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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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Nicht viel anders ist es nun auch mit Deinen An¬
sichten über die Poesie. Sie ist bei Dir auch nicht viel
mehr als die Kunst der abstrakten Formeln. Wenn
das Individuum selbstständig werden soll, so muß es
sich erst verschönern, geltend machen. Daß nun die neu¬
ere Poesie, an deren Spitze sich Heine gestellt, die ein¬
zelne Figur mit Vorliebe heraushebt, und spielend an
ihr herumgleitend, erst tändelnd an ihr hinabgleitend,
mit einem schnellen Sprunge in dem oder jenem Ge¬
danken sich begräbt -- das Alles ist Dir ein Gräuel.
Du willst keine Figur, willst nur die aus ihr abgezogene
Formel, willst Sentenzen, Sätze etc. Aus der Zerfah¬
renheit, aus dem blutlosen Geisterantlitz, aus dem Ne¬
bel Eurer Verse führt allein dieser plastische Weg zur
markigen poetischen Empfindung. Das Einzelne verlangt
Selbstständigkeit, von der materiellen Natur werden wir
erst auf richtigem Wege zu den geistigen Schichten des
Lebens geführt, das Reale ist allein das Fundament,
worauf wir unsre Häuser des Fühlens, Hoffens, Glau¬
bens, Ahnens etc. errichten können. Die erkannte Unzu¬
länglichkeit des forschenden innern Menschen hat uns
zur Naturphilosophie und zu dieser Art von Poesie ge¬
drängt. Ihr könnt Euer bequemes Schwimmen nicht

Nicht viel anders iſt es nun auch mit Deinen An¬
ſichten über die Poeſie. Sie iſt bei Dir auch nicht viel
mehr als die Kunſt der abſtrakten Formeln. Wenn
das Individuum ſelbſtſtändig werden ſoll, ſo muß es
ſich erſt verſchönern, geltend machen. Daß nun die neu¬
ere Poeſie, an deren Spitze ſich Heine geſtellt, die ein¬
zelne Figur mit Vorliebe heraushebt, und ſpielend an
ihr herumgleitend, erſt tändelnd an ihr hinabgleitend,
mit einem ſchnellen Sprunge in dem oder jenem Ge¬
danken ſich begräbt — das Alles iſt Dir ein Gräuel.
Du willſt keine Figur, willſt nur die aus ihr abgezogene
Formel, willſt Sentenzen, Sätze ꝛc. Aus der Zerfah¬
renheit, aus dem blutloſen Geiſterantlitz, aus dem Ne¬
bel Eurer Verſe führt allein dieſer plaſtiſche Weg zur
markigen poetiſchen Empfindung. Das Einzelne verlangt
Selbſtſtändigkeit, von der materiellen Natur werden wir
erſt auf richtigem Wege zu den geiſtigen Schichten des
Lebens geführt, das Reale iſt allein das Fundament,
worauf wir unſre Häuſer des Fühlens, Hoffens, Glau¬
bens, Ahnens ꝛc. errichten können. Die erkannte Unzu¬
länglichkeit des forſchenden innern Menſchen hat uns
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[39/0049] Nicht viel anders iſt es nun auch mit Deinen An¬ ſichten über die Poeſie. Sie iſt bei Dir auch nicht viel mehr als die Kunſt der abſtrakten Formeln. Wenn das Individuum ſelbſtſtändig werden ſoll, ſo muß es ſich erſt verſchönern, geltend machen. Daß nun die neu¬ ere Poeſie, an deren Spitze ſich Heine geſtellt, die ein¬ zelne Figur mit Vorliebe heraushebt, und ſpielend an ihr herumgleitend, erſt tändelnd an ihr hinabgleitend, mit einem ſchnellen Sprunge in dem oder jenem Ge¬ danken ſich begräbt — das Alles iſt Dir ein Gräuel. Du willſt keine Figur, willſt nur die aus ihr abgezogene Formel, willſt Sentenzen, Sätze ꝛc. Aus der Zerfah¬ renheit, aus dem blutloſen Geiſterantlitz, aus dem Ne¬ bel Eurer Verſe führt allein dieſer plaſtiſche Weg zur markigen poetiſchen Empfindung. Das Einzelne verlangt Selbſtſtändigkeit, von der materiellen Natur werden wir erſt auf richtigem Wege zu den geiſtigen Schichten des Lebens geführt, das Reale iſt allein das Fundament, worauf wir unſre Häuſer des Fühlens, Hoffens, Glau¬ bens, Ahnens ꝛc. errichten können. Die erkannte Unzu¬ länglichkeit des forſchenden innern Menſchen hat uns zur Naturphiloſophie und zu dieſer Art von Poeſie ge¬ drängt. Ihr könnt Euer bequemes Schwimmen nicht

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/49>, abgerufen am 28.03.2024.