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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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higen Lectüre des Poeten kommt, der in einer uns noch
fremden Sprache geschrieben. Das ist ein Gucken und
Schnüffeln und Fragen -- der Mantel wird gestrichen,
um aus der Qualität des Tuches Schlüsse auf die Quali¬
tät des Besitzers zu ziehen, nach der Uhr wird gelugt,
ob sie von Gold oder Silber, das Taschentuch wird beäu¬
gelt, ob es vou doppelter oder einfacher Seide ist --
diese alten Weiber sind die Zollbeamten in den Liebes¬
staaten, und Zölle habe ich nie leiden mögen. Ich stehe
mit dieser auch schon auf einem ärgerlichen Fuße.

Darin ist doch nur die Jugend liebenswürdig: sie
kennt den Umfang ihrer Kräfte, also auch ihr Ende noch
nicht, und fragt drum nie, wie weit oder kurz der
Weg, es steht ihr noch Alles offen, drum nimmt sie
jeden Nahenden nur als einen kleinen Theil des All's,
und fragt und forscht nicht ängstlich nach ihm -- sie
rechnet nicht, weil sie ungekünstelt, und das Rechnen
die größte Künstelei ist -- sie schiebt die Summe der
Theilnahme welche man ihr schenkt, ungezählt in die
Tasche, weil sie noch unzählige Summen erwartet. Ein
alter Drache aber besieht jeden Pfennig, weil er berech¬
nen kann, wie viel ihm noch abfallen werden. Das
hat mich am meisten für Rosa gewonnen, daß sie sich

higen Lectüre des Poeten kommt, der in einer uns noch
fremden Sprache geſchrieben. Das iſt ein Gucken und
Schnüffeln und Fragen — der Mantel wird geſtrichen,
um aus der Qualität des Tuches Schlüſſe auf die Quali¬
tät des Beſitzers zu ziehen, nach der Uhr wird gelugt,
ob ſie von Gold oder Silber, das Taſchentuch wird beäu¬
gelt, ob es vou doppelter oder einfacher Seide iſt —
dieſe alten Weiber ſind die Zollbeamten in den Liebes¬
ſtaaten, und Zölle habe ich nie leiden mögen. Ich ſtehe
mit dieſer auch ſchon auf einem ärgerlichen Fuße.

Darin iſt doch nur die Jugend liebenswürdig: ſie
kennt den Umfang ihrer Kräfte, alſo auch ihr Ende noch
nicht, und fragt drum nie, wie weit oder kurz der
Weg, es ſteht ihr noch Alles offen, drum nimmt ſie
jeden Nahenden nur als einen kleinen Theil des All's,
und fragt und forſcht nicht ängſtlich nach ihm — ſie
rechnet nicht, weil ſie ungekünſtelt, und das Rechnen
die größte Künſtelei iſt — ſie ſchiebt die Summe der
Theilnahme welche man ihr ſchenkt, ungezählt in die
Taſche, weil ſie noch unzählige Summen erwartet. Ein
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[20/0030] higen Lectüre des Poeten kommt, der in einer uns noch fremden Sprache geſchrieben. Das iſt ein Gucken und Schnüffeln und Fragen — der Mantel wird geſtrichen, um aus der Qualität des Tuches Schlüſſe auf die Quali¬ tät des Beſitzers zu ziehen, nach der Uhr wird gelugt, ob ſie von Gold oder Silber, das Taſchentuch wird beäu¬ gelt, ob es vou doppelter oder einfacher Seide iſt — dieſe alten Weiber ſind die Zollbeamten in den Liebes¬ ſtaaten, und Zölle habe ich nie leiden mögen. Ich ſtehe mit dieſer auch ſchon auf einem ärgerlichen Fuße. Darin iſt doch nur die Jugend liebenswürdig: ſie kennt den Umfang ihrer Kräfte, alſo auch ihr Ende noch nicht, und fragt drum nie, wie weit oder kurz der Weg, es ſteht ihr noch Alles offen, drum nimmt ſie jeden Nahenden nur als einen kleinen Theil des All's, und fragt und forſcht nicht ängſtlich nach ihm — ſie rechnet nicht, weil ſie ungekünſtelt, und das Rechnen die größte Künſtelei iſt — ſie ſchiebt die Summe der Theilnahme welche man ihr ſchenkt, ungezählt in die Taſche, weil ſie noch unzählige Summen erwartet. Ein alter Drache aber beſieht jeden Pfennig, weil er berech¬ nen kann, wie viel ihm noch abfallen werden. Das hat mich am meiſten für Roſa gewonnen, daß ſie ſich

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/30>, abgerufen am 29.03.2024.