Büchſe hier geleert?“ „Mit dem beſten Appetit; Du nimmſt es doch nicht übel? Jch habe auch dieſe Likörproben dazu getrunken, etwas kräftig, aber delikat.“ „Unſeliger Menſch, das waren ja meine Gefühle, das waren meine Jdeale! Du haſt ſämtliche Gefühle und Jdeale der Menſchheit verſchlungen, Kannibale, was ſoll nun aus Dir werden?“ „Gefühle im Kaviar und Jdeale im Schnaps? Jhr Philoſophen ſeid praktiſcher, als man meinen ſollte. Nun, Du ſiehſt, es hat mir nichts geſchadet. Ein richtiger Mediziner wird von ſolchen Kleinigkeiten nicht ange- griffen. Hier haſt Du übrigens Dein Feuerzeug wieder, es lag auf der Treppe. Ei, laß’ doch ſehen, da iſt ja

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/182>, abgerufen am 28.03.2024.