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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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ist Niemand so sehr dafür als ich -- ich hasse wie Du
den Egoismus des Staates in Bevorzugung Einzelner.
Aber Freund, Du siehst die Sache schielend an, und das
Endziel aller Bestrebungen -- die Freiheit -- entgeht
Dir. Die Einzelnen sollen nicht bevorzugt, aber jeder
Einzelne soll frei werden. Damit dies nun aber auf
eine der Allgemeinheit ersprießliche Weise geschehe, predi¬
gen wir als höchste Blüthe der Bildung: Abstreifen je¬
der Art von Egoismus, Humanität. Das sind nicht
Gegensätze, wie Du zeichnest, sondern Stufen.

Der Freiheit widerspricht aber jede Art von For¬
mel, sie betreffe Moral oder sonst etwas -- erreichten
wir selbst durch solche Formeln das allgemeine Wohl, so
bezahlten wir dies doch mit dem allgemeinen Wohl, d. h.
mit dem Wohle der Einzelnen, die von außen her nur
gezwungen lebten, und nur in trostloser Gleichgewichts¬
theorie den allgemeinen Fall vermieden. So werden die
Menschen beklagenswerthe Negationen und die Haupttu¬
gend wird wie in manchem melancholischen Christenthume
die Unterlassung, die Demuth. Es ist aber ein größe¬
res Ziel unserer Richtung, die Menschen selbstständig zu
veredeln, und die Veredelten Selbstherrscher werden zu
lassen. -- Die Millionen Selbstherrscher sind das äußer¬

iſt Niemand ſo ſehr dafür als ich — ich haſſe wie Du
den Egoismus des Staates in Bevorzugung Einzelner.
Aber Freund, Du ſiehſt die Sache ſchielend an, und das
Endziel aller Beſtrebungen — die Freiheit — entgeht
Dir. Die Einzelnen ſollen nicht bevorzugt, aber jeder
Einzelne ſoll frei werden. Damit dies nun aber auf
eine der Allgemeinheit erſprießliche Weiſe geſchehe, predi¬
gen wir als höchſte Blüthe der Bildung: Abſtreifen je¬
der Art von Egoismus, Humanität. Das ſind nicht
Gegenſätze, wie Du zeichneſt, ſondern Stufen.

Der Freiheit widerſpricht aber jede Art von For¬
mel, ſie betreffe Moral oder ſonſt etwas — erreichten
wir ſelbſt durch ſolche Formeln das allgemeine Wohl, ſo
bezahlten wir dies doch mit dem allgemeinen Wohl, d. h.
mit dem Wohle der Einzelnen, die von außen her nur
gezwungen lebten, und nur in troſtloſer Gleichgewichts¬
theorie den allgemeinen Fall vermieden. So werden die
Menſchen beklagenswerthe Negationen und die Haupttu¬
gend wird wie in manchem melancholiſchen Chriſtenthume
die Unterlaſſung, die Demuth. Es iſt aber ein größe¬
res Ziel unſerer Richtung, die Menſchen ſelbſtſtändig zu
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[36/0046] iſt Niemand ſo ſehr dafür als ich — ich haſſe wie Du den Egoismus des Staates in Bevorzugung Einzelner. Aber Freund, Du ſiehſt die Sache ſchielend an, und das Endziel aller Beſtrebungen — die Freiheit — entgeht Dir. Die Einzelnen ſollen nicht bevorzugt, aber jeder Einzelne ſoll frei werden. Damit dies nun aber auf eine der Allgemeinheit erſprießliche Weiſe geſchehe, predi¬ gen wir als höchſte Blüthe der Bildung: Abſtreifen je¬ der Art von Egoismus, Humanität. Das ſind nicht Gegenſätze, wie Du zeichneſt, ſondern Stufen. Der Freiheit widerſpricht aber jede Art von For¬ mel, ſie betreffe Moral oder ſonſt etwas — erreichten wir ſelbſt durch ſolche Formeln das allgemeine Wohl, ſo bezahlten wir dies doch mit dem allgemeinen Wohl, d. h. mit dem Wohle der Einzelnen, die von außen her nur gezwungen lebten, und nur in troſtloſer Gleichgewichts¬ theorie den allgemeinen Fall vermieden. So werden die Menſchen beklagenswerthe Negationen und die Haupttu¬ gend wird wie in manchem melancholiſchen Chriſtenthume die Unterlaſſung, die Demuth. Es iſt aber ein größe¬ res Ziel unſerer Richtung, die Menſchen ſelbſtſtändig zu veredeln, und die Veredelten Selbſtherrſcher werden zu laſſen. — Die Millionen Selbſtherrſcher ſind das äußer¬

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/46>, abgerufen am 16.04.2024.