Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

die Füße nicht mehr regen kannst, so bildest Du Dir
ein, fest zu stehen.

Brust heraus, Kopf in die Höhe! Und nun laß
sausen und brausen -- Muth, klare Augen! Indem
ich dies schreibe, thun mir meine Augen sehr weh. Ich
habe die Dinger in den romantischen Jahren der heim¬
lichen Gymnasiastenlektüre gar zu sehr angestrengt, und
büße jetzt für die Klein-Druck-Sünden des Zwickauer
Walter Scott.

Noch immer wate ich getrost in der trostlosen Pfütze
unsrer Jurisprudenz; warum ich das thu', ist leicht be¬
greiflich: hungern ist immer besser als verhungern.
Wenn ich mehr Muth hätte, that' ich's vielleicht nicht.
Muth, Muth! der fehlt uns und ganz Europa, sonst
läg' es nicht so im Argen. Nicht der Muth, Gens¬
d'armes zum Einhauen zu kommandiren, wohl aber der,
Lächerlichkeiten ruhig anzusehen oder Ernstes genau und
unbefangen zu prüfen. Die Welt will jetzt nicht nach
Gesetzen leben, die da sind, weil sie da sind, sondern
nach Gesetzen, die aus der Zeit und dem Bedürfnisse
hervorgehen, von denen sie weiß, warum sie da sind.
Gebt gutwillig, was man Euch später nimmt, und Ihr
könnt für willenlose Puppen Menschen einhandeln,

die Füße nicht mehr regen kannſt, ſo bildeſt Du Dir
ein, feſt zu ſtehen.

Bruſt heraus, Kopf in die Höhe! Und nun laß
ſauſen und brauſen — Muth, klare Augen! Indem
ich dies ſchreibe, thun mir meine Augen ſehr weh. Ich
habe die Dinger in den romantiſchen Jahren der heim¬
lichen Gymnaſiaſtenlektüre gar zu ſehr angeſtrengt, und
büße jetzt für die Klein-Druck-Sünden des Zwickauer
Walter Scott.

Noch immer wate ich getroſt in der troſtloſen Pfütze
unſrer Jurisprudenz; warum ich das thu', iſt leicht be¬
greiflich: hungern iſt immer beſſer als verhungern.
Wenn ich mehr Muth hätte, that' ich's vielleicht nicht.
Muth, Muth! der fehlt uns und ganz Europa, ſonſt
läg' es nicht ſo im Argen. Nicht der Muth, Gens¬
d'armes zum Einhauen zu kommandiren, wohl aber der,
Lächerlichkeiten ruhig anzuſehen oder Ernſtes genau und
unbefangen zu prüfen. Die Welt will jetzt nicht nach
Geſetzen leben, die da ſind, weil ſie da ſind, ſondern
nach Geſetzen, die aus der Zeit und dem Bedürfniſſe
hervorgehen, von denen ſie weiß, warum ſie da ſind.
Gebt gutwillig, was man Euch ſpäter nimmt, und Ihr
könnt für willenloſe Puppen Menſchen einhandeln,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="90"/>
die Füße nicht mehr regen kann&#x017F;t, &#x017F;o bilde&#x017F;t Du Dir<lb/>
ein, fe&#x017F;t zu &#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>Bru&#x017F;t heraus, Kopf in die Höhe! Und nun laß<lb/>
&#x017F;au&#x017F;en und brau&#x017F;en &#x2014; Muth, klare Augen! Indem<lb/>
ich dies &#x017F;chreibe, thun mir meine Augen &#x017F;ehr weh. Ich<lb/>
habe die Dinger in den romanti&#x017F;chen Jahren der heim¬<lb/>
lichen Gymna&#x017F;ia&#x017F;tenlektüre gar zu &#x017F;ehr ange&#x017F;trengt, und<lb/>
büße jetzt für die Klein-Druck-Sünden des Zwickauer<lb/>
Walter Scott.</p><lb/>
        <p>Noch immer wate ich getro&#x017F;t in der tro&#x017F;tlo&#x017F;en Pfütze<lb/>
un&#x017F;rer Jurisprudenz; warum ich das thu', i&#x017F;t leicht be¬<lb/>
greiflich: hungern i&#x017F;t immer be&#x017F;&#x017F;er als verhungern.<lb/>
Wenn ich mehr Muth hätte, that' ich's vielleicht nicht.<lb/>
Muth, Muth! der fehlt uns und ganz Europa, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
läg' es nicht &#x017F;o im Argen. Nicht der Muth, Gens¬<lb/>
d'armes zum Einhauen zu kommandiren, wohl aber der,<lb/>
Lächerlichkeiten ruhig anzu&#x017F;ehen oder Ern&#x017F;tes genau und<lb/>
unbefangen zu prüfen. Die Welt will jetzt nicht nach<lb/>
Ge&#x017F;etzen leben, die da &#x017F;ind, <hi rendition="#g">weil</hi> &#x017F;ie da &#x017F;ind, &#x017F;ondern<lb/>
nach Ge&#x017F;etzen, die aus der Zeit und dem Bedürfni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
hervorgehen, von denen &#x017F;ie weiß, <hi rendition="#g">warum</hi> &#x017F;ie da &#x017F;ind.<lb/>
Gebt gutwillig, was man Euch &#x017F;päter nimmt, und Ihr<lb/>
könnt für willenlo&#x017F;e Puppen <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi> einhandeln,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0100] die Füße nicht mehr regen kannſt, ſo bildeſt Du Dir ein, feſt zu ſtehen. Bruſt heraus, Kopf in die Höhe! Und nun laß ſauſen und brauſen — Muth, klare Augen! Indem ich dies ſchreibe, thun mir meine Augen ſehr weh. Ich habe die Dinger in den romantiſchen Jahren der heim¬ lichen Gymnaſiaſtenlektüre gar zu ſehr angeſtrengt, und büße jetzt für die Klein-Druck-Sünden des Zwickauer Walter Scott. Noch immer wate ich getroſt in der troſtloſen Pfütze unſrer Jurisprudenz; warum ich das thu', iſt leicht be¬ greiflich: hungern iſt immer beſſer als verhungern. Wenn ich mehr Muth hätte, that' ich's vielleicht nicht. Muth, Muth! der fehlt uns und ganz Europa, ſonſt läg' es nicht ſo im Argen. Nicht der Muth, Gens¬ d'armes zum Einhauen zu kommandiren, wohl aber der, Lächerlichkeiten ruhig anzuſehen oder Ernſtes genau und unbefangen zu prüfen. Die Welt will jetzt nicht nach Geſetzen leben, die da ſind, weil ſie da ſind, ſondern nach Geſetzen, die aus der Zeit und dem Bedürfniſſe hervorgehen, von denen ſie weiß, warum ſie da ſind. Gebt gutwillig, was man Euch ſpäter nimmt, und Ihr könnt für willenloſe Puppen Menſchen einhandeln,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/100
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/100>, abgerufen am 29.03.2024.